Listerien-Prozess: „Schrecksekunde war zu lang“

Listerien-Prozess: „Schrecksekunde war zu lang“
Sieben Tote wegen belastetem Käse? Zwei Ex-Manager geben zu späte Reaktion zu.

100 Kolonie bildende Einheiten pro Gramm. Fünffach-Probe. Wissenschaftliches Projekt zum Monitoring. Falsch-positive Begleitflora. Säße da nicht Andreas Peilowich in seinem Rollstuhl ganz am Rand der ersten Reihe im Gerichtssaal, der Prozess um den mit Listerien belasteten Quargel hätte kein Gesicht. Sondern bestünde aus Zahlen und Messwerten.

Der 54-Jährige kann nur noch schwer sprechen, nachdem er an Gehirnhautentzündung erkrankte und im Koma lag. Wie bei den sieben Todesopfern und den neun übrigen, im Strafantrag genannten Schwerverletzten gibt die Staatsanwaltschaft auch an Peilochwichs Schicksal die Schuld verseuchtem Käse: Prolactal als Verband, vier ehemalige Mitarbeiter und der Leiter eines externen Labors sind angeklagt. Sie sollen Ende 2009, Anfang 2010 Käse mit zu hoher Listerienbelastung ausgeliefert beziehungsweise nicht rechtzeitig aus Supermärkten zurückholen haben lassen. Laut Gutachter ist die Listeriose „zumindest mitverantwortlich“ für den Tod von sieben Menschen.

Bis zu drei Jahre Haft

Staatsanwalt Stefan Strahwald sieht darin fahrlässige Gemeingefährdung unter besonders gefährlichen Verhältnissen. Bis zu drei Jahre Haft stehen darauf. „Der Vorwurf ist nicht, dass Listerien im Werk waren und geblieben sind“, erläutert Strahwald. Der relevante Sorgfaltsverstoß betreffe etwas anderes: „Es wurden gesundheitsschädliche Lebensmittel in den Verkehr gebracht.“ Dass das Problem bekannt gewesen sei, belege die Suche nach der Ursache: Abwasserproben wurden genommen, Produktproben, sogar Stuhlproben von Mitarbeitern.

Die beiden ehemaligen Geschäftsführer zeigen sich geständig, wenn auch verhalten. „Wenn aus der Ex-Postsicht der Rückruf zu spät veranlasst worden ist, dann wird sich mein Mandant für schuldig erkennen“, betont ein Verteidiger. Sein Kollege Oliver Plöckinger, der neben einem Ex-Manager auch Prolactal als Firma vertritt, formuliert ähnlich: Als Anfang Jänner 2010 wieder ein positives Ergebnis gemeldet wurde, „hätte mein Mandant die Verantwortung übernehmen sollen. Er steht dazu. Die Schrecksekunde war zu lang.“

Später Rückruf

Die „Schrecksekunde“ dauerte im Fall der Produktion bis 19. Jänner, erst da wurde gestoppt. Beim Rückruf längst ausgelieferter Ware sogar bis 23. Jänner. „Aber aus meiner Sicht war das Ergebnis bereits am 7. Jänner eindeutig“, kommentiert der mitangeklagte Leiter des Prüflabors. Eine Listerienbelastung sei im Herbst 2009 zwar da gewesen, aber nicht auffällig. Das habe sich nach dem Jahreswechsel rasant geändert. „Dieses Ergebnis ist von uns auch so kommuniziert worden, dass das einen Rückruf beinhaltet hätte.“

Richter Raimund Frei hakt nach: Sei der Käse schädlich gewesen? Der Prüfer weicht aus. „Das ist ein anderer Begriff. So ein Produkt gilt als nicht sicher.“ Er selbst betrachtet sich übrigens als „absolut nicht“ schuldig.

Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

Was sind Listerien und wie kann man sich schützen?

In Harzer Käse lauert der Tod, Gift-Quargel und der Keim des Todes. Als Anfang 2010 bekannt wurde, dass listerienverseuchter Käse aus dem oststeirischen Werk Prolactal ausgeliefert worden war, beherrschten solche Schlagzeilen die Medien.

Der drei Seiten dünne Strafantrag der Staatsanwaltschaft Graz ist sprachlich nüchterner, inhaltlich aber deckungsgleich. Prolactal als Verband sowie fünf weiteren Angeklagten wird fahrlässige Gemeingefährdung vorgeworfen mit dramatischen Folgen: sechs Todesopfer in Österreich und eines in Deutschland, zehn zum Teil schwer Verletzte in Österreich. Das soll durch das Bakterium Listeria monocytogenes verursacht worden sein, das die Infektionskrankheit Listeriose hervorgerufen habe. Dies kann zu unangenehmen, aber harmlosen Durchfällen, aber auch tödlichen Gehirnhautentzündungen führen.

