IGGiÖ rät muslimischen Frauen zum Kopftuch

Gutachten: Islamische Glaubensgemeinschaft rät zur Verhüllung, "aber hiesige Tradition berücksichtigen". Kurz und Duzdar reagieren.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) rät erwachsenen weiblichen Muslimen zum Tragen eines Kopftuchs. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten des theologischen Beratungsrats, über das Österreich berichtete. Kritik daran kam von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) und SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar.

Was im Gutachten steht

"Für weibliche Muslime ab der Pubertät ist in der Öffentlichkeit die Bedeckung des Körpers, mit Ausnahme von Gesicht, Händen und nach manchen Rechtsgelehrten Füßen, ein religiöses Gebot und damit Teil der Glaubenspraxis", heißt es in dem theologischen Gutachten durch Mufti Mustafa Mullaoglu (hier abrufbar). Bei der Vollverschleierung rät er, die "hiesige Tradition zu berücksichtigen und vom Tragen einer Gesichtsbedeckung abzulassen". Die Entscheidung liege aber bei der Frau selbst.

Wann der theologische Beratungsrat aktiv wird

Zudem betont der theologische Beratungsrat der IGGiÖ, dass es sich beim Kopftuch "und generell bei der Kleidung der muslimischen Frau" nicht um ein politisches oder religiöses "Symbol" (sondern um ein Gebot, Anm.) handle. Der Beschluss wurde bereits am 16. Februar verfasst und soll eine der ersten Stellungnahmen des Beratungsrats sein. Dieser wird aktiv, wenn mehrere Muslime innerhalb der Glaubensgemeinschaft Fragen zur Glaubenspraxis haben, eine solche Stellungnahme ist daher nicht verbindlich für die Mitglieder.

Kurz lehnt Verpflichtung "klar ab"

Dennoch hat eine politische Reaktion nicht lange auf sich warten lassen. Kurz lehnt eine Verpflichtung zum Kopftuch "klar ab". "Ich fordere die IGGiÖ auf, offen zu sagen, wie sie zu der Empfehlung auf ihrer Website steht und ob sie dabei bleibt", meinte er im Blatt.

Duzdar meinte: "Eine solche Positionierung ist ein Angriff auf die Freiheit und Selbstbestimmung der Frauen." Es sei nicht akzeptabel, dass Frauen und Mädchen in ihrer Freiheit eingeschränkt würden.

Auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache meldete sich zu Wort und foderte eine gesetzliche "Nachschärfung". "Sowohl das Islamgesetz als auch das geplante Integrationsgesetz sind zahnlos", meinte Strache. Die aktuelle Debatte rund um das "Kopftuch-Gebot" der IGGiÖ zeige "vortrefflich die Bruchlinien zwischen den angeblichen Integrationsbestrebungen der Bundesregierung und den Intentionen der Vertreter der Islamischen Glaubensgemeinschaft, die sich der Integration verweigern". Der "jämmerliche Schleiertanz" von Kurz und Duzda müsse ein Ende haben.

IGGiÖ kritisiert Einmischung

IGGiÖ rät muslimischen Frauen zum Kopftuch
Interview mit dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft Ibrahim Olgun in Wien am 03.01.2017.
Zu einer Klarstellung sah sich IGGiÖ-Präsident Ibrahim Olgun - er ist selbst Theologe - veranlasst, er kritisierte die Einmischung aus der Politik: Die Glaubensgemeinschaft sei eine staatlich anerkannte Religionsgesellschaft mit einem verfassungsrechtlich garantierten Bereich der inneren Angelegenheiten, meinte er auf der offiziellen Website. "Ob und allenfalls wie eine Kopfbedeckung zu tragen ist, fällt in das Zentrum dieser inneren Angelegenheiten."

Das oberste Gebot des Islam lautet: Es soll keinen Zwang geben in Sachen des Glaubens

Das Thema Kopftuch ist auch in der Islamischen Community umstritten. Ednan Aslan (Universität Wien) und Zekirija Sejdini (Universität Innsbruck) sprachen sich bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Wie viel Europa braucht der Islam" am Dienstag vergangener Woche für einen "Islam europäischer Prägung" aus. Aslan begrüßte dabei, dass sich die IGGiÖ nun grundsätzlich zu einer Stellungnahme zu dem Thema durchgerungen habe. "Das Problem auf muslimischer Seite ist aber, dass es uns noch nicht gelungen ist, ein europäisches Gesicht zu zeigen." Wenn die IGGiÖ ihre Stellungnahme auf Basis des Gelehrtenkonsenses (Iǧmāʾ) argumentiere, habe sie den "Kontext und wie die Menschen hier leben nicht verstanden", kritisierte Aslan. Ihm gehe es in dieser Frage darum, "wie und mit welchen Quellen wir unsere Religiosität in der Gegenwart begründen und was den MuslimInnen als unantastbare Wahrheit geboten wird", schrieb Aslan dazu in einer eigenen Stellungnahme am Montag. "Wenn man die Meinungen solcher Gelehrten aus einem Kontext herausnimmt und unüberlegt in die Gegenwart überträgt, legitimieren wir die Gewalt und Unterdrückung der Selbstbestimmung der Menschen", kritisiert Alsan darin.

Die bei der Podiumsdiskussion präsentierte neue Plattform "islamportal.at" will einen Überblick über die wichtigsten Glaubensinhalte bieten. Unter der Frage "Welche Stellung hat das Kopftuch im Koran?" steht in der von Zekirija Sejdini verantworteten Webseite folgende Abhandlung:

"Aus dem Koran geht nicht eindeutig hervor, wie die Form der Kleidung auszusehen hat und welche Körperteile unbedingt wie verhüllt werden müssen. Daher haben sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Arten muslimischer Kleidung gebildet, je nach Region, vorherrschender religiöser Meinung und lokaler Traditionen. Die Interpretationen umfassen ein Spektrum von nur den Busen zu bedecken ohne Kopftuch zu tragen, bis hin zum Gesichtsschleier und Ganzkörperverschleierung. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Mehrheit der MuslimInnen die betreffende Stelle so versteht, dass das Tragen des Kopftuches eine religiöse Verpflichtung ist. In diesem Zusammenhang sei jedoch betont, dass die Kopfbedeckung oder Verhüllung trotz dieser Tatsache weder aufgezwungen werden noch dazu führen darf, dass Frauen, die keine Kopfbedeckung tragen, als unmoralische Menschen betrachtet werden. Die Ausübung einer religiösen Vorschrift ist eine persönliche Interpretation und Entscheidung des einzelnen Menschen. Das oberste Gebot des Islam lautet auch diesbezüglich: "Es soll keinen Zwang geben in Sachen des Glaubens."

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