Justiz drückt sich vor Transparenz

Justitia will sich nicht immer in die Karten schauen lassen.
Datenschutz versus Öffentlichkeit. Verhandlungstermine werden nicht immer bekannt gegeben.

Um zu beurteilen, wie "zivilisiert" ein Staat ist und wie sehr er Menschenrechte achtet, gilt Transparenz als wichtiges Kriterium. Besonders in der Justiz. Schau- oder Geheimprozesse lassen auf zumindest unterentwickelte demokratische Strukturen schließen. Davon ist Österreich natürlich meilenweit entfernt. Allerdings gebe es im System nicht nur nach Ansicht des Verfassungsrechtsexperten Heinz Mayer Defizite.

Verfassung

Die Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen ist in der österreichischen Verfassung verankert. In der Praxis bleibt das allerdings oft aus. Denn ausgerechnet die Justiz erschwert unbescholtenen Bürgern den Besuch öffentlicher Verhandlungen.

Wichtiger als die Öffentlichkeit erscheint ihr der (Daten-)Schutz von Angeklagten. So wird überhaupt nur ein kleiner Teil aller Verhandlungstermine bekannt gegeben. Die Namen der Angeklagten – die in Deutschland mit dem Termin veröffentlicht werden – bleiben überhaupt ungenannt. Wer so etwas in Erfahrung bringen will, scheitert meist an einem Behörden-Hürdenlauf (siehe Zusatzbericht).

Bis vor etwa 20 Jahren wurden Verhandlungstermine noch in Gerichten öffentlich angeschlagen. Dann beendete ein Höchstgerichtsurteil diese Praxis: Es befand, dass alle Informationen, die jeder Anwesende im Gerichtssaal während eines Verfahrens hören darf, dem Datenschutz unterliegen.

Auf Anfrage hieß es damals, es werde eine Homepage eingerichtet, auf der die Termine bekannt gegeben werden. Das ist nie passiert. Dabei sagt die österreichische Bundesverfassung, Artikel 90. (1), ganz klar: "Die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem erkennenden ordentlichen Gericht sind mündlich und öffentlich."

Die aktuelle Vorgangsweise stößt bekannten Juristen sauer auf: Für den Verfassungsrechtsspezialisten Heinz Mayer ist sie "ein Skandal". Aus seiner Sicht könne der Datenschutz nie und nimmer als Vorwand genutzt werden, eine Verfassungsbestimmung auszuhebeln. "Die Öffentlichkeit ist ja als Kontrolle für die Justiz gedacht."

Lücke

Der Präsident der österreichischen Rechtsanwaltskammer, Rupert Wolff, findet den Status quo eigenartig: "Das ist entweder eine Systemlücke oder eine gewollte Systemlücke", findet er.

Auch der Präsident der österreichischen Richtervereinigung, Werner Zinkl, sieht Ungereimtheiten und Handlungsbedarf. Der Zugang müsse gewährleistet sein. Er sieht aber auch ein rechtliches Problem: "Wir selber dürfen, wenn wir nach Verhandlungsterminen und Angeklagten gefragt werden, gar nicht im System nachschauen. Dafür wurden schon Kollegen verurteilt."

Reform?

Im Justizministerium war man sich des Problems bis zur Anfrage des KURIER offenbar gar nicht bewusst. Nun stellt Sektionschef Christian Pilnacek klar: "Das Grundgesetz verlangt, dass es faktisch möglich sein muss, einer Verhandlung beizuwohnen. Dazu gehört auch, dass die Öffentlichkeit in der Lage ist, Informationen über Zeit und Ort der Hauptverhandlung zu erhalten und dass der Ort der Verhandlung für sie leicht zugänglich ist."

Demnach müssten auch Fragen nach Verhandlungen gegen bestimmte Personen beantwortet werden. Und wenn es für den Obersten Gerichtshof kein Problem sei, einen Verhandlungsspiegel auszuhängen, dann sollte das auch für die erste Instanz gelten. "Wenn es hier an gesetzlichen Grundlagen mangelt, wäre eine Klarstellung im Gerichtsorganisationsgesetz zu treffen", kündigt Pilnacek nun an.

Josef Witzmann aus Krems wurde im April 2015 bestohlen und nahm sich vor, den Prozess gegen den mutmaßlichen Dieb zu besuchen. Nachdem er bei der Polizei Anzeige erstattet hatte, ermittelte diese und hatte auch bald Erfolg. Sie forschte einen Verdächtigen aus, wie das Opfer informell erfuhr. Wittmann rechnete damit, als Betroffener oder Zeuge zu einer Gerichtsverhandlung geladen zu werden. Und er wartete.

Nach eineinhalb Jahren erkundigte er sich bei der Polizei: Der Fall sei längst abgeschlossen und liege seit dem Vorjahr beim Gericht, hieß, es dort. Den Namen des Verdächtigen dürfe man ihm aber nicht nennen. Genau den wollte die Kanzleikraft aber als Allererstes wissen, sobald Witzmann im Landesgericht Krems um den Verhandlungstermin anfragte.

Privatbeteiligter

Schließlich wurde er in ein weiteres Büro geschickt. Dort erinnerte sich eine Justizmitarbeiterin nach längerem Nachfragen an den geschilderten Fall, telefonierte herum und erklärte schließlich: Witzmann erhalte nur dann Auskunft, wenn er als Privatbeteiligter an dem Verfahren angeschlossen sei. Also musste er ein entsprechendes Formular unterzeichnen und erhielt einige Wochen später eine Verhandlungsinformation für den 11. Oktober 2016 zugeschickt. In dieser war der Name das Angeklagten ausgeschrieben, weil eine Anklage ab der Zustellung an den Angeklagten als öffentlich gilt.

Der KURIER begleitete Witzmann zu dem Prozesstermin – zu dem der Angeklagte allerdings gar nicht vorgeladen war, sondern andere Personen wegen anderer Delikte. Der Genannte sei gar nicht mehr der Verdächtige in dem Fall, sagte die Richterin zu Witzmann auf dessen Nachfrage.
Also leere Kilometer. „Gut, dass ich in Krems wohne. Man stelle sich vor, ich wäre eigens aus Gmünd angereist“, ärgert sich Wittmann. Der bis heute noch nicht weiß, ob und wann ein Prozess stattfindet. Von der Justiz fühlt er sich abgeschasselt.

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