Experte: Mehr Gefangene bedeutet weniger Sicherheit

Symbolbild
Warum weniger Menschen einzusperren am ehesten mehr Sicherheit bringt und die Forderungen der Justizwachegewerkschaft nicht sinnvoll sind, erklärt Experte Norbert Leonhardmair.

Ein "Kuschelvollzug" sei der Strafvollzug geworden, kritisierten Justizwachegewerkschafter gestern bei der Präsentation neuer Stichschutzwesten und Teleskopabwehrstöcke. Man wolle "einen menschlichen Strafvollzug, aber keine Überbetreuung von Gefangenen". Die Personalvertreter fordern eine Übernahme der Justizwache ins Sicherheitspolizeigesetz - um mehr Möglichkeiten zu haben, etwa Insassen zu fesseln oder per Video zu überwachen. Ist das sinnvoll? Nein, aber auch irgendwie verständlich, sagt Norbert Leonhardsmair von Vicesse, dem Wiener Institut für Sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung.

Kurier.at: Die Personalvertretung der Tiroler Justizwachebeamten hat gestern ein Ende des „Kuschelvollzugs“ gefordert – was bedeutet das?

Norbert Leonhardmair: Um das Ganze zu veranschaulichen: Die Entwicklung des Belags im Strafvollzug, also die Zahl der Insassen, ist seit 2005 gestiegen, aktuell sind wir bei rund 8800. Das sind über 100 Personen pro 100.000 Einwohner. Ende der Achtziger waren es etwas über 80.

Wie sieht das in vergleichbaren Ländern aus?

In Deutschland sind es etwas über, in der Schweiz etwas unter 80. Es gibt also in Österreich eine relativ hohe Quote und einzelne Anstalten sind überbelegt. Das ist eine Herausforderung, für die Justizwache, aber auch Sozialarbeit und psychische Betreuung werden jetzt schon immer mehr eingeschränkt. Die Einschlusszeiten, also jene, in denen die Gefangenen in den Zellen verbringen, werden immer länger. Gemeinsam mit überbelegten Zellen, lässt das die Übergriffe unter Insassen steigen.

Die Justizwachegewerkschafter wollen „keine Überbetreuung von Gefangenen“, Sie sagen also: Es gibt jetzt schon zu wenig Betreuung.

Ja, diese Betreuungsleistungen im Vollzug zu organisieren wird als ein Mehraufwand gesehen, mehr Wegsperren ist die Reaktion darauf, insbesondere wenn die Gefängnisse so überbelegt sind und die Justizwache unterbesetzt ist. Die Versuche, ÖBB- oder Postangestellte für die Justizwache umzuschulen, sind auch weniger gefruchtet. Solche Forderungen der Gewerkschaft sind also auch als Reaktion auf eine Überforderung der Justizwache zu sehen. Dazu kommt: Das Gehalt ist nicht toll, die Karriereaussichten sind mäßig, es gibt Schichtdienst – die Arbeitssituation ist nicht attraktiv.

Sie verstehen also den Unmut der Gewerkschafter?

Man versucht sich auf die Kernfunktionen zu beschränken, weil alles, was darüber hinausgeht, als zusätzliche Belastung gesehen wird. Trotzdem sind die Forderung natürlich menschenrechtlich nicht zu vertreten. Aber man muss sie verstehen als Indikator für eine überforderte Belegschaft. Und die Maßnahmen die kommen, neue Westen und Stöcke, das sind Befriedungsaktionen. Das ist so, wie wenn ein Medienhaus zehn neue Aufnahmegeräte anschafft – das bessert die Arbeitsbedingungen nicht.

Eine konkrete Forderung ist die Übernahme der Justizwache ins Sicherheitsgesetz – damit man die Insassen unter anderem fesseln und videoüberwachen kann. Eine sinnvolle Forderung?

Nein. Es geht darum, die Errungenschaften des Vollzugs, eine Annäherung an den Alltag, aufrecht zu erhalten. Es wird ja nicht leichter für die Leute, wenn sie isolierter sind. Das kann man sich ja ausrechnen, was das für Folgen hätte, wenn die Leute wieder rauskommen sollen. Aber diese harten Forderungen bedeuten eben nur eine Überforderung. Aber am Ende würde bei solchen Forderungen immer nur eine Sicherheitsverwahrung stehen, das ist nicht der Sinn des Ganzen.

Wie könnte eine bessere Lösung aussehen?

Man muss sich überlegen, wie der Überbelegung zu begegnen ist – also erstmal weniger Leute in Haft zu nehmen. Zusätzlich braucht es Ressourcen, aber strukturelle, keine neuen Ausrüstungsgegenstände. Den Laden ruhig zu halten, das sind nur verzweifelte Reaktionen auf einen schwer zu gestaltenden Alltag.

Was aber bei den Forderungen doch immer durchscheint ist ein: „Den Gefangenen geht es viel zu gut“.

Die Frage ist: Worauf ist das begründet? Klar ist, dass Betreuungsleistungen sinken, die Einschlusszeiten steigen. Es gibt gesellschaftlich betrachtet ein paar Gruppen, auf die darf man halt schimpfen, Asylwerber und Gefängnisinsassen zum Beispiel. Wenn man sich die Situation für die Gefangenen anschaut, ist ihre Situation schlechter geworden.

Immer mehr Häftlinge, sagen die Gewerkschafter, seien nicht resozialisierbar – was bedeutet das?

Langjährige Forschungen zeigen: Am besten ist es, die Leute erst gar nicht in Haft zu nehmen, das macht eine Resozialisierung viel einfacher. Wenn ich jetzt repressiv vorgehe, die Leute dauerhaft einsperre oder in Einzelhaft nehme, verhindert das eine Resozialisierung. Dass ein Zurückfahren der Betreuungssituation außerhalb des Gefängnisses – Sozialarbeit, Betreuung psychisch Kranker – dazu führt, dass mehr Menschen in Kontakt mit der Polizei kommen und letztendlich in den Vollzug, ist auch klar. Wenn es im Vollzug zu Problemen kommt, ist vorher schon viel schief gelaufen. Dass zu viele Menschen inhaftiert werden, die nicht betreut werden können.

Dass die Menschen im Gefängnis nicht besser werden, ist seit vielen Jahren bekannt, eine Reform des Maßnahmenvollzugs lässt seit Jahren auf sich warten – wieso ist es so schwierig, in diesem Bereich etwas zu ändern?

Immer dann, wenn gesellschaftlich etwas schiefläuft, bekommen Polizei und Justizwache damit zu tun – und dass die diese Probleme nicht alleine lösen können, ist auch klar. Nur: Die Folgekosten sind höher als wenn man vorher Prävention leisten würde. Es ist natürlich immer leichter zu sagen, man spart bei den Gefangenen, weil: Warum sollten die etwas bekommen? Aber das führt mit Zeitverzögerung zu Folgeproblemen.

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