Integrationsgemeinde 2015: "Wollen Vorbild sein"
Sajad (10) und Marian (9) flitzen am Spielplatz herum. Die Sprossen hinauf, die Seilrutsche hinunter. Die Buben sind Freunde geworden, seit Dezember kicken sie für den SV Eichgraben. Dort ist Sajad mit seinem Papa Wesam (35) in der niederösterreichischen Gemeinde angekommen. Vater und Sohn sind aus dem Irak geflüchtet. Sajads Mama und die kleine Schwester sind noch immer dort.
Eichgraben im Wienerwald ist eine von 28 Kommunen, die die Redaktion für den großen KURIER-Bewerb "Integrationsgemeinde 2015" (siehe unten) nominiert hat. Gesucht werden Orte, wo das Zusammenleben mit Flüchtlingen sehr gut funktioniert.
Ein Ort des Respekts
Der 10-jährige Sajad ist übrigens der beste Spieler in der U10 des SV Eichgraben. Matches darf er aber nicht spielen: Sajad ist noch bei einem Fußballverein im Irak gemeldet und bekommt deshalb keinen Spielerpass in Österreich. Also musste der SV Eichgraben den ÖFB und dieser die FIFA einschalten. Zurück in den Iran will Sajad auf keinen Fall. "Da will er lieber auf dem Fußboden im Turnsaal seiner Schule schlafen", sagt Sajads Vater.
Der KURIER sucht österreichweit die Integrationsgemeinde 2015. Die Redaktion hat zum Start 28 Kommunen nominiert. Jetzt sind die Gemeinden und Initiativen in Österreich gefragt: Sie können in den kommenden Woche ihre Gemeinde für die KURIER-Aktion unter integration[at]kurier.at nominieren. Am Sonntag, 21. Juni, präsentiert der KURIER alle Kandidaten.
Erste Phase der Bewertung
Ab 22. Juni können die KURIER-Leser ihre favorisierten Kommunen zwei Wochen lang bewerten. Der KURIER stellt laufend die Initiativen vor.
Danach entscheidet Jury
Eine hochkarätige Jury (siehe Berichte auf der rechten Seite) wird im Anschluss unter den fünf am besten gereihten Gemeinden Österreichs Integrationsgemeinde 2015 küren.
Bisher sind nominiert
Niederösterreich
Eichgraben Klosterneuburg
Litschau
Maria Enzersdorf
Waidhofen an der Ybbs
Burgenland
Neudörfl
Luising
Wolfau
Oberösterreich
Altmünster
Großraming
Gutau
Obernberg am Inn
Zwettl an der Rodl
Kärnten
Bad Eisenkappel
St. Andrä im Lavanttal
Straßburg im Gurktal
Steiermark
Gleisdorf
Kirchberg an der Raab
Markt Hartmannsdorf
Salzburg
Abtenau
Faistenau
Puch bei Hallein
Tirol
Innsbruck
Kitzbühel
Stans
Vorarlberg
Alberschwende
Batschuns Raggal
Wer die Integrations-Gemeinde 2015 wird, entscheidet nach dem Wählervotum eine fünfköpfige Jury, deren Vorsitz Irmgard Griss übernommen hat. 2014 wurde Griss mit der Leitung der Untersuchungskommission zur Hypo Alpe Adria betraut. Seit der Veröffentlichung des kritischen Hypo-Berichts der sogenannten Griss-Kommission gilt die ehemalige OGH-Präsidentin als das Gewissen der Nation. Im KURIER-Interview analysiert die Top-Juristin, warum die Ängste der Österreicher nachvollziehbar sind und wie man sie überwinden sollte.
KURIER: Frau Griss, die Flüchtlinge bestimmen das politische Tagesgeschehen in Österreich. In Burgenland und in der Steiermark hat das Asylthema die Wahlen stark mitbeeinflusst. Haben Sie Verständnis für die Ängste vieler Österreicher?
Irmgard Griss: Menschen, deren Leib und Leben bedroht ist, haben einen Rechtsanspruch, als Flüchtlinge aufgenommen zu werden. Andererseits ist es nachvollziehbar, dass es Ängste gibt. Ein wesentlicher Grund sind aus meiner Sicht die Zeltlager. Hier kann der Eindruck entstehen: Um Gottes willen, das müssen ja unzählige Flüchtlinge sein, wenn sie in keinem Gebäude mehr Unterschlupf finden können.
Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von den Zeltlagern erfuhren?
Es war ein Schock. Denn Zelte können nur eine Notmaßnahme sein.
Österreich hat schon mehrere Flüchtlingsströme bewältigt. Etwa nach der Ungarn-Krise oder dem Balkan-Krieg.Warum standen damals die Türen im Gegensatz zu heute offen?
Ich glaube, wir sind heute mit komplexeren Problemen konfrontiert, als es damals der Fall war. Da gibt es die grausamen Unrechtsregime, die sich im arabischen Raum gebildet haben. Dazu kommen die extremistischen Strömungen. Es ist nicht leicht zu unterscheiden zwischen den gewaltbereiten Islamisten, den Dschihadisten, Salafisten und den ganz normalen Moslems. Dazu kommen die IS-Rückkehrer, deren Einstellung nur schwer einschätzbar ist. Sind sie geläutert oder noch radikal? All das ist schwer zu durchblicken. Das kann der Grund dafür sein, dass die Zurückhaltung größer sein mag als bei früheren Krisen.
Was kann man gegen die Ängste unternehmen?
Die Österreicher müssen die Nähe zu den Menschen suchen, die Mauern abbauen, die Personen hinter den Asylzahlen kennenlernen. Dann erkennt man schnell, dass auch Flüchtlinge Menschen wie du und ich sind.
Der KURIER sucht die "Integrations-Gemeinde 2015". Welche Rolle kommt den Bürgermeistern zu, wenn Integration gelingen soll?
Die Bürgermeister brauchen viel Mut. Denn Stimmen sind derzeit damit nicht zu gewinnen. Trotzdem sollten sie sich nicht entmutigen lassen und den Anstoß für die Integration geben. Aber eines ist auch klar, ohne das Engagement der ganzen Gemeinde kann der Bürgermeister nichts bewirken.
Was erhoffen Sie sich von der KURIER-Aktion?
Ganz wichtig ist die Bewusstseinsbildung. Man muss den Österreichern begreiflich machen, dass es unsere Verpflichtung ist, Flüchtlinge aufzunehmen, deren Leib und Leben bedroht ist.
Was wäre ein schöner Erfolg?
Wenn mit der KURIER-Aktion erreicht würde, dass die Menschen umdenken, Ängste abbauen und sich mit den Schicksalen der Hilfesuchenden auseinandersetzen, wären wir schon ein großes Stück weiter. Die positiven Beispiele sollten zeigen, dass das Zusammenleben in der Gemeinde nicht gefährdet ist, wenn Flüchtlingen geholfen wird. Ganz im Gegenteil.
Nach dem Votum der KURIER-Leser vergibt folgende fünfköpfige Jury den Titel "Integrationsgemeinde 2015": Ex-OGH-Präsidentin Irmgard Griss (Vorsitz), Rot-Kreuz-Präsident Gerald Schöpfer, Caritas-Präsident Michael Landau, Diakonie-Direktor Michael Chalupka und die stv. KURIER-Chefredakteurin Martina Salomon.
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