Engagement hat viele Gesichter: Die neuen freiwilligen Helfer

Freiwillige Helfer beim Roten Kreuz
Die Bereitschaft, spontan anzupacken, steigt deutlich. Allein beim Roten Kreuz kann man auf 73.002 Freiwillige zurückgreifen – sie kommen aus allen Berufen.

Sie stammen aus Österreich, aus der Schweiz oder sind aus Syrien geflüchtet. Sie sind Studenten, Kindergärtnerinnen, Unternehmer. Sie sind auf Jobsuche oder in Pension. Und doch haben sie etwas gemeinsam: Sie engagieren sich als freiwillige Helfer. Das Rote Kreuz verzeichnet einen erfreulichen Trend: Immer mehr Menschen wollen anderen helfen. "Ist die Not groß, gibt es unzählige Menschen, die sich spontan melden", sagt Rot-Kreuz-Präsident Gerald Schöpfer. Das war beim Flüchtlingsstrom oder bei den Unwetterkatastrophen so und das ist auch jeden Samstag so, wenn bei der Österreich-Tafel Lebensmittel für Bedürftige verteilt werden.

Der Unterschied zu früher: Immer mehr Freiwillige melden sich für Projekte, statt sich für Jahrzehnte zu binden. "Eine neue Art der Freiwilligkeit", sagt Schöpfer. Doch auch die ist wertvoll. "Neben dem Beruf geht es eben oft nicht, etwas regelmäßig zu tun."

"Es melden sich Menschen aus unterschiedlichsten Berufen, die bei uns mitarbeiten wollen", bestätigt auch Rot-Kreuz-Sprecher Stefan Müller. "Etwa ein DJ, der bei unseren Veranstaltungen für die Musik sorgen möchte. Oder ein Masseur, der angeboten hat, gestresste Sanitäter zu massieren."

12 Millionen Stunden

73.002 Freiwillige engagierten sich im Vorjahr beim Roten Kreuz: Sie leisteten mehr als zwölf Millionen Stunden ehrenamtliche Arbeit. Bewertet man die von Freiwilligen geleistete Zeit mit 27 Euro pro Stunde, entspricht das einer Summe von mehr als 331 Millionen Euro für das Jahr 2015.

Im Bereich der sozialen Dienstleistungen engagierten sich 19 Prozent mehr als im Jahr davor. Im Rettungsdienst verzeichnete man um zehn Prozent mehr freiwillige Mitarbeiter als 2014.

Drei von ihnen sind Raphaela Schütz (18), Bernhard Martinak (27) und Alexander Schöll (36). Sie arbeiten als Sanitäter in der Bezirksstelle in der Nottendorfer Gasse in Wien- Landstraße. Schütz ist Abendschülerin, Martinak Chemie-Student, Schöll Unternehmer. "Dass hier die unterschiedlichsten Leute zusammenkommen, das ist cool", sagt Schöll. Was sie eint, ist ihre Motivation: "Der Slogan ,Aus Liebe zum Menschen’ stimmt schon. Und hier spürst du, dass du gebraucht wirst", meint Martinak.

Er ist vom Zivildiener zum Freiwilligen geworden – ein klassischer Weg. "Ich habe festgestellt, wie wichtig diese Aufgabe ist. Und was zurückkommt, ist zu 99 Prozent positiv. Ein Lächeln macht vieles wieder gut." Schöll ist über das Team Österreich, das in Notsituationen anpackt, dazu gekommen. "Ich dachte mir: Wenn ich schon da bin, mache ich auch die Ausbildung zum Rettungssanitäter."

Eine Entscheidung, die viel Zeit gekostet hat. Rund ein Jahr dauert die Ausbildung. Bereut hat es keiner der drei. "Die Freiwilligen wachsen zusammen wie eine Familie." Und die freut sich übrigens sehr über weiteren Zuwachs.

„Was sollte ich an einem freien Nachmittag sonst tun? Bevor ich in einem langweiligen Einkaufszentrum herumstehe, bin ich lieber hier“, sagt Karin N. und lacht. Die freundliche junge Frau arbeitet hauptberuflich als OP-Schwester in einem Wiener Krankenhaus.

Doch ein bis zwei Mal pro Woche – „sooft es der Schichtdienst zulässt“ – kümmert sie sich um Obdachlose im Beratungszentrum „Das Stern“ in Wien-Leopoldstadt. Karin N. ist dafür zuständig, die Füße der Obdachlosen zu versorgen: Sie wechselt Verbände, desinfiziert Wunden, trägt Salben auf. „Gerade im Winter haben viele wunde Füße. Sie tragen die Schuhe tagelang und können sich nicht waschen. Wunden entzünden sich daher“, erklärt Martina Pint, Leiterin des „Stern“. Daher sei Karins Hilfe enorm wertvoll.

