Die letzten Briefe der Mary Vetsera

Die letzten Briefe der Mary Vetsera
Der bekannte Wiener Gastronom Mario Plachutta kaufte eine von Mary Vetseras Mutter verfasste „Denkschrift“, die viele Details der Tragödie von Mayerling enthüllt.

Der Tod des Kronprinzen Rudolf und der Baronesse Mary Vetsera stellt immer noch eines der großen Rätsel der österreichischen Geschichte dar. Nie wurde der Fall wirklich abgeschlossen, immer wieder tauchen neue Gerüchte auf, wie der Sohn des Kaisers und seine Geliebte in Mayerling ums Leben kamen. Zahllose Bücher wurden geschrieben, Dokumentationen gedreht, Mary Vetseras sterbliche Überreste aus dem Grab gestohlen und von Gerichtsmedizinern untersucht – und doch blieb immer ein Teil des Dramas im Dunkeln.

„Verzeiht mir...“

Nun taucht eine von Marys Mutter Helene von Vetsera verfasste „Denkschrift“ über Mayerling auf, in der die letzten Briefe der 17-jährigen Baronesse enthalten sind: „Liebe Mutter“, schreibt sie am 30. Jänner 1889, dem Tag ihres Todes, „verzeiht mir, was ich gethan. Ich konnte der Liebe nicht widerstehen. In Übereinstimmung mit Ihm (Kronprinz Rudolf, Anm.) will ich neben ihm im Friedhof von Alland begraben sein. Ich bin glücklicher im Tod als im Leben. Deine Mary.“ (Helene-Vetsera-Denkschrift Seite 145).

Beschlagnahmt

Die Aufzeichnungen umfassen 148 handgeschriebene Seiten und wurden von Marys Mutter wenige Wochen nach Mayerling diktiert. Sie gingen im selben Jahr noch in Druck, wurden aber sofort vom Wiener Polizeipräsidenten Baron Krauß beschlagnahmt und vernichtet.

Man weiß von fünf handschriftlichen Exemplaren, die Mary Vetseras Mutter vorsichtshalber anfertigen ließ und die sich in nicht näher bekanntem Privatbesitz befinden. Doch ein Exemplar wurde vor zwei Jahren zum Verkauf angeboten und vom Wiener Gastronomen Mario Plachutta für seine „Kaiserhaussammlung“ erworben. Er präsentiert das einzigartige Dokument jetzt via KURIER der Öffentlichkeit.

Auf Seite 48 der Denkschrift steht, welche Rolle der Tod in der Beziehung Rudolfs zu Mary Vetsera von Anfang an spielte: Helene Vetsera zitiert einen Brief Marys an ihre Freundin Hermine Tobis, in dem sie ihr mitteilte, „dass sie von dem Kronprinzen einen eisernen Ehering bekommen habe, der auf der inneren Seite die Buchstaben ,I. L. V. B. I. D. T.’ trug... Im nächsten Briefe theilte sie mit, dass sie wieder bei ihm gewesen sei, wobei er ihr die Inschrift erklärte: ,In Liebe vereint bis in den Tod.’ Sie war selig darüber.“

Kein Zweifel

An der Echtheit der Denkschrift gibt es keinen Zweifel. „Sie enthält viele Details, die nur in Mary Vetseras engster Umgebung bekannt waren“, erklärt die Historikerin und Kronprinz-Rudolf-Biografin Katrin Unterreiner nach genauem Studium des Schriftstücks. „Ebenso klar ist, dass es sich nicht um Helene Vetseras Handschrift handelt. Sie hat ihre Erinnerungen an die letzten Tage und Stunden im Leben der Mary Vetsera vielmehr ihrer älteren Tochter Hanna diktiert.“

Helene Vetsera schreibt auch nicht in der Ich-Form, sondern von sich selbst als „Baronin Vetsera“, um ihre Identität zu verbergen und sich selbst zu schützen.

Die Todesnachricht

Es ist der Vormittag des 30. Jänner 1889. Helene Vetsera ist verzweifelt, da ihre Tochter seit zwei Tagen abgängig ist und sich in Wien das Gerücht verbreitet hat, sie hätte eine Affäre mit dem Kronprinzen. Die besorgte Mutter eilt in die Hofburg, wo sie von der Vorleserin der Kaiserin Elisabeth empfangen wird. „Nach einigen Minuten“, steht in der Denkschrift, „trat Ihre Majestät die Kaiserin ein, von Höchstwelcher die Baronin die furchtbare Todesnachricht erhielt.“

Vorerst kann Helene Vetsera die Tragweite der Mitteilung nicht erfassen. Sie verlässt die Kaiserin, ohne nach der Ursache des Todes ihrer Tochter gefragt zu haben. Doch kaum zurück in ihrem Palais in der Salesianergasse, trifft Eduard Graf Paar, der Generaladjutant des Kaisers, bei der unter Schock stehenden Helene Vetsera ein. Er teilt ihr mit, dass ihre Tochter „den ahnungslosen Kronprinzen vergiftet habe und dann sich selber“. (Denkschrift Seite 90).

