Prozesslawine für Geschworene

Geschworene entscheiden allein
Überfällige Reform: Staatsanwälte klagen immer öfter Mordversuch an, das Ergebnis sind meist kleine Strafen.

Nicht weniger als sieben Berufsrichter und 18 Laienrichter (plus einige Ersatzgeschworene) waren neun Tage damit beschäftigt, einen Häftling wegen Brandstiftung in erster Instanz für zwölf Jahre hinter Gitter zu schicken. Als Rückfallstäter war bei dem Angeklagten eine Höchststrafe bis zu 15 Jahren Haft möglich.

Dieses Urteil hätte auch schon im ersten der drei Prozesse von einem Schöffensenat (ein Berufsrichter als Vorsitzender plus zwei Laienrichter) gefällt werden können. Der Senat erklärte sich im April 2017 nach drei Verhandlungstagen jedoch für unzuständig, weil versuchter Mord (Strafdrohung bis lebenslang) im Raum stehe, der vor einem Geschworenengericht verhandelt werden müsse. Der 32-jährige Algerier hatte am 15. Oktober 2016 in der Justizanstalt Wien-Josefstadt seine Zelle angezündet, weil er verlegt werden wollte. Seine Mithäftlinge hatte er mit vorgehaltenem Messer daran gehindert, Hilfe zu holen. Die Feuerwehr griff erst spät ein, drei Zellengenossen erlitten schwere Verletzungen, elf Justizwache-Beamte mussten wegen Rauchgasvergiftungen behandelt werden.

Nach drei Verhandlungstagen wurden acht Geschworene gefragt, ob sie die Tat bloß für eine Brandstiftung mit Körperverletzung oder für mehrfachen versuchten Mord halten. Es stand vier zu vier, in dem Fall zählt das für den Angeklagten günstigere Urteil, aber das wollten die drei Berufsrichter nicht akzeptieren. Sie setzten das Urteil wegen "Irrtums der Geschworenen" aus.

Nun musste ein drittes Mal mit neuen Geschworenen und drei anderen Berufsrichtern verhandelt werden. Nach weiteren drei Tagen kam Ende vergangener Woche das gleiche Ergebnis (vier zu vier ) heraus. Das muss akzeptiert werden, die Strafe von zwölf Jahren wegen Brandstiftung ist aber noch nicht rechtskräftig.

Rekordzahl

Dieser Fall ist einer von über 70 Geschworenenprozessen, die im vergangenen Jahr allein am Wiener Landesgericht abgehalten wurden. Das ist Rekord und hat dazu geführt, dass im Grauen Haus zwei neue Schwurgerichtsabteilungen installiert und Richter von anderen Bereichen abgezogen wurden.

Die Prozesse wegen versuchten Mordes nehmen insgesamt rasant zu. Das liegt einerseits daran, dass die Staatsanwaltschaft nach zwischenmenschlichen Attacken nun lieber gleich Mordversuch anklagt, statt die Täter nur wegen geringerer Delikte (z. B. Körperverletzung) vor Gericht zu bringen. Und andererseits daran, dass "Stichattacken im Oberkörper zugenommen haben", wie Gerichtssprecherin Christina Salzborn attestiert. Wenn ein gerichtsmedizinisches Gutachten ergibt, dass die zugefügte Verletzung lebensbedrohend war, dann bleibe dem Staatsanwalt gar nichts anderes übrig, als eine Anklage wegen Mordversuchs. Freilich bindet das dann drei Berufsrichter, die sich in dieser Zeit nicht um andere Fälle kümmern können.Die Ergebnisse zeigen allerdings regelmäßig, dass auch mit kleinerer Besetzung das Auslangen hätte gefunden werden können. Ein kleiner Auszug:

Nur Fahrlässigkeit

Ein 35-jähriger Wiener hatte den Ex-Freund seiner Lebensgefährtin mit dem Auto angefahren: Die Geschworenen verwarfen die Anklage wegen Mordversuchs und verurteilten den Mann bloß wegen grober Fahrlässigkeit zu acht Monaten bedingt.

Ebenfalls kein Mordversuch und acht Monate bedingt: So lautete das Urteil über eine 18-Jährige, die einem Burschen ein Messer in die Brust gerammt hatte, weil er sie zuvor beschimpft hatte.

Ein 25-jähriger Mann hatte seiner Ehefrau im Streit die Spitze seines Regenschirms ins Auge gerammt: Kein versuchter Mord, drei Jahre Haft wegen Körperverletzung.

Wobei die Urteile der Geschworenen (von denen keine Begründung verlangt wird) ebenso undurchschaubar bleiben wie die Entscheidungen der Berufsrichter, wann sie ein Urteil für einen Irrtum halten und aussetzen und wann nicht. Seit vielen Jahren wird im Justizministerium erwogen, die Geschworenengerichtsbarkeit zu reformieren bzw. zu vereinfachen. Das Projekt wurde nun aber erneut auf die ganz lange Bank geschoben.

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