Gesundheitswesen: "System ist nicht mehr leistungsfähig"
455 Tage beträgt die Wartezeit auf eine Katarakt-Operation (Grauer Star, Anm.) im Spital Horn. Im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Eisenstadt müssen Patienten 244 Tage auf eine Hüft-Endoprothese warten. Ein Termin für ein psychiatrisches Erstgespräch ist generell häufig erst nach drei Monaten zu bekommen. Obwohl die Lebenserwartung zunimmt, hält die Zahl der gesunden Lebensjahre nicht Schritt – trotz Gesundheitsausgaben von 35,077 Milliarden Euro 2015 und hoher Ärztedichte.
Es liegt etwas im Argen mit dem Gesundheitswesen, sind sich viele Experten einig. "Eine adäquate, hochqualitative Versorgung ist vielleicht schon bald nicht mehr für alle gewährleistet", warnt Martin Gleitsmann von der Wirtschaftskammer. Man sehe, dass das System nicht mehr "leistungsfähig" sei. Seit 2005 ist die Zahl der Wahlärzte um 42 Prozent gestiegen, während jene der Vertragsärzte nahezu stagniert.
Gleitsmann sowie Gerald Bachinger, Sprecher der Patientenanwälte, Bernhard Rupp (AKNÖ), Thomas Czypionka (Institut für Höhere Studien), Michael Heinisch (Vinzenz-Gruppe) und Eva Höltl (Gesundheitszentrum Erste Group) haben daher zur Taskforce "Gesundheit neu denken" zusammengefunden. In einem Manifest veröffentlichen sie fünf zentrale Forderungen für die Reform des Gesundheitswesens:
Kompetenzen stärken
In erster Linie geht es den Experten darum, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken. Ohne diese hätten Menschen Schwierigkeiten, sich im Gesundheitssystem zurecht zu finden. Es brauche zielgruppengerechte Informationen, etwa für Migranten. Dafür müsse man bereits im Kindergarten und in den Schulen ansetzen, sagt Bachinger. Die Unterstützung der Eltern dürfe nicht mit dem Mutter-Kind-Pass auslaufen, es brauche einen Eltern-Kind-Pass. "Wir brauchen einen Kulturwandel zu mehr Eigenverantwortlichkeit der Patienten", fordert Bachinger. Dafür müsse man ihnen entsprechende Werkzeuge in die Hand geben. Der Fokus müsse auf Prävention liegen. Gefordert wird auch, die Rahmenbedingungen für Menschen in Gesundheitsberufen zu verbessert und Kompetenzen neu zu verteilen.
Qualität steigern
"Wir sammeln zwar viele Daten, aber wir machen sehr wenig damit", hält IHS-Forscher Czypionka fest. Es brauche aber eine stärkere Versorgungsforschung. Die Daten sollten ausgewertet und die Erkenntnisse als Grundlage für Entscheidungen dienen. Die Angleichung der Leistungen der Krankenversicherungen wird erneut gefordert. Was die Wartezeiten betrifft, müssten Ressourcen an die demografische Entwicklung angepasst werden.
Versorgung chronisch Kranker verbessern
"Chronische Krankheiten verursachen 80 Prozent der Kosten", erklärt AK-Experte Bernhard Rupp. 2,6 Millionen Österreicher hätten chronische Gesundheitsprobleme. Es gehe darum, sie in der Beschäftigung zu halten. Das Wiedereingliederungsteilzeitgesetz könne nur der erste Schritt sein. Laut Höltl müsse sichergestellt werden, dass nicht nur völlig gesunde Menschen am Erwerbsleben teilnehmen können. Als Beispiel wird das Konzept der "Teilpension" genannt. Generell müsse der Fokus künftig verstärkt auf psychischen Erkrankungen liegen. Diese sind mit 40 Prozent der bewilligten Fälle der häufigste Grund für Berufsunfähigkeit.
Innovationen
Überregulierung hemme Innovationen. Die Experten schlagen daher einen "Experimentierparagrafen" vor: Für innovative Forschungsmodelle, die dem Gesundheitssystem zu Gute kommen, sollen bestimmte Regulierungen für eine Testphase außer Kraft gesetzt werden können. Zudem brauche es ein Innovationsbudget.
Schnittstellen besser koordinieren
Kritik wurde erneut an der Kompetenzaufteilung geübt. Die Experten fordern eine bundesweit zuständige Stelle für die Finanzierung und Steuerung. Einig sind sie sich, dass es nicht nur um Einsparungen gehe, sondern darum, "dass die Mittel richtig eingesetzt werden", wie Bachinger betont. Einiges wäre nach Ansicht der Taskforce schon jetzt rasch umsetzbar. Manches, wie in NÖ, wird auch schon in Angriff genommen. So wird an der Umsetzung eines Konzepts gearbeitet, das zu Planungszwecken den tatsächlichen Bedarf von Leistungen im Einzugsgebiet eines Spitals erhebt.
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