Gemeindefusionen: "Wer soll da wen schlucken?"

Nicht alle freuen sich über dieses Neujahrsbaby: Max Höfer (li.) und Wolfgang Lagger (re.) wehrten sich gegen Fusion, Harald Mulle und Gerald Murlasits waren dafür.
Am 1.1. treten in der Steiermark die Gemeindefusionen in Kraft. Die Skepsis ist aber immer noch groß.

Am Land ist es Brauch, einen Storch vor dem Haus aufzustellen, sobald sich Nachwuchs einstellt. Die Störche, die derzeit vor vielen Gemeindeämtern stehen, symbolisieren ganz besondere Neujahrsbabys die neuen Kommunen, die durch die Fusionen "geboren" wurden.

Gemeindefusionen: "Wer soll da wen schlucken?"
Fusionen
Auch vor dem Gemeindeamt in Gratwein steht so ein Storch. Gratwein-Straßengel prangt auf dem Ortsschild in seinem Schnabel. Das Baby ist 12.700 Einwohner schwer und hat vier Eltern: Die bisher eigenständigen Gemeinden Judendorf-Straßengel, Gratwein, Eisbach und Gschnaidt verschmelzen.
Gemeindefusionen: "Wer soll da wen schlucken?"
Fusionen
Ihre bisherigen Bürgermeister werden von Regierungskommissär Harald Mulle abgelöst. Er war zwölf Jahre lang SPÖ-Bürgermeister von Judendorf-Straßengel, nun führt er die Amtsgeschäfte für die wesentlich größere Gemeinde fort. Sein Gemeindeamt ist auch das zentrale für den neuen Ort, die Ämter in Gratwein und Gschnaidt werden zu Servicestellen, jenes in Eisbach wird geschlossen. Die Zuständigkeiten werden unter den drei Ämtern aufgeteilt.

Frust

Doch nicht alle vier Bürgermeister können sich für die Fusion erwärmen: Max Höfer, Namenslisten-Ortschef von Gschnaidt, und Wolfgang Lagger, FPÖ-Bürgermeister von Eisbach, zogen mit Einsprüchen vor den Verfassungsgerichtshof.

"Eisbach ist voller Frustration", schätzt Lagger die Stimmung ein. "Ich hab’ keinen einzigen Bürger getroffen, der sagt, das ist super." Seine Gemeinde werde "geschluckt", beschwert sich Lagger. Gratweins bisheriger Ortschef Gerald Murlasits, SPÖ, winkt ab. "Vier werden zu einem. Wer soll da wen schlucken?"

Aber auch Max Höfer wirkt skeptisch. Das ländliche Gschnaidt mit rund 350 Einwohnern passe kaum zu den eher urban ausgerichteten Gemeinden im Speckgürtel von Graz. "Wir sind viel zu disloziert. Die Bevölkerung wollte, dass wir alleine bleiben oder wenn schon fusionieren, dann mit einer kleineren Gemeinde." Damit trifft sich der Ex-Bürgermeister mit der Kritik des Gratweiner Fleischermeisters Franz Rinner. "Zwischen uns und Gschnaidt liegt ein Berg, die sind gut 20 Kilometer weg. Ich tät’ ja gern einmal die Herren in der Landesregierung fragen, ob sie sich die Landkarte angeschaut haben."

Gerald Murlasits und Harald Mulle dagegen haben die Fusionen ihrer Gemeinden bewusst betrieben. "Es war klar, dass im Land etwas passieren muss. Aber Veränderungen sind oft halt am Anfang nicht für alle erfreulich", meint Murlasits.

135.000 Euro Ersparnis an Politikergehältern soll die Zusammenlegung bringen, rechnet Mulle vor. Für die Gemeindebediensteten gäbe es eine Jobgarantie, 90 Arbeitsplätze blieben erhalten. "Ein Vorteil ist sicher, dass wir die Referate effizienter führen können. In gewissen Bereichen wird man die Reform aber erst in zehn, fünfzehn Jahren spüren." Für die Gemeinde mit mehr als 10.000 Einwohnern fließt auch mehr Geld vom Bund, betont Murlasits. "Es gibt mehr Ertragsanteile, weil der Mensch in einer größeren Gemeinde halt mehr wert ist."

Unbemerkt

Sechs Arbeitsgruppen haben sich in den vergangenen zwei Jahren die Aufgabenbereiche angeschaut, von der allgemeinen Verwaltung bis zu Gebühren. Budgets mussten offengelegt werden, Veträge angeglichen. Kindergärten und Schulen bleiben, Vereine und Feuerwehren ebenso, auch bei den bisher unterschiedlichen Gebühren für Wasser oder Kanal ändert sich vorläufig nichts. "Es wäre am Anfang schön, wenn die Bürger gar keinen Unterschied merken würden", findet Harald Mulle.

An der politischen Spitze ändert sich trotz Fusion wohl auch nur wenig. Mulle tritt im März als SPÖ-Spitzenkandidat an, Zweiter auf der Liste ist Murlasits, Höfer folgt als Vierter. Auch Lagger kandidiert wieder für die FPÖ.

Gemeindefusionen: "Wer soll da wen schlucken?"

Geschichte: Die rotschwarzen Fusionswelle ist nicht die erste im Bundesland. Bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren wurden Kommunen reihenweise zusammengelegt, bis 1968 letztlich 561 Gemeinden feststanden. In den folgenden 40 Jahren gab es nur wenige Fusionen.

Leitung: Die Bürgermeister der Fusionsgemeinden werden von Regierungskommissären abgelöst. Sie bleiben im Amt, bis sich die Gemeinderäte nach den Wahlen am 22. März neu konstituieren und Bürgermeister küren. Die Kommissäre sind großteils bisherige Bürgermeister oder Amtsleiter. Die überzähligen Gemeindeämter werden zu Servicestellen.

Namen: Großteils tragen die neuen Kommunen die Bezeichnungen des Ortes, der als zentral gilt. Zuweilen wurden auch neue erfunden oder es gibt Doppelnamen. Die gewohnten Gemeindenamen werden als Ortsteil-Bezeichnungen weitergeführt.

Ortstafeln: Sie dürfen bleiben, an Einfahrten zu den neuen Gemeinden gibt es aber entweder neue oder Zusatzschilder.

Postleitzahlen: Daran ändert sich nichts, sie bleiben in gewohnter Kombination erhalten.

Straßennamen: 120 Bezeichnungen von Straßen oder Plätzen tauchten in den neuen Gemeinden doppelt oder mehrfach auf, etwa Bahnhofsstraße. Sie wurden geändert oder mit dem Zusatznamen des Ortsteiles versehen.

Wappen: Für die neuen Kommunen müssen neue angelegt werden. Wie sie aussehen, kann aber erst nach den Wahlen entschieden werden.

Widerstand: Während 306 Gemeinden freiwillige Fusionsbeschlüsse fassten, wurden 79 vom Landtag per Gesetz dazu verdonnert. 42 Bürgermeister zogen mit Beschwerden vor den Verfassungsgerichtshof, blitzten jedoch ab. Den Freiwilligen versprach das Land Fusionsprämien von jeweils bis zu 50.000 Euro.

Kommentare