Prozess gegen Grazer Amokfahrer: "Gedacht, ich sterb auf der Straße"

Alen R. während des Prozesses
Prozess gegen Alen R. wird fortgesetzt. Einige Zeugen berichten sehr emotional über die Geschehnisse.

Am Donnerstag ist im Grazer Straflandesgericht der Prozess gegen Alen R. fortgesetzt worden. Er soll im Juni 2015 bei seiner Amokfahrt durch die Grazer Innenstadt drei Menschen getötet und Dutzende verletzt haben. Am dritten Verhandlungstag schilderten erneut Zeugen, wie sie die Wahnsinnsfahrt aus nächster Nähe erlebt haben. "Ich habe gedacht, ich bin in einem Hollywoodfilm", sagte ein Befragter.

Alen R. (27) war mit seinem Geländewagen unter anderem durch die Fußgängerzone in der Innenstadt gerast. Die Schilderungen der Zeugen sind immer noch geprägt von Fassungslosigkeit, einige kämpften mit den Tränen, manche fühlten sich außerstande, im Gericht zu erscheinen.

Prozess gegen Grazer Amokfahrer: "Gedacht, ich sterb auf der Straße"
ABD0043_20160922 - GRAZ - ÖSTERREICH: Der Angeklagte Alen R. und seine Verteidigerin Liane Hirschbrich vor Beginn des Prozesses am Donnerstag, 22. September 2016, im Straflandesgericht in Graz. Alen R. hat am 20. Juni 2015 während einer Amokfahrt mit seinem Auto in der Grazer Innenstadt 3 Menschen getötet und rund 100 Personen verletzt. - FOTO: APA/ERWIN SCHERIAU/APA-POOL - ProzessAmokfahrtGraz56984

Eine Frau erzählte, wie sie an diesem 20. Juni in der Hamerlinggasse unterwegs war und sah, dass ein anderer Radler von dem SUV angefahren wurde. Sie selbst konnte sich vor einem Geschäft in Sicherheit bringen, ihr Rad wurde aber noch gestreift: "Ich wollte den Fahrradständer betätigen, da habe ich gemerkt, dass er weg war, so nahe ist er an mich herangekommen." Sie wollte die Rettung verständigen "aber ich habe so gezittert, dass ich nicht telefonieren konnte", beschrieb sie. "Hatten Sie das Gefühl, er hat sie anvisiert?, wollte Richter Andreas Rom wissen. "Ja, schon."

"Kann heute noch fast nicht die Herrengasse hinunter gehen"

"Ich habe plötzlich einen lauten Klescher gehört und habe einen Satz auf die Seite gemacht", erinnerte sich eine Frau. Dann vernahm sie "ganz arges Schreien, ich hab' sofort gewusst, da ist etwas Fürchterliches passiert." Obwohl sie selbst unverletzt blieb, hat das Geschehen Spuren hinterlassen: "Ich kann heute noch fast nicht die Herrengasse hinunter gehen, ich gehe immer der Mauer entlang".

Eine junge Zeugin konnte vor lauter Aufregung fast nicht sprechen und weinte immer wieder. Sie erzählte, dass sie mit ihrem Freund durch die Herrengasse spazierte, als der Wagen um die Ecke schoss und sie noch am Fuß erwischte. Sie musste bis Ende 2015 im Rollstuhl sitzen, dann folgte noch Krankenstand bis Mai. Jetzt muss sie eine Umschulung machen, da sie ihren Beruf als Reinigungskraft nicht mehr ausüben kann, sie hat immer noch Schmerzen.

Prozess gegen Grazer Amokfahrer: "Gedacht, ich sterb auf der Straße"
ABD0022_20160922 - GRAZ - ÖSTERREICH: Der Angeklagte Alen R. (Mitte) vor Beginn des Prozesses am Donnerstag, 22. September 2016, im Straflandesgericht in Graz. Alen R. hat am 20. Juni 2015 während einer Amokfahrt mit seinem Auto in der Grazer Innenstadt 3 Menschen getötet und rund 100 Personen verletzt. - FOTO: APA/ERWIN SCHERIAU/APA-POOL - ProzessAmokfahrtGraz56984

"Ich habe geglaubt, ich bin in einem Hollywoodfilm, es war wie eine Verfolgungsjagd", meinte ein anderer Zeuge. Übereinstimmend berichteten die meisten, dass der Wagen mit mindestens 50 bis 60 km/h daher gekommen sei, in der Herrengasse soll er nochmals etwas beschleunigt haben.

