Haller über Austro-Krieger: "Im Krieg die Sau rauslassen"

Haller über Austro-Krieger: "Im Krieg die Sau rauslassen"
Psychiater Reinhard Haller über die Motivation junger Männer, freiwillig in den Krieg zu ziehen.

Ein junger Vorarlberger geht mit 17 Jahren zum Bundesheer und zieht wenig später in den Krieg: Die kurier.at-Webdoku "Fischer zieht in den Krieg" zeigte vergangene Woche, wie Benjamin Fischer in der Ukraine landete, um gegen Russland zu kämpfen sowie in den Irak und nach Syrien zog, um gegen den IS ins Felde zu ziehen. Warum tut er das? Der bekannte Psychiater und Gerichtsgutacher Reinhard Haller versucht Antworten zu finden.

Haller über Austro-Krieger: "Im Krieg die Sau rauslassen"
honorarfrei - reinhard Haller

Ein knapp 20-Jähriger Österreicher, der behütet aufgewachsen ist, sucht das Abenteuer und landet an der Front – wie kann es dazu kommen?

Dieses Phänomen hat es in unterschiedlicher Ausprägung immer schon gegeben. In meiner Kindheit gab es in meinem Ort zwei, drei, die zur Fremdenlegion gegangen sind. Dieses Söldnertum, um das es hier im Prinzip geht, hat für junge Menschen eine gewisse Attraktivität. Man muss dabei zwei Dinge auseinanderhalten: Was treibt die Menschen weg und was lockt sie hin? Ersteres hat oft mit Außenseitertum und Täuschungen zu tun. Gerade bei jungen IS-Terroristen ist das oft der Fall, dass die hier nicht akzeptiert werden. Viele wollen auch für eine „gerechte Sache“ kämpfen, der Gerechtigkeitsaspekt wird maßlos unterschätzt. Die Jugendlichen, die dort hinziehen, wollen ihre Grenzen ausloten und haben ein hohes Aggressionspotential. Sie wollen etwas ausleben, das in unserer zivilisierten Welt nicht mehr möglich ist - das ist gerade bei jemandem, der so behütet aufgewachsen ist, ein entscheidendes Argument.

Er hat beim Bundesheer Kameradschaft gefunden, es hat ihm dort sehr gut gefallen. Die drei Österreicher, die mit ihm in die Ukraine gefahren sind, hatten denselben Ausbildner beim Heer wie er – ist bei seiner Ausbildung etwas schief gelaufen oder ist da mehr das Gruppengefühl entscheidend?

Sowohl als auch. Es ist klar, dass Menschen, die Selbstwertzweifel haben, durch die Gruppe eine enorme Stärkung erfahren. Möglicherweise war der Ausbildner auch in einem Sinne erfolgreich, dass er die Menschen für das Kriegshandwerk begeistert hat – es ist aber in die falsche Richtung gegangen. Glücklicherweise hat man aber bei uns keine Gelegenheit mehr, dieses Kriegshandwerk auszuüben, keinen „Ort des Bösen“, wie einen Kriegsschauplatz. Weshalb man den woanders sucht.

Was bei ihm erstaunlich ist: Er ist kein Söldner, der für Geld gekämpft hat; er hatte auch keine ideologische Motivation – macht es das nochmal unverständlicher?

Söldner ist man auch, wenn man es aus anderen Gründen macht. Das Problem ist eher, dass man immer denkt, es gibt den einen Grund, warum jemand so etwas macht. Den gibt es eben nicht. Es sind viele Gründe, die jemanden dazu bewegen. Und die laufen oft im Unbewussten ab. Etwa an diesem „Ort des Bösen“ zu sein, wo Dinge legitimiert sind, die bei uns nicht erlaubt sind. Wenn sich jemand in die Rolle des Kämpfers begibt, kommt er in eine sehr mächtige Position, in der er über Leben und Tod bestimmt.

