Retter blockiert: Die gefährliche Gier der Gaffer
Ein Tiertransporter ist Dienstagfrüh auf der Westautoahn bei St. Florian (Bezirk Linz-Land, OÖ) verunglückt. Richtung Wien blieb die A1 stundenlang gesperrt, weil die Einsatzkräfte Tausende Hühner wieder einfangen mussten. Der Unfall beeinflusste auch den Verkehrsfluss auf auf der Gegenfahrbahn: Wegen Schaulustiger kam es zu Verzögerungen. Damit nicht genug: Laut Polizei gab es sogar Auffahrunfälle unter den Gaffern.
Zu dramatischeren Zwischenfällen kam es am Montag in Nordbayern. Ein Reisebus geriet nach einem Auffahrunfall in Flammen. 18 Menschen starben. Weil die Rettungsgasse nicht breit genug war, verloren die Einsatzkräfte wertvolle Zeit. Auf der Gegenfahrbahn kam es wegen der Gaffer beinahe zu weiteren Unfällen. Und das, obwohl in Deutschland die Behörden in solchen Fällen hart durchgreifen: Nach einem Auffahrunfall am Montag, den ein Lenker aus Schärding (OÖ) auf der Autobahn Richtung Deggendorf (Bayern) verursacht hatte, sind sechs Personen von der Polizei mit Bußgeld abgestraft worden. Sie hatten im Vorbeifahren den Unfallort gefilmt. Bayerns Verkehrsminister Alexander Dobrindt überlegt nun, die Strafen zu erhöhen. Dem rechtspolitischen Sprecher der Bundestags-SPD, Johannes Fechner, geht das nicht weit genug: "Wer aus Sensationslust die Rettung von Menschenleben blockiert, muss mit einer empfindlichen Geldstrafe oder Gefängnis bestraft werden", meint Fechner.
Kein "Gaffer-Paragraf"
Im österreichischen Verkehrsministerium sieht man keinen Anlass für einen "Gaffer-Paragrafen". In der Straßenverkehrsordnung gebe es genug Möglichkeiten, Schaulustige zu belangen, zum Beispiel wenn sie die Rettungsgasse blockieren. Minister Jörg Leichtfried (SPÖ) spielt den Ball weiter: "Hier ist das Innenministerium gefragt. Die Polizei muss stärker kontrollieren und Rettungsgassen-Sünder zur Rechenschaft ziehen", sagt Leichtfried.
Bei den Rettern steigt währenddessen der Frust. Eine Eskalation der Sensationsgier erlebten Einsatzkräfte vor einigen Wochen nach einem spektakulären Verkehrsunfall in Heidenreichstein im Waldviertel (NÖ). Ein ins Schleudern geratener Autoanhänger hatte zwei Pensionistinnen auf dem Gehsteig erfasst, eine getötet, die andere schwer verletzt. Fast so viel wie mit der Bewältigung der Situation hatten Einsatzkräfte damit zu tun, die neugierige Menge zu bändigen.
"Wir werden uns jetzt gemeinsam mit den Kollegen von Heidenreichstein eine aufklappbare Sichtschutzwand anschaffen, damit in so einem Fall nicht mehr sechs Kollegen alleine mit dem Hochhalten von Decken befasst sind", erzählt Christian Böhm von der Feuerwehr Altmanns. Er postete seinen Ärger darüber auf Facebook: "Es sind sogar Neugierige mit ihren Kindern vorbei gekommen. Man muss Helfer abstellen, um einen Sichtschutz aufzubauen, die bei weitem sinnvoller eingesetzt werden könnten!" Er habe beim Einsatz am Unfallort das "absolut das Unmenschlichste" erlebt, das ihm je untergekommen sei, meint Böhm.
Zusammenstöße nehmen zu
Bei der Wiener Berufsrettung ist das Problem mit fotografierenden Passanten ebenfalls bestens bekannt. "Es gibt immer mehr Zusammenstöße mit Schaulustigen", sagt Sprecherin Corina Had. "Es ist nicht Aufgabe der Rettungskräfte, auch noch die Privatsphäre der Patienten zu schützen", erklärt Had, die an das Gewissen der Menschen appelliert. Forderungen nach härteren Strafen wolle sich die Berufsrettung nicht anschließen. Man hoffe, dass die Menschen von alleine zur Vernunft kommen.
Seit fünf Jahren ist Stefan Strobl Bademeister im Schwimmbad in Völs (Bezirk Innsbruck-Land). Seine Einsätze beschränken sich in der Regel auf Vorfälle wie Hitzschläge. Die Szenen vom 11. Juni werden Strobl aber zeit seines Lebens in Erinnerung bleiben: „Ich bin gerade bei einem anderen Becken gestanden, als ein Mann laut geschrien hat. Ich bin sofort losgerannt“, erzählt er. Um ein anderes Becken hatte sich bereits eine Menschenmenge geschart. Strobl schätzt 50 bis 60 Menschen, die in zwei bis drei Reihen gestanden sind.
„Ich habe mich durchkämpfen müssen.“ Erst dann entdeckte er den zehnjährigen Buben, der regungslos am Überlaufgitter lag. Er habe sofort einen der Schaulustigen an der Hand gepackt und ihn angewiesen, die Rettung zu verständigen.
Seine Ruhe von den Schaulustigen hatte der Bademeister damit nicht. Beim Wegtragen des Kindes musste er es noch einmal auf den Boden legen, weil er befürchtete, dass es erbricht. Wieder bildete sich eine Menschentraube, so „dass ich beim Aufstehen mit dem Buben die Füße der Schaulustigen im Kreuz gehabt habe.“
Undankbare Eltern
Wenn Strobl Wochen später über den Vorfall spricht, ist in seiner Stimme nach wie vor die Aufregung zu hören. „Mir geht das Ganze schon noch öfter durch den Kopf“, sagt er. Enttäuscht ist er nicht nur von den vielen Gaffern. Die Eltern des Buben, der sich wieder erholt hat, hätten sich nie bei ihm bedankt.
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