Grazer Amokfahrt: "Hab’ gedacht, der Helmut ist tot"

Alen R. sitzt seit Juni in U-Haft: Er rammte mit dem Wagen einen Gastgarten in der Fußgängerzone
Am 20. Juni starben drei Menschen, viele wurden verletzt. Eine Familie war unter den Überlebenden.

Nummer 15, in leuchtgrüner Farbe auf den Gehsteig geschrieben. Das war er, Helmut Leitner. "Er ist direkt auf uns zu", erinnert sich der 62-Jährige. "Ich hätt’ nicht mehr reagieren können, das waren Zehntelsekunden."

Grazer Amokfahrt: "Hab’ gedacht, der Helmut ist tot"
Manuela, Philipp, Helmut und Lukas Leitner
"Das" meint die Amokfahrt von Graz. Vor exakt sechs Monaten starben Adis D., 26, Michaela S., 53 und Valentin, 4, als Alen R., 26, mit seinem grüner Geländewagen minutenlang durch die Innenstadt raste. 36 Menschen wurden dabei zum Teil schwer verletzt.

Zwei von ihnen waren Helmut Leitner und sein jüngster Sohn Philipp, 8. Neben dem Rathaus erwischte der Wagen Vater und Sohn, beide mit ihren Fahrrädern unterwegs. Manuela Leitner, 46, und Lukas, 10, waren ein Stück davor und kamen davon. "Es war laut", erinnert sich Manuela. "Ich hab’ mich umgedreht und er war da."

Zuerst sah sie Philipp am Boden liegen, das Fahrrad regelrecht um ihn gewickelt, ein Bein im 90-Grad-Winkel verbogen, sein Gesicht voll Blut. "Ich denk’ mir, wo ist denn der Helmut? Da dreh’ ich mich um und seh ihn drüben liegen."

Ihr Mann war regungslos und nicht ansprechbar. "Da war eine riesengroße Blutlache. Ich hab’ gedacht, der Helmut ist tot", erinnert sich Manuela. "Ich hab’ dann nur gedacht, ich muss zurück zu meinem Sohn. In den nächsten Minuten stirbt auch mein Sohn." Beide überlebten: Philipp hatte schwerste Verletzungen an den Beinen und leidet noch immer an den Folgen, sein Vater ebenfalls. Helmut Leitner hatte in fünf Wochen fünf Operationen.

Vollgas

Lukas und Manuela blieben physisch unversehrt, doch Lukas musste mitansehen musste, wie Vater und Bruder niedergefahren wurden. "Er hat Vollgas gegeben gegen die Leute", beschreibt der Zehnjährige, der auch der Grazer Kinderbürgermeister ist. "Er ist im Zickzack gegen die Leute gefahren, mich hat er auch angesteuert. Ich hab’ mein Fahrrad weggeworfen und bin weg. Dann ist er auf den Papa und den Philipp zu."

Helmut Leitner lag fünf Wochen im Spital, Philipp knapp zwei. Einige Opfer mussten monatelang in stationärer Behandlung bleiben, berichtet Anwalt Gunther Ledolter (Kanzlei Rath & Partner). Er vertritt rund 50 Opfer der Amokfahrt juristisch, das Gewaltschutzzentrum bietet Rechtsbegleitung an. "Ein Mandant ist erst vor einer Woche aus dem Spital entlassen worden", schildert Ledolter. "Viele Klienten waren lange im Krankenhaus, einige hadern auch schwer mit ihrem Schicksal."

Da als Tatwerkzeug ein Auto benutzt wurde, zahlt die Haftpflichtversicherung die finanzielle Entschädigung der Opfer. Doch Ledolter gibt zu bedenken, dass die Höchstsumme von 5,8 Millionen Euro für Personenschäden wegen der hohen Spitalskosten nicht reichen könnte. "Die Sozialversicherungen werden Regressforderungen haben. Das würde dann so sein, dass die Schadenersatzansprüche der Opfer gekürzt werden müssten." Er hofft auf eine andere Lösung.

Manuela und Helmut Leitner waren mit den Söhnen auch schon wieder in der Innenstadt. "Aber wir gehen eher an der Hauswand entlang, bewusst hinter den Kindern", beschreibt Manuela. Er schaue sich die Menschen jetzt genauer an, überlegt Helmut. "Aber es wär’ falsch, zu sagen, wir haben jetzt nur noch Angst. Wir sind keine Angsthasen."

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