Dienstag startet der Strafprozess in Graz, viereinhalb Jahre nach Bekanntwerden des Skandals und dem Ermittlungsbeginn der Staatsanwaltschaft. Bereits Freitag will Einzelrichter Raimund Frei Urteile sprechen.

Ursprünglich hatte die Justiz zwölf Verdächtige im Visier, doch es reduzierte sich auf die Hälfte: Angeklagt sind vier ehemalige Mitarbeiter des Käsewerks, darunter zwei Geschäftsführer, sowie der Chef eines externen Prüflabors und Prolactal als Firma nach der Verbandshaftung. Ihnen wird vorgeworfen, bereits Ende 2009 von der Listerienbelastung im Quargel gewusst zu haben aber das Produkt dennoch an österreichische und deutsche Supermärkte geliefert zu haben.

Trotz Häufung positiver Ergebnisse bei der Untersuchungen der Produkte sei der Quargel weiterhin hergestellt worden worden, heißt es im Strafantrag. Dies, obwohl die Schließung der Produktion wegen der Unbeherrschbarkeit der Listerienproblematik bereits Mitte Dezember 2009 veranlasst hätte werden müssen. Doch erst am 23. Jänner 2010 startete Prolatctal eine Rückrufaktion: 50 bis 60 Tonnen Käse mussten aus den Kühlregalen genommen werden. Eingestellt wurde die Produktion am 16. Februar 2010.

Prolactal präsentierte als Überträger letztlich Dungkäfer, die in die Produktionsstätte gelangt sein sollen. Doch man habe sich an alle Grenzwerte gehalten, hieß es. Dies dürfte auch die Verteidigungslinie werden. "Die Faktenlage liegt auf dem Tisch. Es gibt die Belastung mit Listerien", betont Rechtsanwalt Oliver Plöckinger, der Prolactal sowie einen weiteren Angeklagten vertritt. "Aber ob das strafbar ist oder nicht, ist eine andere Frage." Lebensmittel würden für gesunde Menschen produziert. "Das Riesenthema hier ist, dass alle Betroffenen leider massive Vorschädigungen aufgewiesen haben. Da stellt sich die Frage, ab wann man davon ausgehen muss, dass ein Lebensmittel gesundheitsschädlich ist."

Was Listerien sind und wie man sich davor schützt

Acht Menschen sind zwischen Juni 2009 und Februar 2010 in Österreich und Deutschland nach dem Konsum von mit Listerien verunreinigtem Rohmilchkäse des oststeirischen Werks der Firma Prolactal gestorben. Folgend eine Chronologie des Lebensmittelskandals und der Weg bis hin zum ersten Prozesstag:

Jänner 2010 - Die steirische Landessanitätsdirektion und die damalige Gesundheitslandesrätin Bettina Vollath (SPÖ) erfahren durch die AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) von der Möglichkeit eines Listerienbefalls bei den Produkten der Firma Prolactal. Am 13. und 18. Jänner werden Proben gezogen. Von zehn Teilproben sind sechs befallen. Laut AGES wurde am 15. Jänner der epidemiologische und am 21. Jänner der mikrobiologische Nachweis erbracht, dass es sich um den Käse der Firma Prolactal handelte.

22. Jänner 2010 - Die Landessanitätsdirektion erlässt wegen Gefahr im Verzug einen mündlichen Bescheid, laut dem die Firma keine Produkte mehr in den Verkehr bringen darf. Der schriftliche Bescheid erfolgt am 25. Jänner. Über die zeitliche Abfolge der Alarmierung und das Krisenmanagement entspann sich in der Folge ein Streit zwischen Bundes- und Landesbehörden; die Frage nach der politischen Verantwortung wurde aufgeworfen.

23. Jänner 2010 - Prolactal startet eine Rückholaktion von 50 bis 60 Tonnen Käse. Betroffen sind unter anderem österreichische Märkte von Spar und der Rewe-Gruppe sowie deutsche Lidl-Filialen.

15. Februar 2010 - Es wird bekannt, dass 2009 zwölf Menschen in Österreich an dem im Käse gefundenen Listerien-Typus erkrankt sein sollen. Laut Gesundheitsministerium starben vier der Betroffenen. Auch in Deutschland werden zwei Todesfälle auf den Käse zurückgeführt. 2010 können in Österreich drei von elf Erkrankungen dem Bakterien-Typus zugeordnet werden.

