„Keine Haft für Hendldiebe“

„Keine Haft für Hendldiebe“
Justizwache und Richter schieben einander Schuld an Missständen zu.

Seit Bekanntwerden der Vergewaltigung eines 14-jährigen U-Häftlings durch Zellengenossen gärt es im Strafvollzug. Richter und Justizwache schenken einander nichts.

„Keine Haft für Hendldiebe“
APA3857408-2 - 30032011 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA 124 CI - Der Prozessauftakt zum sogenannten Wiener Silvestermord ist am Mittwoch, 30 März 2011, im Straflandesgericht geplatzt. Die zuständige Kanzlei hatte übersehen, dass zwei der vier Angeklagten zum Tatzeitpunkt das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und daher vom Gesetz als junge Erwachsene anzusehen sind. Im Bild: Richterin Beate Matschnig APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
Die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig spricht von Folter, weil jugendliche Gefangene in der Justizanstalt Wien-Josefstadt von Freitag 15 Uhr bis Montag sieben Uhr in überfüllten Zellen sich selbst überlassen werden. Albin Simma, FCG-Vorsitzender der Justizwachegewerkschaft, kontert, die Richter würden jeden „Hendldieb“ in U-Haft sperren und damit die Gefängnisse überfüllen. Außerdem würden sie kommen und gehen, wann sie wollen und sich mit ihren Verfügungen nicht um die starren Dienstzeiten des überlasteten Gefängnispersonals scheren.

Im KURIER-Gespräch (siehe Interview) sagt Simma: „In Wr. Neustadt müssen die Kollegen ausgerechnet Freitagnachmittag zig Häftlinge vorführen, weil die Richter eine U-Haft verlängern lassen oder weil eine Anklage kundgetan werden muss. Das könnte man am Donnerstag auch anordnen.“

Richterin Matschnig, vom KURIER damit konfrontiert, entgegnet: „Da hat Herr Simma die Reform der Strafprozessordnung 2008 verschlafen, seit damals werden keine Anklagen mehr kundgemacht. Und Haftfristen kann ich mir als Richter nicht aussuchen.“

Zwangsverpflichtet

„Woher Matschnig das hat“, dass es für die jungen Häftlinge am Wochenende keine Beschäftigung außerhalb der Zellen gibt, weiß Simma nicht und behauptet, Einschluss sei generell um 18 Uhr. Die Kollegen würden „zwangsverpflichtet, ihre Freizeit mit den Häftlingen zu verbringen“.

Matschnig besucht das Gefängnis regelmäßig und hat andere Erfahrungen. „Die Einschlusszeiten am Wochenende um 15 Uhr hat die Vollzugsdirektion nicht bestritten.“

Laut Simma sind es die Richter, die eine Verlegung der jugendlichen Häftlinge von der Josefstadt – wo sie „nichts verloren haben“ – ins Jugend-Gefängnis Gerasdorf, NÖ, verhindern. Sie wollen ihre Klientel nicht so weit weg haben. Deshalb hätten sie auch den Plan einer neuen Jugend-Haftanstalt samt Gericht in Erdberg zu Fall gebracht.

Richterin Matschnig ärgert sich: „Was sagt der? In Erdberg haben wir bei den Plänen mitdiskutiert. Und dass die Jugendlichen in Gerasdorf besser aufgehoben sind, haben wir immer gesagt. Aber das Justizministerium hat uns vorgerechnet, wie viel jeder Transport von dort kostet.“

Bei der Personalnot zeichnet sich übrigens Entspannung ab. Der Mediensturm um die Vergewaltigung des 14-jährigen Häftlings soll der Justizwache ein Plus von 300 Planstellen bescheren.

KURIER: Richterin Matschnig spricht von Folter. Wie bewerten Sie den Strafvollzug?

Albin Simma: Früher war er zu hart, da durfte sich ein Beamter nicht einmal mit einem Häftling unterhalten. Aber heute ist er zu weich. Es kommen sogar Masseure zu den Häftlingen. Und in Gerasdorf (Jugendgefängnis, Anm.) werden Kletterübungen und Gitarrenunterricht angeboten. Um sieben Uhr aufstehen und hart arbeiten, das ist wichtig! Und egoistisch gesagt: Das hilft auch uns, dann ist Ruhe in der Nacht, weil die müde sind.

Ist nicht die Betreuung der Häftlinge, neben der Bewachung, oberste Pflicht der Justizwache?

Die Kollegen sind ausgebrannt. Wir haben einen Höchststand von fast 10.000 Gefangenen. Mit dem Personalstand kann man bestimmte Leistungen nicht anbieten. Und wenn die Richter nicht gleich Gewerbsmäßigkeit annehmen und U-Haft verhängen, wenn einer zwei Parfümerieartikel stiehlt, kriegen wir 10 bis 20 Prozent Häftlinge los. Für solche „Hendldiebe“ sollte es Schnellrichter geben.

Laut einer Studie des Ludwig Boltzmann Instituts kommt es zu Übergriffen durch Justizwachebeamte. Können Sie für alle Kollegen garantieren?

Die Kollegen müssen sich täglich anspucken lassen, da gibt es auch Ausrutscher, und das wird angezeigt. Bei gewissen Vorfällen sollte es ein zwingendes Berufsverbot im Dienstrecht geben. Die Kollegin, die sich in Stein in einen Häftling verknallt und Handys für ihn hineingeschmuggelt hat, gehört weg aus dem Strafvollzug. Was ist, wenn sie eine Waffe reinbringt?

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