Historiker: "Der Islam wird nach anderen Kriterien beurteilt"

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Heiko Heinisch ist Historiker und Islam-Experte. Er spricht sich klar gegen das Kopftuch in der Schule aus und warnt vor muslimischer Abkapselung in unserer Gesellschaft.

KURIER: Sie haben den erst kürzlich erschienenen European Islamophobia Report 2016 gemeinsam mit ihrer Kollegin Nina Scholz analysiert und kritisieren diesen scharf. Was genau stört Sie daran?

Heiko Heinisch: Die österreichischen Politikwissenschaftler Farid Hafez und Enes Bayraklı, die Herausgeber, haben einen pseudowissenschaftlichen Report vorgelegt, der eine politische Agenda verfolgt. Mit einer seriösen wissenschaftlichen Bestandsaufnahme oder gar Forschung hat das Ganze nichts zu tun. Islamophobie wird hier als eine Art Kampfbegriff verwendet.

Was unterstellen Sie den Verfassern?

Mit dem Begriff „Islamophobie“, für den es bis heute keine brauchbare Definition gibt, wird versucht, zwei Phänomene in einem Begriff zusammenzufassen: Feindschaft gegenüber allen Muslimen und Religionskritik. Er differenziert nicht zwischen Ressentiment beladener Hetze und der Aufklärung verpflichteter Kritik an der Religion. Kritische Geister sollen offenbar in die gleiche Ecke gestellt werden wie Rechtspopulisten, Rechtsradikale und Rassisten.

Wie kann man sich den Inhalt des Reports vorstellen?

Es handelt sich um eine zusammenhanglose Aneinanderreihung von als „islamophob“ klassifizierten Handlungen bzw. Aussagen, zum Teil ohne jede Quellenangabe. Zitate werden als islamophob bezeichnet, ohne dies zu begründen. An keiner Stelle wird erklärt, worauf diese Klassifizierung basiert. Im Vorwort heißt es, dass ein Anstieg der „Islamophobie“ zu vermerken sei. Das könnte nur mit einer quantitativen Studie erfasst werden, die dieser Report aber ausdrücklich nicht sein will.

Historiker: "Der Islam wird nach anderen Kriterien beurteilt"
Heiko Heinisch ist Historiker und Autor, arbeitete unter anderem für das Ludwig-Boltzmann-Institut für historische Sozialwissenschaft und schreibt als Kolumnist für The European. Er ist Mitautor des Buches "Europa, Menschenrechte und Islam - ein Kulturkampf?" (Passagen Verlag)

Welchen Begriff würden Sie vorschlagen?

Wenn ein eigener Begriff für speziell gegen Muslime gerichteten Rassismus verwendet werden soll, würde ich für Muslimfeindschaft plädieren. Dieser Begriff benennt, worum es geht: Feindschaft gegenüber Menschen und Angriffe auf sie und ihre Würde. Religionen sind keine Schutzobjekte und haben keine Würde.

Wie berechtigt ist die Angst vor einer Islamisierung Europas oder Österreichs?

Die Angst vor Islamisierung durch Geburtenrate ist durch nichts belegt. Diese passt sich bei eingewanderten Bevölkerungen in der Regel in zwei, drei Generationen an. Aber was sich bereits abzeichnet: Je größer die Gruppe, die eine konservative religiöse Einstellung vertritt, in einer Gesellschaft wird, desto größer ist die Gefahr, dass die Gesellschaft sich insgesamt in diese Richtung bewegt. Sie wird nicht islamisch, aber es besteht die Gefahr, dass sich bestimmte Haltungen und Wertvorstellungen auch außerhalb religiöser Communities ausbreiten. Die hier ansässigen konservativen türkischen Organisationen, wie AKP, ATIB, Milli Görüs oder die Süleymancilar etwa vertreten alle ein sehr konservatives Frauenbild, wenn nicht sogar eine Art der Geschlechtertrennung, um nur einen Aspekt zu benennen. In der Ausbreitung dieses Frauenbildes sehe ich eine Gefahr für eine liberale Gesellschaft.

