Dschihadisten, made in Austria

Magomed Z. steht am 21. Jänner vor Gericht: Ihm wird die Mitgliedschaft bei der IS-Terrormiliz vorgeworfen.
Wie Behörden, Medien und die Zivilgesellschaft auf Ausreisende und den Dschihad-Kult reagierten.

Samra K., 17, und Sabina S., 15, erlangten traurige Berühmtheit: Die Teenager aus Wien avancierten nach ihrem Verschwinden zu Propaganda-Stars der Mörderbande Islamischer Staat (IS).

Die Wiener Schülerinnen mit bosnischen Wurzeln stehen für ein neues Phänomen: Junge Menschen, die teilweise aus der Mitte der Gesellschaft stammen, und sich mit der Idee des Dschihad identifizieren – und im schlimmsten Fall in Syrien und im Irak mit der IS-Terrorbande für die Errichtung eines Kalifats kämpfen.

2014 stieg die Zahl der Dschihad-Ausreisenden signifikant an: Der Verfassungsschutz hat insgesamt 160 Personen auf dem Radar, die sich im Nahen Osten einer Terrormiliz anschlossen. 30 dürften gestorben, 60 wieder in Österreich sein.

Freilich: Ein Massenphänomen ist es angesichts der Zahlen nicht; und die Ausreisenden sind überwiegend junge Erwachsene oder Erwachsene, und nur in Ausnahmefällen Jugendliche. Dennoch gerieten gerade Letztere in den Fokus: Der Jugend-Kult um die menschenverachtenden Dschihadisten, über den Sozialarbeiter berichteten, rief Politik und Zivilgesellschaft auf den Plan.

Sozialarbeiter waren die ersten, die über das Phänomen Pop-Dschihad öffentlich berichteten und nach Gegenstrategien suchten. Claudia Dantschke, "die" zentrale deutsche Islamismus-Expertin, ließ vor Street- workern im Rahmen einer Fortbildung in Wien mit der These aufhorchen, dass einige Salafisten "die besseren Sozialarbeiter" seien.

Propaganda-Stars

Mehrere Österreicher stiegen dank medialer Präsenz zum Establishment in der IS-Propaganda auf: Jedes Posting von Firas H., 19, aus Wien, wurde gierig von Medien aufgegriffen; Oliver N., 16, Wiener Lehrling, warb in Syrien per Video für IS; Österreichs bekanntester Salafist, Mohamed Mahmoud, zeigte sich mit verstümmelten Leichen. Oft spielten Redakteure unbeabsichtigt den Multiplikator für die IS-Propaganda. Und sie gefährdeten die Ausgereisten: Das medial breitgetretene Gerücht, dass eines der Wiener Mädchen heim wolle, stellte laut Verfassungsschützern eine akute Gefährdung der Betroffenen dar. Das zeigte sich in diesen Tagen, als über die Massentötung heimreisewilliger ausländischer Kämpfer berichtet wurde.

Im medialen Grundrauschen waren nur zögerlich vernünftige Stimmen hörbar: Der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger und der Religionspädagoge Moussa Al Hassan Diaw tragen und trugen zu einer Versachlichung der Debatte bei. