Erdoğans Politik schürt Islam-Skepsis in Österreich

Erdoğans Politik schürt Islam-Skepsis in Österreich
Rund 700.000 Muslime sehen sich zum Beginn der Fastenzeit mit stärker werdenden Ressentiments konfrontiert.

Für geschätzte 700.000 Muslime in Österreich beginnt am Samstag der Fastenmonat Ramadan – also für etwa acht Prozent der Gesamtbevölkerung. Aus diesem Anlass wirft der KURIER einen Blick auf das Zusammenleben von Muslimen und Nicht-Muslimen. Und um das ist es nicht zum Besten bestellt, wie das Integrationsbarometer des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) belegt.

Demnach meinen 61 Prozent von 1000 telefonisch befragten Bürgern, dass das Zusammenleben zwischen den beiden Gruppen sehr oder eher schlecht funktioniert. Nur 27 Prozent bewerten es als positiv. 80 Prozent der Befragten sind für strengere Kontrollen in Moscheen, um mögliche Radikalisierungstendenzen entgegenzuwirken. Ebenfalls 80 Prozent sprechen sich für ein Verbot der Vollverschleierung im öffentlichen Raum aus. Und der Aussage, der Islam gehöre zu Österreich, stimmen 76 Prozent nicht zu.

Nach Ansicht mehrerer Experten hat die Skepsis gegenüber Muslimen nicht nur, aber auch mit der politischen Performance des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu tun.

Einander verstärkende Negativbilder

Denn 70 bis 80 Prozent der Vorurteile gegen Muslime würden sich überhaupt nicht gegen die Religion richten, sondern wären antitürkische Ressentiments, meint etwa Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative Mulimischer Österreicher (IMÖ).

Eine Auswirkung der Stimmungsmache rund um das türkische Referendum auf das gesellschaftliche Zusammenleben in Österreich ortet auch Politikwissenschafter Farid Hafez, Mitherausgeber des Europäischen Islamophobie-Reports: „Das ist quantitativ zwar schwer messbar, aber ohne die Debatte über Erdoğans Politik hätten wir aktuell vermutlich weniger Polarisierung.“

Und auch Soziologe Kenan Güngör bestätigt eine aktuelle Erhöhung der antimuslimischen Ressentiments „durch die antidemokratischen Entwicklungen in der Türkei“, den Auslandswahlkampf der AKP, den Vorwurf der Bespitzelung von Erdoğan-Gegnern oder auch die Debatte über österreichisch-türkische Doppelstaatsbürger. Wobei die negative Wahrnehmung türkischstämmiger Personen mit jener von Muslimen (infolge von IS-Terror, Unruhen und Kriegen im arabischen Raum oder in Österreich etwa auch nach der Islam-Kindergarten-Debatte) Hand in Hand gehe. Das eine Negativbild verstärke das andere.

Einen Ausweg könne nur jede Seite für sich in Angriff nehmen, meint der Soziologe. Muslime im Allgemeinen und türkischstämmige Österreicher sollten nicht in der Opferrolle verharren, meint Güngör. „Ebenso wie die Vertreter der Mehrheitsgesellschaft sollte sich jeder einzelne konstruktiv selbst hinterfragen. Jeder sollte sich fragen: ,Welche Beitrag leiste ich?’ Anders entwickeln wir uns nicht weiter.“

Beide Seiten gefordert

In dieselbe Kerbe schlägt Baghajati, der auch als Imam tätig ist. Der gebürtige Syrer mahnt seine Glaubensgeschwister – und da insbesondere Flüchtlinge – zur Eigenverantwortung. Und die Mehrheitsgesellschaft zu mehr Akzeptanz.

Für Neuangekommene gehe es primär darum, so schnell wie möglich Deutsch zu lernen, und sich für österreichische Werte und Traditionen zu interessieren. „Aber nicht, indem man einen vierstündigen ÖIF-Kurs besucht, sondern indem man aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnimmt.“

Der Schlüssel zur Integration sei Bildung, sagt Baghajati. „Bei acht Prozent Muslimen in Österreich, müssten auch acht Prozent der Ingenieure, der Ärzte und Pfleger oder der Lehrer Muslime sein. Aber das müssen wir uns erkämpfen, das wird uns niemand schenken. Und der Rest der Gesellschaft muss dies auch zulassen. Denn die Leute werden hier bleiben.“

Nicht aus der Verantwortung entlassen will Baghajati die „österreichische Politik der Mitte, die fahrlässig immer mehr in Richtung Rechtspopulismus driftet“. Die SPÖ predige zwar sozialdemokratische Werte und die ÖVP christlich-soziale, letztlich habe man den Pfad aber verlassen. Besonders auffällig tue dies zurzeit ÖVP-Chef Sebastian Kurz.

Als gute Gelegenheit für Muslime und Nicht-Muslime, um miteinander in Kontakt zu treten, erachtet Baghajati den Ramadan. „Während der Fastenzeit könnten Muslime ihre Nachbarn zum abendlichen Iftar (Fastenbrechen) einladen und danach könnten die sich mit Einladungen revanchieren.“

Ramadan reformieren

Der muslimische Theologe Mouhanad Khorchide beklagt indes, „dass die breite Masse der Gläubigen unter Fasten nur das Nichtessen und Nichttrinken versteht“ und „dass das Fasten während des Ramadan nach dem Sonnenuntergang zu einem reinen Essensfestival geworden ist, ohne dass von seinem spirituellen Überbau viel übrig geblieben ist“.

Ziel des Ramadans ist es, „andere Werte als die materiellen Werte“ zu entdecken. Khorchide, der an der Uni Münster Imame ausbildet, plädiert dafür, den Ramadan zu reformieren. Als der Ramadan von Mohamed eingeführt wurde, richtete man sich nach den Sonnenauf- und -untergängen in Mekka, wo das Fasten maximal 15 Stunden dauert. „In Europa ist der Ramadan eine Herausforderung, weil die Sonne erst gegen 22 Uhr untergeht. 18 Stunden nichts zu trinken, ist medizinisch nicht gesund“, sagt Khorchide.

Lesen Sie am Sonntag das Interview mit Mouhanad Khorchide.

Neben dem Glaubensbekenntnis, dem täglichen Gebet, der Unterstützung der Bedürftigen durch Spenden und der Wallfahrt nach Mekka, gehört das Fasten im Ramadan zu den fünf Säulen des Islam. Heuer dauert er von 27. Mai bis 24. Juni. Das Fest des Fastenbrechens unmittelbar danach, dieses Jahr also am 25. Juni, ist nach dem Opferfest der zweithöchste islamische Feiertag.

Im Ramadan, dem neunten Monat des islamischen Mondkalenders, soll der Koran herabgesandt worden sein. Muslime verstehen den Zeitraum daher als Monat der inneren Einkehr und der Besinnung. Von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang ist es zum Beispiel verboten zu essen, zu trinken, zu rauchen oder Geschlechtsverkehr zu haben. „Es geht aber um weit mehr: um Großzügigkeit, Hilfsbereitschaft, Geduld und Selbstbeherrschung – darum, ein Gefühl für Bedürftigkeit zu entwickeln“, erklärt Iman Tarafa Baghajati.

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