Neuauflage im Tierschützerprozess

APA10133896 - 07112012 - WIEN - ÖSTERREICH: VGT-Obmann Martin Balluch (Verein gegen Tierfabriken) am Mittwoch, 07. November 2012, im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema "Tierversuch: Leid und Erkenntnis untrennbar verbunden?" in Wien. APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
Erneut Anklage gegen fünf von 13 Aktivisten. Martin Balluch ist "entsetzt".

Der Tierschützer-Prozess wird für fünf Aktivisten zur unendlichen Geschichte. Erst am Sonntag strahlte der ORF mit dem Film „Der Prozess“ eine aufwühlende Doku über das umstrittene Verfahren aus. Montagnachmittag gab das Oberlandesgericht Wien (OLG) bekannt, dass es für fünf der 13 Aktivisten ein neues Verfahren geben wird.

Der Hauptvorwurf, die Bildung einer kriminellen Organisation („Mafia-Paragraf“), ist für alle 13 vom Tisch. Allerdings berief der im Verfahren wenig erfolgreiche Staatsanwalt – mittlerweile erster Ankläger des Landesgerichts – gegen fünf Freisprüche in mehreren Punkten. Das OLG gab ihm nun Recht und ordnete einen neuen Prozess in erster Instanz an. Um welche Vorwürfe geht es konkret? Dazu gehören (versuchte) Nötigung, Sachbeschädigung, Tierquälerei und Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Rückblende

Jahrelang ermittelte eine eigene Soko. Tierschützer saßen in U-Haft. 14 Monate dauerte der Prozess, der gravierende Ermittlungspannen aufdeckte und im Mai 2011 mit 13 nicht rechtskräftigen Freisprüchen endete.

Für Jürgen Faulmann heißt es zurück an den Start. Was war sein erster Gedanke? „Positiv.“ Weshalb dies? Der Senat III. im OLG habe in der Causa immer gegen die Eingaben der Tierschützer entschieden und hätte auch einen Schuldspruch fällen können. „Jetzt haben wir die Chance, den Wahrheitsbeweis anzutreten.“ Was war sein zweiter Gedanke? „Das wird mühsam. Psychisch, physisch und finanziell.“

„Entsetzt“ reagierte Martin Balluch, einer der rechtskräftig Freigesprochenen, auf den OLG-Entscheid. Der Obmann des Vereins gegen Tierfabriken hält den Vorwurf der Nötigung für derart absurd, dass er in diesem Punkt eine Selbstanzeige erstatten will. Ein Beispiel dafür: Gegenüber einem Textilriesen, der Pelze vertrieb, kündigten die Aktivisten (angemeldete) Kundgebungen an, sofern er die Ware nicht aus dem Sortiment nehme. Balluch: „Das ist unsere Pflicht.“ Für den Staatsanwalt ist es Nötigung, das OLG befand, dass das Erstgericht sich nicht ausreichend mit den belastenden Beweisen auseinandergesetzt habe.

Das Verfahren verschlang Millionen. Für die Aktivisten war es ruinös. Erste Regressforderungen wurden eingebracht. Balluchs Anwalt fordert etwa 1,1 Millionen Euro für seinen Mandanten.

Reform?

Am Zug ist nun auch Justizministerin Beatrix Karl (VP). Sie zögerte die Reform des „Mafia-Paragrafen“ mit der Begründung hinaus, den OLG-Entscheid abwarten zu wollen. Der Paragraf soll so entschärft werden, dass er nur mehr auf kriminelle Organisationen angewendet werden kann.

In der Causa Tierschützer wurden 2006 Ermittlungen aufgenommen, 2008 gab es Hausdurchsuchungen und Festnahmen, 2010 startete der 14-monatige Monsterprozess am Landesgericht Wiener Neustadt und im Frühjahr 2011 erfolgten die Freisprüche für 13 Tierschützer wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation. Nun wurde vom Oberlandesgericht Wien ein Teil der Freisprüche aufgehoben.

Chronologie des Verfahrens:

21. Mai 2008 - Nach laut den Behörden "mehrjährigen Ermittlungen" werden bei Tierschützern in ganz Österreich Hausdurchsuchungen durchgeführt. Zehn Personen kommen in Untersuchungshaft. Ihnen werden "zahlreiche Brandstiftungen, Gasanschläge und andere schwere Sabotageakte auf Lebensmittelkonzerne, Bekleidungshandelsketten, pharmazeutische Unternehmen, Produzenten landwirtschaftlicher Produkte und jagdliche Einrichtungen" vorgeworfen. Die Beschuldigten seien zudem "verdächtig, radikale Mitglieder einer militanten, unter mehreren Pseudonymen verdeckt auftretenden und international vernetzten Personengruppe zu sein".