16. Februar 2010 - Prolactal stellt die Produktion ein, bis die Ursachen für die Verunreinigung restlos geklärt sind. Laut Gesundheitsministerium handelt es sich bei dem Listerien-Typus um einen Stamm, der noch nie zuvor eine Erkrankung bei Menschen hervorgerufen hat. Bei zwei Überprüfungen von Prolactal im Jänner und Mai 2009 waren keine Überschreitungen von Listerien-Grenzwerten festgestellt worden.

18. Februar 2010 - Die Grazer Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen ein. Prolactal erneuert die Verbraucherwarnung für den rückgerufenen Käse und warnt vor dem Verzehr. Gleichzeitig beauftragt die Firma ein unabhängiges Expertenteam mit der Ursachenerforschung.

24. Februar 2010 - Ein weiterer Todesfall in Österreich - der fünfte seit Ausbruch der Infektionen - wird bekannt. Um eine groß angelegte Sicherheitskontrolle durchzuführen, stoppt das Hartberger Werk von Prolactal die Auslieferung sämtlicher Produkte.

26. Februar 2010 - Auch in Deutschland ist ein weiteres, das insgesamt dritte Todesopfer zu beklagen: Die Person starb nach einem Verzehr des Käses am 11. Februar. Insgesamt sind somit acht Menschen im In-und Ausland im Zusammenhang mit der Listerien-Belastung in Prolactal-Produkten ums Leben gekommen.

28. Februar 2010 - Ein Fehler im internen Warn- und Kontrollsystem wird als Ursache für die Listerien-Kontamination vermutet. Als Überträger werden Dungkäfer angenommen, die offenbar trotz engmaschiger Fliegengitter durch ein geöffnetes Fenster ins Innere gelangten und im Herbst 2009 auffielen.

1. März 2010 - Laut AGES könnten die ersten Verunreinigungen mit Listerien bereits im Frühjahr 2009 passiert sein. Weiters heißt es, dass Dungkäfer nicht der alleinige Auslöser gewesen sein dürften.

21. April 2010 - Der Nationalrat beschließt eine Novelle zum Lebensmittelgesetz mit dem Ziel, eine schnellere Information der Bevölkerung durch die Behörden bei Lebensmittelskandalen zu gewährleisten. Abgelehnt wurde das BZÖ-Begehren einer Ministeranklage gegen Gesundheits-Ressortchef Alois Stöger (S).

23. April 2010 - Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) fordert für mehrere Geschädigte Schadenersatz.

15. Mai 2010 - Die Staatsanwaltschaft Heilbronn leitet Ermittlungen gegen den Discounter Lidl in Deutschland ein. Käse soll trotz Listerien-Belastung verkauft worden sein.

21. Mai 2010 - Prolactal wird gemeinsam mit dem Stuttgarter Verbraucherschutzministerium in Deutschland angezeigt.

Oktober 2010 - Die Staatsanwaltschaft Graz spricht nach einem eingeholten Gutachten von "Fehlern im Qualitätsmanagement" und "mehreren Nachlässigkeiten".

9. November 2010 - Die Prolactal SauermilchkäsevertriebsgmbH wird vom Linzer Stammbetrieb abgespalten.

9. Dezember 2010 - Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) reicht im Namen von acht Geschädigten eine Sammelklage gegen Prolactal ein.

Juni 2011 - Der VKI hat mit der Firma Prolactal einen Vergleich abgeschlossen. Acht geschädigte Personen bekamen Schadenersatzansprüche in Höhe von 76.000 Euro.

2. Mai 2012 - Es wird bekannt, dass laut einem medizinischen Gutachten bei sieben Konsumenten die Listeriose zumindest mitverantwortlich für den Tod war.

Frühjahr 2013 - Das Amtsgericht Heilbronn verhängte über Lidl Deutschland wegen Verstößen gegen das Lebensmittelrecht Geldstrafen von insgesamt 1,5 Millionen Euro.

23. August 2013 - Die Staatsanwaltschaft Graz erhebt Anklage wegen des Verdachts der fahrlässigen Gemeingefährdung mit Todesfolge in sieben Fällen.

16. September 2013 - Es wird bekannt, dass ich die Anklage gegen vier leitende Angestellte und den Labor-Chef richtet. Als sechster "Angeklagter" wird auch die Firma Prolactal geführt. Diese Vorgehensweise ist aufgrund des Gesetzes bezüglich der Verbandsverantwortlichkeit seit einigen Jahren möglich.

21. März 2014 - Wissenschafter der Veterinärmedizinischen Uni Wien veröffentlichen eine Analyse des Erbguts der beiden für die Todesfälle mitverantwortlichen Bakterienstämme: Sei beide haben unterschiedliche Eigenschaften und sind unabhängig voneinander in den Betrieb gekommen.

10. Juni 2014 - Der für mehrere Tage anberaumte Prozess gegen insgesamt sechs Angeklagte beginnt im Straflandesgericht Graz.

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