Richter vermisst Reue des Amokfahrers

Alen R. wirkt vor Gericht lethargisch
Erster Prozesstag in Graz. Alen R. trug bei Gericht weiß und fühlte sich vom Schwiegervater verfolgt.

"Was passiert?", fragt Richter Andreas Rom den Mann, der da vor ihm sitzt. "Was passiert, wenn man jemanden zusammenfährt?"

Alen R. antwortet knapp. "Verletzungen." Dass Menschen dann auch sterben könnten, "hätt’ ich nicht gewusst", behauptet R. und beugt sich in seinem weißen Sommeranzug nach vorne.

Alen R. also. Jener Mann, der mit seiner Amokfahrt durch Graz drei Menschen tötete und Dutzende verletzte. Am 20. Juni 2015, dem Tag, der "für viele Leute eine Zäsur darstellte", wie Staatsanwalt Rudolf Fauler beschreibt.

Der 27-Jährige wirkt im Gerichtssaal aber so völlig anders als in den Videos, die kurz nach dem 20. Juni 2015 bei den ersten Einvernahmen gedreht wurden: Hier in weißer Hose, weißem Sakko und weißen Schuhen, rasiert, Brille, fast schmächtig. Bei der Amokfahrt trug er Ruderleiberl, Shorts, Bart und war rundlich. Im Gericht höflich, damals zynisch. "Was ist Ihr wahres Ich?", grübelt der Richter. Die ruhige Art sei nicht R.s "wahres Wesen".

Strafe noch möglich

R. gilt als unzurechnungsfähig, deshalb beantragt die Staatsanwaltschaft bloß die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Aber, so erinnert Ankläger Hansjörg Bacher die Geschworenen: "Sie sind die Richter. Ich will nicht sagen, die Karten werden am Schluss neu gemischt, denn das ist kein Spiel. Aber Sie entscheiden." Die Laienrichter könnten R. als zurechnungsfähig einstufen, dann wäre eine Strafe möglich.

Doch noch ist es lange nicht so weit. Beim Prozessauftakt versuchen der Richter, hinter die glatte Fassade des 27-Jährigen zu schauen. Rom spielt einen Mitschnitt der sechsminütigen Amokfahrt vor: Man sieht den grünen SUV mit bis zu 80 km/h über Gehsteige rasen und Menschen, die gerade noch zur Seite springen können.

Immer wieder fragt der Richter: Warum?

R. fällt dauernd eine neue Begründung ein. Er habe die Kontrolle über das schwere Auto verloren, er fahre sonst nie mit Gangschaltung. Er habe ausweichen müssen, er sei verfolgt worden: Einmal nennt er Bosnier, dann die türkische Mafia, dann Islamisten, im Prozess erstmals den Schwiegervater. "Ich hatte Panik, Angst um mein Leben. Aber meine Ehefrau hat mich nirgends hingehen lassen. Ich bin eingerostet beim Autofahren." R. war Autohändler von Beruf.

Am 20. Juni wollte er in Graz "ein Mädel" treffen, das er über das Internet kennengelernt haben will. "Aber das war nicht da. Da wollt’ mich wer reinlegen. Vermutlich der Schwiegervater. Dann hab’ ich Schüsse gehört."

An mehr könne er sich nicht erinnern, behauptet R., Richter Rom hilft nach. "Sie rasen auf wildfremde Menschen zu. Warum überfahren Sie sie, warum töten Sie sie?" Selbstmitleid klingt durch in R.s Antwort: "Es tut mir wahnsinnig leid. Aber bin selbst der Geschädigte, weil ich fliehen musste."

Drei Tage nach der Amokfahrt klang das noch härter. Er sei nicht schuld, tönte R. im Video. "Schuld sind die, die mich verfolgt haben." Das sei so, als ob man auf einer Treppe stehe und gestoßen werde. "Wenn man dann jemanden mitreißt und der sich verletzt, ist auch der schuld, der schupft."

Richter Rom vermisst Reue: "Das geht mir ab." Er schätzt R. so ein: "Beruflich nicht erfolgreich, die Ehe in Brüche, eine neue Liebschaft erscheint nicht. Dann rasen Sie durch Graz, um der Gesellschaft zu zeigen: Ich, Alen R., habe doch Macht."

Konnex zu IS-Prediger

Plötzlich ist auch ein Konnex zu einem der Grazer Dschihadisten-Prozessen da: Im Überwachungsprotokoll eines mittlerweile erstinstanzlich verurteilten IS-Predigers taucht Alen R.s Telefonnummer auf.

"Kann sein, dass der ein Auto wollte", kommentiert R. Staatsanwalt Fauler zitiert aus Ermittlungsergebnissen: Es gäbe keinen Hinweis auf Auftraggeber oder Mittäter.

Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

Die Ticker-Nachlese zum ersten Prozesstag finden Sie hier.

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