Richter wollen bei Mord mitentscheiden

Alen R. wurde nicht rechtskräftig verurteilt
Geschworenenprozesse: Urteil über Grazer Amokfahrer löst in der Justiz neuen Vorstoß für Reform aus

Österreichs Strafrichter nehmen den Prozess gegen den Grazer Amokfahrer Alen R. zum Anlass, in einem neuen Vorstoß eine grundlegende Reform der Geschworenengerichtsbarkeit zu fordern. Wobei es ihnen weniger um das Ergebnis als mehr um dessen Durchschaubarkeit geht.

Zwei Gerichtspsychiater, darunter ein wegen divergierender Meinungen als sogenannter "Obergutachter" bestellter Sachverständiger, hatten Alen R. für unzurechnungsfähig und damit für nicht schuldfähig erklärt. Auf dieser Basis stellte der Staatsanwalt keine Mordanklage, sondern einen Antrag auf unbefristete Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Ein dritter Gerichtspsychiater und eine Psychologin befanden den Amokfahrer für zurechnungsfähig. Der vorsitzende Richter Andreas Rom machte von Prozessbeginn an kein Hehl aus seiner Ansicht, dass er den Amokfahrer für zurechnungsfähig und für einen Simulanten hält.

Einstimmig

Die acht Geschworenen schlossen sich Donnerstagabend rasch und einstimmig dieser Ansicht an, sprachen Alen R. (nicht rechtskräftig) des dreifachen Mordes und 108-fachen Mordversuchs schuldig und verurteilten ihn gemeinsam mit den Berufsrichtern zu lebenslanger Haft plus Einweisung (wegen Gefährlichkeit).

Begründet muss dieses Urteil nicht werden. Warum die Laien den einen Gutachtern nicht und den anderen schon geglaubt haben, bleibt ihr Geheimnis. Und genau das stößt nicht nur der Mehrheit der Richter sauer auf.

Friedrich Forsthuber, Präsident des Wiener Landesgerichts und Obmann der Fachgruppe Strafrichter in der Standesvertretung, will auf die Justizsprecher der Parlamentsparteien einwirken, damit die Geschworenengerichtsbarkeit endlich reformiert wird. Er meint, dass der "rechtspolitische Wille" dazu inzwischen vorhanden sein müsste.

"Die Kompetenzen der Geschworenen wurden in den vergangenen Jahren reduziert, nur noch 0,5 Prozent aller Verfahren werden vor Geschworenen geführt", sagt Forsthuber zum KURIER: "Aber gerade die haben es in sich." Es geht dabei oft um Mord, um Schuldfähigkeit oder -unfähigkeit und um schwerste Strafen bis lebenslang. Genau dabei gibt es keine Urteilsbegründung, weil eine solche von Laien nicht erwartet werden kann, die Berufsrichter bei der Beratung über Schuld- oder Freispruch aber nicht dabei sind. Ihnen bleibt bei ganz offensichtlichen Fehlentscheidungen nur die Aussetzung des Urteils.

Intuition

Forsthuber schlägt eine Kombination aus Laien und Berufsrichtern bei der gesamten Urteilsfindung vor. "Damit wären Intuition und fachliche Begründung abgedeckt." Es müsse ja dabei wie etwa im Grazer Prozess nichts anderes herauskommen, doch wäre das Urteil transparenter.

Ein Vorbild könnte Deutschland sein, wo es sogenannte große Strafkammern gibt, in denen Schöffen und Berufsrichter gemeinsam urteilen. In Österreich sind schon einige Justizminister auf dem Weg zur Reform stecken geblieben. Auch Wolfgang Brandstetter vermisst vor allem die Transparenz der Entscheidungsfindung, "weil sich die Urteile ja nur auf den ’Wahrspruch der Geschworenen’ stützen und nicht weiter begründet werden. Das ist nicht mehr zeitgemäß." Der Ressortchef sieht aber derzeit keine Möglichkeit, rasch etwas zu verbessern und hat "ohnehin viele Baustellen."

Bernhard Lehofer, Opfer-Anwalt im Prozess gegen den Amokfahrer, verteidigt die Geschworenen: "Es gab unterschiedliche Gutachten, dann muss jemand entscheiden." Sein Kollege Gunther Ledolter findet, die Kritik an den Laien sei fehl am Platz: "Man kann jetzt nicht von vorne herein annehmen, dass Berufsrichter sich in der Wissenschaft besser auskennen als Laienrichter. Die Geschworenen waren hier sicher nicht überfragt."

Und der Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl lobt die Geschworenen: "Sie hatten es nicht leicht und haben es sich nicht leicht gemacht."

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