"Jetzt sterb' ich auf der Straße"

Ein Zeuge schilderte, dass er am 20. Juni mit der Familie in der Stadt ging, als er "ein metallisches Geräusch" hörte. Als er sich umdrehte, sah er, wie der Geländewagen einen Radfahrer anfuhr und diesen in die Luft schleuderte. Eine Frau erzählte, dass sie beim Anblick des auf sie zurasenden Autos dachte: "Jetzt sterb' ich auf der Straße".

Ein Mann schilderte, wie er Reifenquietschen wahrnahm und sah, wie der SUV "bewusst die Richtung geändert hat, um einen Mopedfahrer zu touchieren." Ein anderer Zeuge war mit seinen Kindern unterwegs gewesen, mit denen er sich an die Mauer presste, als der Wagen in der Stubenberggasse zwei Mal an ihm vorbei fuhr. Da eine Baustelle in der Gasse war, musste das Fahrzeug wenden."Dann ist er durch die Menschen durchgerast, ich habe nur mehr Leute und Sachen fliegen gesehen."

Frau lehnt Entschuldigung ab

Eine ältere Frau hörte damals einen aufheulenden Motor und sah gleich darauf, dass "ein Radfahrer in hohem Bogen durch die Luft flog." Dann sei der Wagen direkt auf sie zugefahren "und ich hab' mir gedacht, jetzt sterb' ich auf der Straße." Sie spürte einen "wahnsinnigen Schmerz" und erlitt einen Knöchel- sowie einen Mittelfußbruch. Als die Verteidigerin ihr anbot, dass sich Alen R. bei ihr entschuldigen könnte, lehnte die Frau ab: "Danke".

Am Nachmittag drehten sich die Schilderungen der Zeugen vor allem um jenen Teil der Amokfahrt, der sich in der Herrengasse abgespielt hat. Dort wurden ein vierjähriger Bub und eine 53-Jährige Frau überfahren und getötet. Ein Zeuge erlitt einen Schock, weil er die Tote zunächst für seinen Sohn hielt. Übereinstimmend bestätigten die Befragten, dass sie von dem Auto anvisiert worden seien.

Man merkte den Zeugen deutlich an, wie tiefe Spuren das Geschehen vom 20. Juni auch bei den körperlich Unverletzten hinterlassen hat. Viele rangen um Fassung, einige weinten, häufig sah man ein Zittern. Manche schauen sich beim Hinausgehen Alen R. ganz genau an, andere mieden jeden Blick in seine Richtung. Übereinstimmend erklärten die Befragten, dass sie das Gefühl hatten, der Geländewagen habe sie anvisiert. Niemand glaubte, dass hier ein Fahrer die Kontrolle über sein Auto verloren hatte.

"Ich bin zu ihr hin und habe ihren Puls gefühlt, aber sie war bereits sterbend"

Ein Mann schilderte, wie er sich gerade noch retten konnte und sah, wie die 53-Jährige angefahren wurde. "Ich bin zu ihr hin und habe ihren Puls gefühlt, aber sie war bereits sterbend", erklärte der langjährige Rettungsmitarbeiter. Die tote Frau hatte bei einem anderen Passanten einen Schock ausgelöst, weil er zuerst dachte, es sei sein Sohn, mit dem er unterwegs war und der die gleiche Hose getragen hatte. Der Sohn und die Mutter hatten sich allerdings bei der Stadtpfarrkirche in einen Mauervorsprung gerettet, der Vater war auf die Stufen geflüchtet. "Mein Mann hat geschrien, weil er unseren Sohn nicht gleich gesehen hat und gedacht hat, er liegt da", beschrieb die Mutter.

"Ich habe eine Bauchlandung auf die Straßenbahngleise gemacht", schilderte eine Frau, die vor dem Auto gerade noch wegspringen konnte und mit einer Fußverletzung davongekommen war. "Es war ein furchtbares Chaos", meinte sie.

Obwohl Alen R. bisher immer betonte, er könne sich an die Fahrt nicht erinnern, wusste er doch, dass er in der Stubenberggasse gewendet hatte: "Eine Sackstraße, da war eine Baustelle", sagte er ganz konkret.

Die Verhandlung wird am Freitag um 9.00 Uhr mit der Befragung weiterer Zeugen fortgesetzt.

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