"Ich bin Priester und habe vier Kinder"

Gerhard Höberth mit seiner Frau Coleen und seinen vier Kindern. Zuerst war er evangelischer Pfarrer, dann konvertierte der heute 54-Jährige zur katholischen Kirche. Er darf – trotz seiner aufrechten Ehe – Kaplan sein
Gerhard Höberth (54) lebt ohne Zölibat, ist verheiratet, hat vier Kinder und ist Priester. Die Kirche duldet diese Sonderstellung. Wie es dazu kam, und wie er die Zukunft des Priesteramtes sieht, erzählt der Gottesmann im Interview.

Neid zählt zwar zu den sieben Todsünden, doch der steirische Dechant Maximilian Tödtling wird das Gefühl nicht ganz unterdrücken können. Denn Szenen einer Ehe sind dem Kaplan Gerhard Höberth bestens bekannt. Der Wiener Kirchenmann hat alles, wofür der steirische Pfarrer seine Berufung aufgegeben hat: Ehe, Familie und die katholische Priesterweihe von Kardinal Schönborn höchstpersönlich. Streng zölibatär musste der Geistliche noch nie leben – und das ganz legal, im Sinne des Kirchenrechts.

"Ich bin Priester und habe vier Kinder"
Reportage Pfarrer
"Wie kann es das geben?", wird Kaplan Höberth öfters verwundert gefragt. Der Kaplan war früher evangelischer Pfarrer, bis er wieder in den Schoß der sogenannten "Mutter-Kirche" zurückkehrte. In Österreich ist das ein einmaliger Fall. In Deutschland gibt es "Seitenwechsler" dieser Art öfters. "Allein in Regensburg kenne ich 20 solcher Fälle", erzählt Höberth. Seine vier Kinder sind mittlerweile erwachsen. Als seine Tochter 2014 in der Wachau heiratete, erfüllte Höberth gleich zwei Rollen: Brautvater und Pfarrer, der das Sakrament der Ehe spendete. Auch eine Seltenheit im Leben eines Kirchenmannes, aber auch im Leben eines Vaters. Im Interview erzählt der Kaplan aus Wien, wie er die Problematik mit dem Zölibat lösen würde, ob Ehe und Priesteramt vereinbar sind, und warum ihm die evangelische Kirche zu liberal wurde.

KURIER: Herr Höberth, die Liebesbeichte des steirischen Pfarrers Maximilian Tödtling hat die Diskussion um den Zölibat wieder angeheizt. Hätten Sie den Weg des katholischen Priesters eingeschlagen, wenn Sie den Pflichtzölibat der katholischen Kirche leben müssten?

"Ich bin Priester und habe vier Kinder"
Reportage Pfarrer
Gerhard Höberth:Diese Frage habe ich mir schon öfters gestellt. Von meiner Persönlichkeitsstruktur könnte ich mir vorstellen, auch alleine zu leben. Ich müsste es auch, etwa wenn meine Frau vor mir stirbt. Aber ich weiß auch, dass es für mich nicht einfach wäre. Man hat natürlich viel Kontakt mit dem anderen Geschlecht. Sich nicht zu verlieben, ist praktisch unmöglich. Aber mit den Gefühlen so umzugehen, dass ich nicht in einem offenen Konflikt mit dem abgegebenen Versprechen des Zölibats lebe, ist sehr schwierig. Das ist ja auch das Dilemma für den steirischen Pfarrer. Es ist menschlich völlig verständlich, dass man Jahre nach dem Versprechen, zölibatär zu leben, entdeckt, dass es nicht gelingt. Die Entscheidung, entweder ein Leben lang heimlich die Liebe zu lebe oder seine Berufung aufzugeben, ist unglaublich schwer. Ich finde den Mut des steirischen Pfarrers toll. Man kann die Situation möglicherweise mit einer Krise in der Ehe vergleichen. Wenn man zehn Jahre, nachdem man das Eheversprechen abgegeben hat, entdeckt, dass man dieses Versprechen nicht mehr einhalten kann. Dann steht man auch vor dem Dilemma: So weiterleben oder sich scheiden zu lassen.