Ich registriere etwa, dass an manchen Schulen mit einem hohen Prozentsatz muslimischer Schüler und Schülerinnen Kämpfe um kulturelle Hegemonie am Pausenhof geführt werden. Mädchen, die als Musliminnen identifiziert werden und kein Kopftuch tragen, geraten teilweise unter großen Druck. Diesem Klima passen sich, wenn die Gruppe, die es trägt, stark genug ist, bald auch alle anderen an.

Warum konnte das soweit kommen?

Man hat der schleichenden Veränderung lange keine Aufmerksamkeit geschenkt und geglaubt, die Vorteile der offenen pluralistischen Gesellschaft werden à la longue alle überzeugen. Was nicht in dieses Bild passte, wurde ignoriert und tabuisiert. Wie in der islamischen Welt ist der konservative und fundamentalistische Islam auch in Europa stärker geworden.

Wir haben kürzlich an einer größeren Story zu Koranschulen recherchiert. Es war kaum möglich, da Ansprechpartner zu finden. Schon gar nicht, eine zu besuchen.

Ich weiß, was Sie meinen. Wir bekommen bei Forschungen von vielen Vereinen oft nicht einmal Antworten auf unsere Anfragen. Diese mangelnde Transparenz islamischer Vereine kritisiere ich. Sie würden sich auch selbst einen Gefallen tun, wenn sie offener wären.

Und müssen wir das als Gesellschaft akzeptieren, diese Art von Blackbox-Dasein?

Man kann die Leute nicht zur Transparenz zwingen. Aber sie zeigen damit deutlich, dass sie sich nicht als Teil der Gesellschaft begreifen und Abgeschlossenheit nach außen vorziehen. Das ist allerdings nichts, was sich eine Gesellschaft wünschen kann.

Ich habe kürzlich eine Reportage über das Islamische Gymnasium in der Wiener Rauchfangkehrergasse geschrieben. Sie haben Bedenken gezeigt bezüglich des Trägervereins der Schule, er nennt sich SOLMIT.

SOLMIT ist ein Verein der Islamischen Föderation (Milli Görüs). Er residiert an der gleichen Adresse, wie etliche weitere Vereine sowie auch die Zentrale der Islamischen Föderation. Milli Görüs Bewegung ist eine türkisch-nationalistische und islamistische Organisation und ganz sicher nicht als Trägerverein eines Gymnasiums geeignet. Milli Görüs ist der türkische Part der Islamisierungsbestrebungen des 20. Jahrhunderts. Unter Ausnutzung demokratischer Instrumentarien verfolgt sie das Ziel, in der Türkei einen islamischen Staat zu errichten. Ich würde sie als den türkischen Arm der Muslimbruderschaft bezeichnen.

Und was bedeutet das nun, wenn eine Wiener Schule von SOLMIT als Trägerverein unterstützt wird?

Milli Görüs‘ Strategie ist die Unterwanderung von Institutionen bei gleichzeitiger Identitäts- und Segregationspolitik. Dass hier nach wie vor weggeschaut wird, liegt vermutlich auch daran, dass Personen aus diesen Organisationen Teil des politischen Systems sind. In der SPÖ etwa finden sich einige Milli Görüs-Mitglieder, auch in politischen Funktionen. Als die Parteien endlich begannen, sich für Bürgerinnen und Bürger zu öffnen, die selbst oder deren Vorfahren außerhalb der EU geboren sind, wurde aus Naivität oder Desinteresse nicht genauer hingesehen. Das Motto war allzu oft „Hauptsache Migrant“. Das ist auch heute bei der Auswahl von Ansprechpartnern oft noch so. Man nimmt nicht den einzelnen Menschen als Citoyen wahr, sondern Vertreter von Organisationen als Vertreter des Kollektivs „Muslime“.

Sie haben sich ja schön öfter gegen das Kopftuch in der Schule ausgesprochen.

