Mikl-Leitner: "Müssen an der Festung Europa bauen"

Wie gut funktioniert der Grenzschutz? Der Bund reagiert auf die Kritik aus der Steiermark.

Es ist eine Hauptaufgabe des Staates, seine Grenzen für die Bürger zu schützen. Und das ist nicht mehr der Fall.“ Mit dieser dramatisch klingenden Aussage befeuerte Steiermarks Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) Mittwochabend die politische Debatte rund um den aktuellen Flüchtlingsstrom in Südösterreich.

Schützenhofer wollte damit den Einsatz von mehr Militär und Polizei an der Grenze zu Slowenien erzwingen. Und er sollte diese Kräfte schon am Tag danach bekommen. Mehr als 600 Soldaten wurden am Donnerstag an die südsteirische Grenze entsandt. Einen derartigen sicherheitspolizeilichen Einsatz des Heeres an einem Punkt gab es seit Jahrzehnten nicht. Ergänzt wurde das Aufgebot durch 265 Polizisten, deren Kontingent auch aufgestockt wurde.

Unter den insgesamt 900 Einsatzkräften befanden sich auch 150 Mann der Militärpolizei. Diese Sondereinheit wurde zu Ordnerdiensten eingeteilt, um den Flüchtlingsstrom in geordneten Bahnen zu halten.

Der Live-Ticker vom Donnerstag

Unkontrollierter Marsch von 1500 Flüchtlingen

Auslöser für diese Konzentration war der unkontrollierte Marsch von 1500 Flüchtlingen, die Mittwochmittag von Spielfeld aus zu Fuß Deutschland erreichen wollten. Um die Menschen nicht zu gefährden, musste die Polizei die Absperrungen entfernen. Die meisten Flüchtlinge gaben aber bald auf, als sie merkten, dass ihr Ziel Deutschland noch Hunderte Kilometer entfernt ist.

Mikl-Leitner: "Müssen an der Festung Europa bauen"

Nachdem sich auch am Donnerstag dieses Szenario wiederholte, erschien Schützenhöfer am Vormittag in Spielfeld, um von „einer unannehmbaren Situation“ zu sprechen. Bereits wenige Stunden später kam ÖVP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner an die Grenze, um ihren politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Zur besseren Bewältigung des Flüchtlingsstroms forderte die Innenministerin ab kommendem Jahr 1500 bis 2000 zusätzliche Planstellen für die Polizei. Im September seien von den Beamten mehr als 420.000 Einsatzstunden geleistet worden. Davon waren fast die Hälfte Überstunden, hieß es aus dem Innenministerium.

Mikl-Leitner sprach weiters von einer Ausnahmesituation. Und sie sieht hier besonders Europa gefordert. Ohne eine Außengrenzkontrolle und funktionierende Hotspots in Griechenland „werden wir der Lage nicht Herr. Wir müssen an der Festung Europa bauen. Das heißt, kein unkontrollierter Zuzug mehr über die EU-Außengrenze.“ Und sie wiederholte die alte Forderung nach einer gerechten Verteilung der Kriegsflüchtlinge „auch auf wirtschaftlich weniger attraktive Länder“.

Beim Koalitionspartner SPÖ stieß Mikl-Leitner bezüglich ihrer Personalwünsche nicht auf taube Ohren. Laut Staatssekretärin Sonja Steßl seien „in dieser Legislaturperiode“ 1000 zusätzliche Polizisten vorgesehen. Eine fixe Zusage für mehr Personal macht die Staatssekretärin dem Bundesamt für Asyl- und Fremdenwesen. Dieses wird um 150 Mitarbeiter aufgestockt. Damit sollen Asylanträge rascher abgewickelt werden.

Sit down, sit down, sit down!“ Immer lauter wurden die Dolmetscher beim Versuch, die Flüchtlinge über Megafone zum Sitzenbleiben zu überreden: Rund 3000 Menschen warteten Donnerstag auf der österreichischen Seite der Grenze darauf, wegzukommen. Sie waren umringt von Soldaten, die Sperrketten bildeten und Lkw, die die Sperrgitter ersetzten.

Tagelang war die Sammelstelle in Spielfeld geordnet und gut organisiert, doch gestern brach Chaos aus: In der Früh entschloss sich die Polizei, die Absperrungen aufzumachen – aus Sicherheitsgründen. Zu voll und zu eng war der Platz bei den Versorgungs- und Registrierungszelten, zu heftig das Gedränge.

2000 Menschen waren allein in der Nacht zum Donnerstag in der Sammelstelle, 500 hatten keinen Platz mehr in den Zelten und mussten im Freien ausharren. Aus Furcht, keinen Bus mehr zu bekommen, fingen die Menschen an, nach vorne zu drängen.

Wie bereits am Mittwoch, versuchten einige Hundert, zu Fuß weiterzukommen. Viele kehrten um. Doch weil sie alle auf dem Lkw-Parkplatz vor der Sammelstelle saßen, stockte der Bustransfer. „Wir werden euch in 50er-Gruppen einteilen und zu den Bussen bringen“, versprachen die Einsatzkräfte mithilfe der Dolmetscher. Gleichzeitig mahnten die sie zur Kooperation.

„Wenn ihr nicht mit uns arbeitet, könnt ihr die Busse vergessen.“ Am späten Nachmittag fuhren dann wieder Busse vor und brachten die Flüchtlinge in Notquartiere in ganz Österreich.

Diese hatten gestern noch Kapazitäten frei: Ihre Auslastung betrug 44 Prozent, berichtet Gerry Foitik vom Roten Kreuz, das die Zuteilung koordiniert. Insgesamt stehen rund 12.000 Notplätze zur Verfügung, 4000 von ihnen sind allerdings für Asylwerber nötig, die im Land bleiben wollen.

Doch auch mit den 8000 Plätzen für die Durchreisenden käme man aus. „Ab Mitte September haben wir pro Tag 5000 bis 7000 Flüchtlinge untergebracht und weitertransportiert. Das ist niemandem aufgefallen“, merkt Foitik an. Das funktioniere allerdings nur, so lange Deutschland weiterhin Flüchtlinge übernimmt. „Wenn das stockt oder eine ganz große Welle kommt, sind wir in einem Tag voll.“

Tausende Wartende

Donnerstagvormittag warteten in Slowenien bereits wieder 12.000 Flüchtlinge. Für Spielfeld wurden bis gestern Abend und für Freitag jeweils weitere 7000 Flüchtlinge erwartet. „Aber ich vermute nicht, dass diese Menschen auf einmal über die Grenze kommen“, meint Foitik. Weitere Zelte für 1000 Menschen sollten noch aufgestellt werden. Die Einsatzkräfte wurden bereits aufgestockt: 900 Polizisten und Soldaten stehen allein in der Steiermark auf Abruf bereit.

Der ÖVP-Bürgermeister von Straß-Spielfeld, Reinhold Höflechner, bat unterdessen die Feuerwehr um Hilfe: Wege in die einzelnen Ortsteile wurden gesperrt. So sollen die Flüchtlinge im Anlassfall auf der Bundesstraße gehalten werden.

„Die Zumutbarkeitsgrenze bei uns ist längst überschritten. Die Leute fürchten sich, viele haben Sorgen“, schildert der Gemeindechef. „Die Stimmung ist längst gekippt.“ Polizeisprecher Fritz Grundnig versucht zu beruhigen: „Das sind keine Schwerverbrecher, die da unterwegs sind. Sie gehen in Geschäfte, kaufen ein und bezahlen ganz normal.“

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