„Wichtig ist auch: Die Klienten vertrauen ihr. Denn viele genieren sich anfangs, ihre wunden Füße zu zeigen“, ergänzt Pint.
Seit einem Jahr engagiert sich Karin N. ehrenamtlich: „Ich habe einfach im Internet geschaut, wer gebraucht wird“, erzählt sie. „Dann sah ich, dass sie jemanden suchen, der Verbände wechselt. Das passt ideal, da kann ich dank meiner Ausbildung etwas Gutes tun.“

„O Tannenbaum“, singen die Kinder laut und voller Begeisterung. Ein kleiner Bub zeichnet Schneeflocken, ein Mädchen verziert ein Blatt Papier mit bunten Aufklebern. Und inmitten der gut gelaunten Kinderschar sitzt Ines Owusu-Adjei: Sie ist pensionierte Kindergärtnerin und betreut seit Anfang November die Kinder im Flüchtlingsquartier im Geriatriezentrum Am Wienerwald (GZW) in Wien-Hietzing.

Bei Owusu-Adjei war es die Flüchtlingswelle, die sie motivierte, zu helfen. Anfangs war sie in Notquartieren im Einsatz: „Ich habe Essen ausgegeben, Gewand sortiert, Leute getröstet.“ Da bemerkte sie: „Viele Eltern waren traumatisiert und hatten kaum Kraft, sich um die Kinder zu kümmern. Da wusste ich: Diese Kinder zu betreuen ist meine Aufgabe.“ Daher ist die 64-Jährige nun im GZW im Einsatz. Zur Seite stehen ihr Sahra und Samira aus dem Iran. „Sahra war dort selbst Kindergärtnerin“, sagt Owusu-Adjei.

„Spielten Begräbnis“

Die Arbeit sei nicht immer einfach: „Ich musste lernen, wie man mit gewissen Situationen umgeht“, erklärt die 64-Jährige. „Anfangs spielten die Kinder, dass sie einander wiederbeleben oder sogar begraben müssen. Dann bemerkte ich, dass sie ihre furchtbaren Erlebnisse so verarbeiten.“

Mittlerweile spielen, singen und basteln sie aber wieder wie andere Kinder auch. „Sie sind entzückend“, sagt Owusu-Adjei. Helfen möchte sie so lange wie möglich. „Eine Vierjährige aus Syrien hat zu mir gesagt: ’Vorher war alles furchtbar. Bei dir bleibe ich, bis ich heirate’“, fügt Owusu-Adjei hinzu und lacht dabei.

Die Frau liegt auf dem Boden. Eine andere beugt sich über sie und kontrolliert: Ist sie ansprechbar? Atmet sie? Plötzlich beginnen beide leise zu lachen – handelt es sich doch glücklicherweise bloß um eine Übungssituation. Die Frauen sind Teilnehmerinnen an einem „Hilfe-im-Notfall“-Workshop an einer Volkshochschule in Wien-Favoriten. Freiwillige Helferinnen zeigen Migrantinnen, wie sie bestmöglich reagieren, wenn jemand verletzt ist und Hilfe benötigt.
„Haben Sie die Rettung gerufen?“, fragt Kursleiterin Vera. Eine Teilnehmerin lacht, zückt ihr Handy und tut so, als würde sie die Einsatzkräfte verständigen. Danach demonstriert Vera noch, wie man jemanden korrekt in die stabile Seitenlage dreht.

Vera stammt aus der Schweiz, wegen ihres Studiums lebt sie nun in Wien. Abgesehen von ihren Vorträgen im Rahmen der Workshops hilft sie auch Obdachlosen oder Flüchtlingskindern. Man profitiere auch selbst von diesem Engagement, betont sie. „Es gibt einem Selbstbewusstsein, wenn man merkt: Das habe ich gut gemacht.“
Das bestätigt ihre Kollegin Claudia. „Als die Flüchtlinge nach Österreich kamen, war mir klar: Ich muss etwas tun“, erzählt sie. Leider habe sie neben ihrem stressigen Job im Marketing kaum Zeit gefunden. „Da habe ich beschlossen, ich kündige und suche mir eine neue Stelle.“ Neben ihren Fortbildungen engagiert sie sich freiwillig für das Rote Kreuz.

Sprachenvielfalt

Najla aus Syrien und Shazia aus Pakistan helfen ebenfalls: Sie übersetzen, sollte eine Kursteilnehmerin Vera oder Claudia nicht verstehen. „Ich bin selbst geflüchtet. Ich weiß, was Menschen brauchen, wenn sie hier neu sind“, sagt Najla. „Es ist ein schönes Gefühl, wenn man etwas Gutes tut“, betont auch Shazia.
Daher ermuntert Vera auch die Kursteilnehmerinnen: „Wenn Sie freiwillig arbeiten wollen, tun Sie es.
Gerade wenn man mehrere Sprachen spricht, ist das gut. Helfen ist eine schöne
Sache.“

Kommentare