Fischer sagte mehrfach, er wurde zum Soldaten ausgebildet und irgendwann hatte er das Gefühl, er müsse seinen Beruf auch ausüben – er vergleicht das mit einem Chirurgen, der nie operieren kann. Ist das ein Weg, um das, was man tut, vor sich selbst zu rechtfertigen?

Das hat eine oberflächliche Logik, tiefenpsychologisch stehen andere Gründe dahinter. Warum hat er überhaupt das Soldatenhandwerk erlernt? Das ist ja auch kein Zufall. Dort sind die Wege klar, weil sie vorgegeben werden. Das ist vor allem für entscheidungsschwache Menschen wichtig.

In dem Zusammenhang passt es auch, dass er sagt, er finde es schlimmer zu lügen als jemandem in den Kopf zu schießen – basteln sich Soldaten, ob sie das jetzt freiwillig tun oder nicht – ein Weltbild, in dem das okay ist, was sie tun?

Normalerweise hat der Mensch bestimmte Grenzen und Hemmungen, die man überwinden muss, um eine im weitesten Sinn delinquente Handlung zu setzen. Diese Hemmung ist beim Lügen in der Durchschnittsbevölkerung relativ niedrig und bei Tötungen sehr hoch. Aber: Gerade in solchen autorisierten Verhältnissen, wo die Tötung legitimiert ist, sinkt die Hemmschwelle. Das ist derselbe Grund, warum Durchschnittsbürger zu schrecklichen NS-Schergen geworden sind. Oder warum jemand im Zivilleben ein verträglicher Mitbürger ist und im Krieg die Sau rauslässt. Wenn die Aggression autorisiert wird, sinkt die Hemmschwelle für Tötungen.

Wenn jemand von Krieg zu Krieg zieht, und das sehr lange als Abenteuer und als großen Spaß sieht: Ist so jemand eine Gefahr, wenn er wieder zurück im zivilen Leben ist?

Das glaube ich nicht. Die Gefahr ist in erster Linie, dass diese Menschen traumatisiert werden. Man hat dann dasselbe Problem, das man von den Vietnamveteranen kennt. Dass diese Menschen im Frieden ihr Handwerk weiter ausüben, das denke ich nicht. Sie können normalerweise sehr gut unterscheiden zwischen dem Ort, wo man das ausleben kann, und friedlichen Verhältnissen. Viel höher ist die Gefahr, dass er sagt, ich gehe in den nächsten Krieg, um diese Bedürfnisse umzusetzen.

Wie kann man so jemanden wieder in die Gesellschaft integrieren?

Ich glaube, dass solche Menschen professionelle Hilfe brauchen. Dass man mit ihnen reflektiert, wieso sie das Kriegshandwerk so gerne ausgeübt haben. Dass da oft auch Selbstwertzweifel und Gefühle der Leere eine Rolle spielen. Wenn man das aufarbeiten kann, kriegen viele schon die Kurve. Damit es eine Episode bleibt, die abgeschlossen bleibt.

Eine posttraumatische Belastungsstörung, sagt er, sei etwas, das Soldaten angehängt wird, nichts Reales. Verdrängt er, was er gesehen hat, oder gibt es einfach Menschen, denen die Gräuel des Krieges nichts ausmachen?

Es gibt Soldaten, die selbst nicht traumatisiert wurden. Ein Trauma setzt immer Todesangst voraus. Es gibt auch die so genannten „Unberührbaren“, die Resilienten, die das wegstecken können. Die anderen haben sehr wohl Symptome, das zeigen alle Studien. Er hat also entweder Glück gehabt oder er gehört zur Gruppe der Resilienten.

Er beklagt sich immer wieder, dass in unserer Gesellschaft der Krieg in Filmen und Computerspielen verherrlicht wird, und sobald dann jemand wirklich in den Krieg zieht, sind alle schockiert. Hat er da nicht einen Punkt?

Natürlich, dem stimme ich bei. Man darf sich deshalb auch nicht wundern, wenn der Krieg gerade junge, männliche Wesen lockt.

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