Unverschämte Lüge

Eine unverschämte Lüge des engsten Mitarbeiters Kaiser Franz Josephs, denn zu diesem Zeitpunkt war aufgrund der Verletzungen klar, dass die Beiden durch Kopfschüsse und nicht durch Gift gestorben waren. Ebenso gab es keinen Zweifel daran, dass der Kronprinz der Täter war, der zuerst Mary Vetsera und dann sich selbst getötet hatte. Graf Paar schob der Baronesse alle Schuld zu, um dem Kaisersohn die Verantwortung für die Tat zu nehmen.

Als „Beweis“ dafür, dass ihre Tochter eine Mörderin sei, teilt Paar der völlig gebrochenen Mutter mit, „dass die Baronesse Vetsera einmal in einem öffentlichen Vortrage über Gift gesehen wurde“ (was ihre Mutter in der Denkschrift heftig bestreitet), Schließlich wurde Helene Vetsera von Graf Paar mit dem „wohlmeinenden Rath“ versorgt, „heute noch“ Wien zu verlassen.

„Dieser Hinweis“ diente laut Historikerin Unterreiner dem Zweck, „Helene Vetsera davon abzuhalten, nach Mayerling zu fahren, um von ihrer Tochter Abschied zu nehmen. Denn sobald sie deren Leichnam gesehen hätte, wäre ihr aufgrund der Verletzungen klar gewesen, dass Mary erschossen wurde.“

Opfer, nicht Täterin

Die Existenz der jetzt aufgetauchten Denkschrift war bekannt, doch wo sie sich befand war unklar. Bis Katrin Unterreiner sie entdeckte: „Helene Vetsera schrieb ihre Erinnerungen als Rechtfertigung, da sie in Mayerling nicht nur ihre Tochter verloren hatte, sondern als Mutter der angeblichen Mörderin des Kronprinzen auch gesellschaftlich vernichtet war. Mit der Denkschrift wollte sie aufzeigen, dass Mary nicht Täterin sondern Opfer war.“

Helene Vetsera ging tatsächlich auf den „wohlmeinenden Rath“ des Grafen Paar ein und „liess sich willenlos an demselben Abend zur Bahn bringen, um nach Venedig zu reisen. Sie musste Wien verlassen, ohne ihre zärtlich geliebte Tochter im Tode gesehen zu haben“. (Denkschrift Seite 93).

Das ist die Wahrheit

Marys Mutter kehrte aber schon am nächsten Tag nach Wien zurück und erfuhr von ihrem Schwager, Graf Stockau, der mittlerweile in Mayerling war, die Wahrheit: Dass ihre Tochter vom Kronprinzen erschossen wurde.

Von den 200 im Frühjahr 1889 gedruckten Exemplaren der Denkschrift konnten einige gerettet werden, je eines befindet sich in der Wienbibliothek und in der Nationalbibliothek. Doch handelt es sich bei der gedruckten Version um eine stark gekürzte, redigierte und „entschärfte“ Fassung, in der vor allem die aufschlussreichen Briefe fehlen, die Mary Vetsera kurz vor ihrem Tod an ihre Mutter, ihre Freundin Hermine Tobis und ihre Kammerzofe Agnes Jahoda geschrieben hat.

Die von Mario Plachutta erworbene handschriftliche Version ist das einzige bisher aufgetauchte, nicht redigierte, nicht gekürzte und damit auch nicht „entschärfte“ Exemplar der Denkschrift.

Zwei Tage vor ihrem Tod, am 28. Jänner 1889 „um 10 Uhr Vormittag, verliess Mary Vetsera mit der Gräfin Marie Larisch (Kronprinz Rudolfs Cousine, die seine Treffen mit Mary vermittelt hatte) das Haus ihrer Mutter, um nie mehr dahin zurückzukehren.“ (Denkschrift Seite 16).

Zutritt untersagt

Als Mary auch am nächsten Tag nicht nach Hause kam, erstattete die völlig verzweifelte Mutter im Polizeipräsidium die Abgängigkeitsanzeige, wo man ihr mitteilte, nichts unternehmen zu können, wenn der Kronprinz involviert sei und sich an einem seiner Wohnorte befinde. Denn dort war jeder Behörde der Zutritt untersagt.

Weitere 24 Stunden später erfuhr Helene Vetsera durch die Kaiserin vom Tod ihrer Tochter. Der von ihr diktierten Denkschrift und den darin enthaltenen Briefen Marys (siehe auf der linken Seite unten) entnimmt man deutlicher als anderswo, wie die 17-jährige Baronesse in die tödliche Beziehung mit dem Kronprinzen geschlittert ist.

TV-TIPP Einen Bericht von Gabriele Hassler über weitere Prunkstücke der „Kaiserhaussammlung Plachutta“ sehen Sie heute um 19.00 Uhr in „Wien heute“, ORF 2.

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