Das Kopftuch ist in den letzten 40 Jahren zum Symbol des politischen Islam geworden. In Tunesien etwa lässt sich das aktuell gut beobachten. Saida Keller-Messahli berichtete unlängst, dass unverhüllte Frauen in immer mehr Vierteln auf der Straße von fremden Männern angesprochen werden, warum sie kein Kopftuch tragen, warum sie herumlaufen wie eine Schlampe. Jede Frau, die diesem Druck nachgibt, wird unweigerlich selbst Teil des Druckes, der auf Frauen ohne Kopftuch lastet. Solcherart Islamisierungstendenzen sind längst nach Europa übergeschwappt. Daher meine ich, dass die Schule ein kopftuchfreier Raum sein sollte. Auch Lehrerinnen sollten kein Kopftuch tragen. Es ist das Recht jeder Muslimin zu entscheiden, ob sie ein Kopftuch trägt oder nicht, aber in Schulen sollten Zeichen der Ungleichstellung der Geschlechter nichts verloren haben.

Das heißt, sie sehen solche Einrichtungen wie das IRGW (Islamisches Realgymnasium Wien) als nicht besonders sinnvoll an in ihrem Dasein.

Die Integration betreffend finde ich sie nicht sinnvoll.

Aber Katholische Gymnasien gibt es ja auch.

Natürlich müsste man prinzipiell über konfessionelle Schulen reden. Allerdings hat die Kirche eine Entwicklung durchlaufen, in der sie sich schließlich dem säkularen Staat unterordnen musste. Ihre Schulen dienen nicht dem Zweck, Kinder von der sie umgebenden Gesellschaft zu separieren. Demgegenüber müssen wir fragen, wozu die diversen islamischen Einrichtungen, Vereine, Schulen, Kindergärten, Koranschulen etc. dienen. Wofür wird diese Infrastruktur genutzt? Häufig zur Abkapselung. Islamische Organisationen betreiben hier Identitätspolitik. Sie bauen das Muslim-Sein als Primäridentität auf, Abweichung davon wird nicht gerne gesehen. Das zeigt sich übrigens auch gerade am Kopftuch: Wenn eine Frau beispielsweise viele Jahre ein Kopftuch trägt und sich dann irgendwann entscheidet, es nicht mehr zu tragen, bedeutet das zumeist ihr gesellschaftliches Aus innerhalb ihrer religiösen Community. Solch ein Verhalten wird als Verrat gewertet.

Der Direktor des IRGW hatte das Kopftuch mit Stöckelschuhen verglichen, er schien da sehr liberal zu sein, also zumindest im Interview mit mir.

Das ist das Standard-Argument, das man immer hört, aber diese Vergleiche mit Stöckelschuhen oder auch Minirock dienen zur Verschleierung identitärer Vorstellungen. Im Gegensatz zum Kopftuch sind diese aber nicht ideologisch aufgeladen, sie sind kein identitäres Merkmal einer ideologischen Gruppe, noch gelten sie als „Empfehlung“ oder gar „Vorschrift“, wie wir das unlängst in einem religiösen Rechtsgutachten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Zusammenhang mit dem Kopftuch lesen konnten.

Inwiefern können Medien und Journalisten hier etwas bewirken?

Berichte sind oft einseitig, weil sie auf einseitigen Informationen beruhen. Journalisten sollten sich mehr Zeit für die Auswahl ihrer Gesprächspartner nehmen. Ich verstehe das schon: Ein Artikel muss wegen der Aktualität schnell fertig werden. Man sucht noch ein zitierbares Statement, also wird eine der bekannten Organisation um eine Stellungnahme gebeten. Dadurch kommen aber immer nur Vertreter bestimmter Islamverbände und Vereine zu Wort, deren Aufgabe naturgemäß eher in Lobbyismus und Kritikabwehr besteht.

Welche Organisationen meinen Sie konkret?