13. August 2008 - "Mangels Haftgründen" wird ein Tierschützer aus der Untersuchungshaft entlassen.

2. September 2008 - Nach mehr als 100 Tagen werden auch die restlichen Aktivisten enthaftet. Eine Verlängerung der U-Haft wäre im Hinblick auf das "Ausmaß der realistischerweise zu erwartenden, unmittelbar zu vollziehenden Strafen" wohl "unverhältnismäßig", heißt es in einer Presseerklärung.

11. August 2009 - Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hat einen Strafantrag gegen zehn Tierschützer fertiggestellt. Er umfasst rund 200 Seiten und enthält auch den zentralen Vorwurf der Bildung einer kriminellen Organisation nach dem sogenannten Mafia-Paragrafen 278a Strafgesetzbuch (StGB).

1. Februar 2010 - Die Anklage wird von der Staatsanwaltschaft ausgeweitet. Vor Gericht müssen sich nun 13 Aktivisten verantworten, sechs davon ausschließlich nach Paragraf 278a StGB, sieben weitere u.a. wegen Nötigung und Sachbeschädigung.

2. März 2010 - Der von Kundgebungen begleitete Prozess am Landesgericht Wiener Neustadt beginnt unter großem Medien- und Publikumsinteresse. Vorerst sind 34 Verhandlungstage bis 17. Juni 2010 angesetzt - 88 wurden es schlussendlich.

18. November 2010 - Es wird bekannt, dass eine verdeckte Ermittlerin unter dem Decknamen "Danielle Durand" über ein Jahr lang in den Verein gegen Tierfabriken (VGT) eingeschleust in der Tierschutzszene ermittelt hat. Sie sagt im Dezember und Jänner als Zeugin vor Gericht aus.

31. März 2011 - Mit 15 Stunden Verhandlung ohne längere Pausen geht dieser Prozesstag als der längste in die Geschichte des Verfahrens ein. Er endet erst um 0.11 Uhr.

1. April 2011 - Das Beweisverfahren wird abgeschlossen, zehn Stunden Schlussplädoyers folgen.

2. Mai 2011 - Der Urteilstag: Die Beschuldigten werden von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen, die Richterin übt harsche Kritik an der Soko Bekleidung.

3. Mai 2011 - Die Staatsanwaltschaft ist mit dem Urteil nicht einverstanden und meldet Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld an. "Die Urteilsbegründung ist aus unserer Sicht in vielen Punkten nicht nachvollziehbar gewesen", heißt es.

Anfang Februar 2012 - Das schriftliche Urteil ist ausgefertigt. Die Anklagebehörde hat bis Ende Juni Zeit, um über die Durchführung der Berufung zu entscheiden.

5. Juni 2012 - Die Staatsanwaltschaft Wien stellt ein wegen Falschaussage laufendes Verfahren gegen den damaligen Chef der Soko Bekleidung, Erich Zwettler, ein. Der Erstangeklagte Martin Balluch, Obmann des VGT, hatte gegen den amtierenden Chef des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Anzeige erstattet.

29. Juni 2012 - Der im Mai 2011 erfolgte Freispruch der angeklagten Tierschützer vom Vorwurf des Mafia-Paragrafen 278a StGB ist rechtskräftig. Das Justizministerium kündigt eine Reform des umstrittenen Paragrafen an.

20. Juli 2012 - VGT-Obmann Balluch zeigt Spitzenbeamte des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und des Wiener Landesamts (LVT) wegen übler Nachrede, Verleumdung und Amtsmissbrauchs an. Seine Begründung: Trotz des rechtskräftigen Freispruchs werden die Anschuldigungen im Verfassungsschutzbericht 2012 wiederholt.

27. August 2012 - Das Wiener Straflandesgericht lehnt weitere Ermittlungen gegen die Polizei-Sonderkommission ab.

2. Oktober 2012 - Fünf der 13 im Tierschützer-Prozess ehemals Angeklagten übermitteln dem Oberlandesgericht Wien (OLG) ihre Gegenäußerungen zur Berufung. Die Staatsanwaltschaft hatte nach dem Urteil im Mai 2011 zwar nicht im wesentlichen Anklagepunkt berufen, wohl aber gegen die Freisprüche wegen schwerer Nötigung, Sachbeschädigung, Widerstands gegen die Staatsgewalt und Tierquälerei. Nun ist das OLG am Zug - und das Warten auf einen Ausgang des mittlerweile vier Jahre dauernden Verfahrens geht für die fünf Beschuldigten weiter.

10. Juni 2013 - Das Oberlandesgericht (OLG) Wien hebt einen Teil der Freisprüche auf. Nicht rechtskräftig werden die Freisprüche von fünf Beschuldigten in Bezug auf Nötigung und versuchte Nötigung, Sachbeschädigung, Sachbeschädigung und Tierquälerei sowie Widerstand gegen die Staatsgewalt. Das Landesgericht Wiener Neustadt werde über diese Anklagepunkte eine neue Hauptverhandlung durchzuführen haben.

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