Ein ewiges Argument ist, dass Priester ohne Familie sich besser auf ihre Pfarrgemeinde konzentrieren können. Wer, wenn nicht Sie, wissen, ob Familie und Priesteramt vereinbar sind ...?

Es ist möglich, es kann gut gehen, aber es ist nicht einfach. Unbedingte Voraussetzung dafür ist, dass die Partnerin alles voll mitträgt. Man kann durchaus einen anderen Zugang zur Spiritualität haben, aber in gewissen Glaubensfragen sollte eine Harmonie existieren. Die Frau muss hinter dem Beruf stehen und eine Toleranz für ungewöhnliche Arbeitszeiten haben. Ich habe etwa seit Palmsonntag keinen freien Tag mehr gehabt.

Aber die Verfügbarkeit ist nicht das einzige Argument der katholischen Kirche für den Zölibat. Es ist auch Zeichen für das Reich Gottes. Und es gibt viele Menschen, die auf persönliches Glück verzichten müssen, warum auch immer. Auch dafür könnte der Zölibat ein Symbol sein.

Wie würden Sie die Problematik des Pflichtzölibats innerhalb der katholischen Kirche lösen?

Es sollte beide Wege geben. Den Weg des zölibatären Priesters und den Weg des Priesters mit Familie. Die Ostkirche ist ein gutes Modell, hier wurde der Zwangszölibat nie eingeführt. Trotzdem zählt sie zur katholischen Kirche. Die Entscheidung muss aber vor der Weihe fallen: Lebe ich als zölibatärer Priester, dann stehen demjenigen auch sehr zeitintensive Ämter wie Bischof oder Kardinal offen. Oder will ich eine Familie haben.

Wie lange kann die katholische Kirche diese Entscheidung noch auf die lange Bank schieben?

Ich bin froh, dass ich diese Entscheidung nicht treffen muss. Viele hoffen, dass es unter Papst Franziskus schneller geht. Prinzipiell könnte die Frage des Zölibats leichter entschieden werden. Denn hier geht es nicht um eine Glaubensfrage, sondern um eine reine Kirchendisziplinfrage. Aber man muss sich auch bewusst sein, dass die Kirche vor einem strukturellen Umbau steht. Es müssen Wohnmöglichkeiten für die Familien geschaffen werden. Dann muss die Frage des Gehalts neu geregelt und die der Sozialversicherung gelöst werden. Ich werde etwa als Laie bezahlt, weil Priester ein schlechteres Gehalt als Laien haben. Dafür muss ich für meine Wohnung Miete zahlen, was Priester wiederum nicht müssen.

Wäre das Ende des Zölibats nicht ein wichtiges Zeichen für die Modernisierung der Kirche?

Modernisierung würde ich es nicht nennen. Ich würde sagen, mit der Aufhebung des Zölibats öffnet man sich der Lebenswirklichkeit. Da gibt es einen guten Witz: Heutzutage will eigentlich keiner mehr heiraten. Nur die Priester und die Homosexuellen sollen es dürfen (lacht). Die Ehe ist heute gar nicht mehr modern. Aber ich glaube nicht, dass deswegen mehr Menschen am Sonntag in die Kirche gehen werden.

Wer sind die besseren Priester? Verheiratete oder nicht verheiratete Gottesmänner?

Selbstverständlich sieht man die Welt anders, wenn man die Schwierigkeiten der Kindererziehung erlebt und auch den Alltag einer Ehe kennt. Ich bekomme auch viele Briefe von Gläubigen, die mir bestätigen, dass meine Predigten sehr lebensnah sind. Aber ich habe auch viele Kollegen, die wunderbare Ehetipps geben könne.

Wie war die Stimmung, als Sie trotz Ehefrau und vier Kindern die Priesterweihe erhielten. Gab es nicht viel Missgunst?

Es war keine billige Lösung. Das ist eine Ausnahmesituation. Man kann nicht mit dem Hintergedanken, katholischer Priester werden zu wollen, zuerst evangelische Theologie studieren. Das funktioniert nicht. Es war nicht geplant. Anfangs schlug uns auch viel Misstrauen entgegen. Ich wurde nach meinem Übertritt mit Vorwürfen konfrontiert: Sie dürfen ein Eheleben haben, weil sie von der evangelischen Seite kommen, und die katholischen Priester dürfen nicht. Das ist doch unfair. Einmal schrieb mir eine Frau ein Mail, dass sie es nicht aushält, mich am Altar zu sehen, und deswegen nicht mehr in die Kirche kommt. Das hatte einen persönlichen Grund: Denn ihr Mann musste für die Liebe seine Berufung als Pfarrer aufgeben. Ich symbolisierte für diese Frau alles, was ihr Mann nicht haben durfte.