Nehmen wir an, Sie wollen einen Artikel über muslimische Jugendliche schreiben. Vermutlich werden Sie die Muslimische Jugend Österreich kontaktieren, die sich gerne als Vertreterin hier lebender Jugendlicher muslimischen Glaubens präsentiert. Die kennen Sie und wissen auch, dass sie von denen recht rasch eine Antwort bekommen. Das erleichtert Ihnen die Arbeit. Organisationen aus dem Spektrum des politischen Islam sind sehr professionell in der Medienarbeit. Aber dadurch, dass immer die gleichen zu Wort kommen, wird ein gewisses, sehr einseitiges Islambild in die Öffentlichkeit transportiert, das hier lebenden Menschen muslimischen Glaubens nicht gerecht wird.

Also Politik und Medien sollen achtsamer sein.

Ja. Vor allem Politiker verstehen oft nicht, wie politisch islamische Organisationen vorgehen. Daher folgen sie teilweise Einladungen zu bedenklichen Organisationen. Fotos solcher Ereignisse werden von der entsprechenden Organisation umgehend auf der eigenen Website und über die diversen sozialen Medien verbreitet. Das bewirkt zweierlei: Die Organisation erhält einen seriösen Anstrich und wird innerhalb der muslimischen Community aufgewertet, denn sie kann auf Besuche oder Auftritte von Politikern verweisen. Diese Strategie nutzen etwa Organisationen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft geschickt aus und erlangen auf diesem Weg Ansehen und Macht.

Sie kritisieren immer wieder, dass man den Islam nicht kritisieren darf.

Genauer gesagt kritisiere ich, dass versucht wird, ihn gegen Kritik zu immunisieren. Oft genug heißt es, Kritik an der Religion „der Anderen“ stünde „uns“ nicht zu. Allein schon diese „wir-ihr“-Trennung, die in diesem Fall eine religiöse Minderheit aus der Gesellschaft ausschließt, teile ich nicht. Muslime leben hier, wir alle sind die Gesellschaft. Man sollte nicht versuchen, den Islam außerhalb derselben zu platzieren und Muslime vom „uns“ auszuschließen.

Wie sollen wir als Gesellschaft damit umgehen, Stichwort „Integration“?

Mit offenem Diskurs ohne Tabus. Es gibt leider immer wieder Gruppen, die versuchen, jede Kritik am Islam, an Missständen und Menschenrechtsverletzungen (Stichwort: Unterdrückung und Gewalt im Namen der Ehre, Frauenrechte etc.) als rassistisch zu entlarven. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die tatsächlich in rassistischer Diktion über Muslime reden. Jenseits dieser Polarisierung gibt es noch immer zu wenig vernünftige Diskussionen. Das halte ich für einen Fehler, weil genau dadurch die Debatte dem rechten Rand überlassen wurde.

Das ist also eine Schwäche unserer Gesellschaft?

Die Debatte wird heute zumindest offener geführt als noch vor fünf Jahren. Aber es ist immer noch so, dass man sehr schnell ins rechte Eck gestellt wird, dass der Islam und seine Anhänger nach anderen Kriterien beurteilt werden als andere Weltanschauungen und ihre Anhänger. Wenn jemand eine Mohammed-Karikatur zeichnet, sprechen selbst viele Linke und Liberale von Provokation. Und das, obwohl Provokation ja zum Wesen von Karikatur und Satire gehört. Muslime müssen wie alle anderen lernen, dass ihre Religion nicht für alle anderen sakrosankt ist. Im Schlusswort unseres Buches „Charlie versus Mohammed. Plädoyer für die Meinungsfreiheit“ haben Nina Scholz und ich geschrieben: „Der Islam gehört zu Europa, wenn Witze über ihn und Kritik an ihm genauso selbstverständlich sind wie bei anderen Religionen und Weltanschauungen auch.“

Zur Person:

Heiko Heinisch ist Historiker und Autor, arbeitete unter anderem am Ludwig-Boltzmann-Institut für historische Sozialwissenschaft, hat sich lange Zeit mit Nationalsozialismus und Antisemitismus beschäftigt und arbeitet seit einigen Jahren zu den Themen Integration, Islam und Menschenrechte.

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