Neues Leben auf altem Brauereigrund

Auf den Reininghausgründen in Graz tut sich viel
Die Reininghausgründe im Grazer Westen bergen viel Grün und kaum bekannte Industrieschätze.

Die großen Fässer stehen noch da. "1922" ist aufgedruckt und "Branntwein". Erst der Abbruch einer langen Mauer machte die fast 100 Jahre alten Relikte sichtbar. Edith Zitz führt ihre Begleiter stets auch durch das hohe Gras dorthin. "Ich überlege mir, was passiert mit ihnen? Sie sind nicht denkmalgeschützt. Für mich sind das aber Industriedenkmäler."

Vor zehn Jahren hat die ehemalige Landtagsabgeordneten der Grünen damit begonnen, die Reininghausgründe im Grazer Westen zu durchwandern. Zunächst allein, später mit Interessierten, die sich den unbekannten Stadtteil ansehen wollten. Mittlerweile sind die Streifzüge der Historikerin schon eine Institution.

Dort, wo in den nächsten Jahren Tausende Wohnungen entstehen (siehe Zusatzbericht), war einst eine mächtige Brauerei, die dem Gelände und der vorbeiführenden Straße ihren Namen gab, die Brauerei der Familie Reininghaus. Bier, Branntwein und Liköre wurden bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs hier produziert, ehe die Familie wegen der Nazis emigrieren musste.

Nach dem Krieg hielt die Familie das große Grundstück zusammen und bewahrte ein Stück Stadtgeschichte: So gibt es noch die Teiche, die im Winter froren und aus denen gewaltige Eisblöcke geschnitten wurden. Sie wurden im Stollensystem gelagert, im Sommer kamen die Wirte der Umgebung und holten Eis für ihre Gaststätten. "Das war die Zeit, wo es kaum Kühlschränke gab", schildert Zitz.

Eine Funktion, die heute ebenfalls fast vergessen ist, war die "Ökonomie": Am Gelände gab es auch eine Landwirtschaft, es wurden Schweine gehalten und Milchkühe.

Denkmalschutz

Die alten Industriegebäude stehen zum Teil noch. Tennenmälzerei, Malzsilo, Markthalle und Brunnenhaus sind denkmalgeschützt. Um sie herum und mit ihnen soll die neue Bebauung stattfinden. "Im Moment ist das aber wie ein Niemandsland", sagt Zitz. "Gut zugänglich, nicht devastiert, Leute spazieren hier mit Hunden, es gibt viel Grün."

Andreas Goritschnig hat für noch etwas mehr Grün gesorgt. Der Architekt hat in "Reininghaus 1 bis 11 an der Sonnenuhr" einen Garten angelegt. "Das war ein mobiler Garten, den wir mit Studierenden woanders hatten,der dort weg musste. Also sind wir hierher."

Längst hat sich mehr daraus entwickelt: Sein sogenanntes "Open Lab" in einem alten Firmengebäude sieht Goritschnig als "Brutstätte für ein Gemeinschafts-Pionierprojekt". Eine Kaffeemaschine gibt es auch und damit für die Besucher eine Stärkung, wenn sie auf der Bank vor dem alten Haus sitzen. Diese Bank wurde aus einem Baum gemacht, der auf den Reinighausgründen gewachsen ist und gefällt wurde. "Für mich ist das eine Pioniernutzung und ein bisserl Stadtspielen."

Die Grazer scheinen das Stadtviertel in Beschlag zu nehmen, ehe es zu einem Teil des "Smart City" genannten Projekts verbaut wird. Große Illustrationen sind aufgestellt und zeigen, wie es hier künftig aussehen soll: Begrünte Wohntürme und futuristische Gebäude sind da für jeden zu sehen, der es sehen möchte. Das Gelände ist nicht abgezäunt, sondern frei zugänglich. "Zwischennutzung ist im Rahmenplan erlaubt und ausdrücklich erwünscht", betont Architekt Goritschnig. "Und das funktioniert auch."

52 Hektar. So groß sind die Reininghausgründe. Auf der Homepage www.reininghaus-findet-stadt.at wird ein Vergleich präsentiert: 52 Hektar sind 72 Fußballfelder oder ein Viertel des Vatikans.

Um das Areal zu umrunden, müsste ein Fußgänger eine Stunde und 17 Minuten gehen, ein Radler 21 Minuten fahren, eine Brieftaube sechs Minuten fliegen. Eine Schnecke bräuchte übrigens vier Monate, also eine lange Zeitspanne im Schneckenleben.

Lange zogen sich auch die Diskussionen, was mit dem Land geschehen soll. Bereits in den 1970er-Jahren gab es Ideen, es zu verwerten, doch erst ab 2005 wurde der Gedanke ernsthaft verfolgt: Eine Immobilienentwicklungs-Gesellschaft erwarb das Gelände, scheiterte aber mit der Verwertung. Bei einer Befragung einige Jahre später lehnte die Mehrheit der Grazer den Kauf der Reininghausgründe durch die Stadt selbst ab.

Seit 2012 sind mehrere private Bauträger und Wohnbau-Genossenschaften am Ruder. Sie investieren in den kommenden 15 Jahren insgesamt 720 Millionen Euro in das Wohn- und Gewerbegebiet, die öffentliche Hand steckt 142 Millionen Euro in die Infrastruktur.

So soll Wohnraum für rund 15.000 Menschen entstehen, ebenso ein Schulzentrum, Jugendeinrichtungen, eine Bibliothek, Parkanlagen. Das Gelände wurde in "Quartiere" geteilt, für jedes ist ein eigener Bebauungsplan nötig. Einige sind bereits fertig, bei anderen läuft gerade ein städtebaulicher Wettbewerb.

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