Aber ist es denn nicht unfair. Wie haben Sie ihre Position argumentiert?

Ich habe versucht klarzumachen, dass auch ich ein Risiko für diesen Schritt eingegangen bin. Denn ich hatte keine Garantien beim Wechsel von der evangelischen zur katholischen Kirche. Ich wusste nicht, ob ich wieder Priester werden kann. Das war auch finanziell gesehen ein Risiko, denn meine Frau arbeitete damals wegen der Kinder nicht. Wir standen auf der Straße, weil wir meine Pfarrgemeinde in Gosau verlassen mussten. Wäre die Entscheidung negativ ausgefallen, hätte ich es auch akzeptiert. Denn mir war es wichtig, diesen Glaubensweg zu gehen. Dann hätte ich als Diakon gearbeitet.

Warum wechselten Sie von der liberalen evangelischen zur konservativeren katholischen Kirche?

Das war ein langer Prozess. Es gibt viele Punkte, die ich nach wie vor sehr an der evangelische Kirche schätze. Aber ich habe einfach gemerkt, dass mir in vielen Punkten irgendwann das Katholische näher war. Vor allem, weil sich die evangelische Kirche teilweise extrem in eine andere Richtung entwickelt hat - Schlagwort Modernismus, zeitgeistig und die Auffassung, was ist Familie und was nicht. Das ist nicht meines, und da schoss mir die evangelische Kirche in einigen Punkten über das Ziel hinaus. Es gab viele Gespräche, auch mit dem evangelischen Bischof. Der hat dann gesagt: "Da stoßen Sie bei uns an Ihre Grenzen."

Sie durften im Vorjahr Ihre Tochter als Priester verehelichen?

Ich war sehr bewegt, obwohl in der Situation die Rolle des Vaters zurücktritt und der Priester dominiert.

Würden Sie auch ungläubige Schwiegersöhne oder Schwiegertöchter akzeptieren?

Ja, natürlich. Einer meiner drei Söhne kann mit dem Glauben nicht viel anfangen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob mein Sohn jemals heiraten wird. Ich hoffe es zwar, und ich bete auch dafür.

Heute wird Dechant Maximilian Tödtling (45) seine erste Predigt nach seinem überraschenden "Coming-out" halten. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Pfarrkirche Leoben-Waasen mit Sicherheit bestens besucht sein wird. Denn seine Ankündigung am Ostermontag, das Priesteramt für die Liebe zu einer Frau zu opfern, hat für großen medialen Rummel gesorgt. Zu großen offenbar. Denn Interviews möchte der steirische Dechant vorerst keine mehr geben. "Unsere Beziehung ist eine sehr schützenswerte. Wissen Sie, jahrelang mussten wir unsere Beziehung verbergen. So viel Öffentlichkeit sind wir nicht gewohnt. Außerdem muss auch die Pfarrgemeinde mit meiner Entscheidung leben lernen", erklärt der Dechant.

Im August, so hofft er, wird er bereits von seinem Zölibat entbunden sein. "Freilich finde ich es schade, dass man nicht beides haben kann", sagt Tödtling über den schwierigen Entschluss, seine Berufung aufgeben zu müssen. Sobald das Laisierungsverfahren (die Entbindung vom Zölibat, Anm.) im Vatikan bewilligt ist, möchte er seine große Liebe Nora Musenbichler, die als Koordinatorin der Vinzi-Werke arbeitet, so schnell wie möglich vor den Traualtar führen.

Seit 15 Jahren sind Nora Musenbichler und er ein Paar. "Er ist der Mann meines Lebens", sagt Musenbichler. Sie war erst 17 Jahre alt, als sie sich in den Mann Gottes verliebte, und er war sogleich die große Liebe ihres Lebens. Jetzt kommt endlich das Happy End.

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