Gefängnisse bis 111 Prozent überbelegt

Gefängnisse bis 111 Prozent überbelegt
In Innsbruck wird jeder dritte nach der Halbzeit aus Strafhaft entlassen, in Linz nur jeder 28.

Vor zehn Jahren wurde das Haftentlastungspaket als justizpolitischer Meilenstein gefeiert. Die vorzeitige bedingte Entlassung spätestens nach zwei Drittel der abgesessenen Strafhaft sollte die Regel werden, jene zur Halbzeit ein angestrebtes Ziel. Die Generalprävention (Abschreckung auf potenzielle Täter durch langes Dunsten) sollte keine Rolle mehr spielen, sondern nur noch die spezielle Prognose im Einzelfall zählen.

Die Wirkung dieser Maßnahmen scheint verpufft zu sein. Zum Stichtag 1.1.2017 saßen 8619 Personen hinter Gittern, bestätigt die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Grünen durch Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP). Mehrere Gefängnisse sind überbelegt, wie etwa die Justizanstalt Josefstadt zu 111 Prozent.

"Alle sind am Limit, einige darüber. Das macht die Haftsituation schwierig", sagt der Justizsprecher der Grünen, Albert Steinhauser: "Laut Experten darf eine Justizanstalt nur 90 Prozent ihrer Belagsmöglichkeit erreichen, um sie sinnvoll führen zu können." Steinhauser macht den Überbelag dafür verantwortlich, dass die Zahl der – auch sexuellen – Übergriffe unter Gefangenen, der Attacken gegen Justizwachebeamte und der Suizide ansteigen (siehe auch Bericht unten). Dass viele Haftanstalten aus allen Nähten platzen, liegt am ungebrochenen Nachschub, der zum Teil Kriminaltouristen, dem Schlepper-Unwesen sowie einer beträchtlichen Anzahl von verhafteten IS-Terror-Fanatikern zu verdanken ist. Für die restliche Klientel wären genügend Alternativen zur Strafhaft vorhanden. Der Präsident des Wiener Landesgerichts, Friedrich Forsthuber, erklärte in einem KURIER-Gespräch, wer überhaupt sitzen soll: "Jemand, der eine gravierende Straftat begangen hat und besonders gefährlich ist." Das treffe hochgerechnet nur auf ein Drittel aller Strafgefangenen zu.

Gefängnisse bis 111 Prozent überbelegt
Grafik, Foto: APA/HELMUT FOHRINGER 09.10.2014 46-65467661

300 Mal Fußfessel

Trotzdem sank die Zahl der Fälle, in denen Verurteilte ihre Strafe durch gemeinnützige Leistungen abdienen können, von 1283 im Jahr 2014 auf 1000 im Jahr 2015 auf nur noch 900 im Vorjahr. Und der elektronisch überwachte Hausarrest mit Fußfessel als Alternative zur Haft kommt mit konstant rund 300 Personen auch nicht vom Fleck.

Ein Grund für den Überbelag in den Justizanstalten ist auch die zögerliche Anwendung der bedingten Entlassung. Seit Jahren bleibt die Zahl der Strafgefangenen, die das Gefängnis vorzeitig verlassen dürfen, mit etwa 2800 gleich. Die Zahl der nach zwei Drittel der verbüßten Strafe Entlassenen steigt, dafür sinkt die Zahl jener, die zur Halbzeit frei kommen. Etwa 600 Verurteilte saßen im Vorjahr ihre Strafe fast oder ganz bis zum allerletzten Tag ab.

Christian Grafl, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien, sagt: "Der Wunsch am Stammtisch: Dunsten bis zum Schluss, ist spezialpräventiv (von weiteren strafbaren Handlungen abhalten, Anm.) wenig erfolgreich. Ein Netz zur vorzeitigen bedingten Entlassung ist wirkungsvoller."

Wozu freilich auch die Betreuung gehören würde, aber nur der Hälfte der 2016 bedingt Entlassenen wurde ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt.

Seit Langem ist die Praxis der bedingten Entlassung in Österreich regional krass unterschiedlich. Das hat sich 2016 weiter verschärft. Während im Oberlandesgerichtssprengel Innsbruck jeder dritte Strafgefangene bereits zur Halbzeit nach Hause gehen darf, ist es in Graz jeder siebente, in Wien jeder neunte bis zehnte und in Linz gar nur jeder 28. Steinhauser kritisiert, dass "nicht der geografische Ort entscheidend dafür sein kann, ob man entlassen wird oder nicht."

Die (für 990 Gefangene ausgelegte) Justizanstalt Wien-Josefstadt ist zu 111 Prozent ausgelastet, gefolgt von Graz-Karlau und Wels mit 104 Prozent und Suben mit 103 Prozent. Dass vor allem die in älteren Gebäuden installierten Anstalten überbelegt sind, hält der Grüne Albert Steinhauser für besonders dramatisch, weil ein moderner Strafvollzug hier von Haus aus schon nicht leicht möglich ist.

Für 2016 wurden 505 strafrechtlich relevante Vorfälle im Strafvollzug gemeldet. Darunter gab es 96 tätliche Angriffe auf Justizwachebeamte oder andere Bedienstete in den Justizanstalten, wobei 57 von ihnen verletzt wurden. Erstmals gibt es auch wieder mehr Vergewaltigungen unter zum Teil jugendlichen Häftlingen. Ebenfalls gestiegen ist die Zahl der Suizide auf zehn.

Die regionalen Unterschiede bei der vorzeitigen bedingten Entlassung haben sich weiter verschärft: Während in Innsbruck 31 Prozent aller Verurteilten das Gefängnis bereits nach der Hälfte der verbüßten Strafe verlassen dürfen, sind es in Wien nur zehn (in den Vorjahren war es hier noch zwölf) und in Linz überhaupt nur 3,5 Prozent (in den Vorjahren waren es noch zehn Prozent). Fast oder gänzlich bis zum letzten Tag sitzen in Innsbruck nur zehn, in Wien 20 und in Linz 30 Prozent der Strafgefangenen.

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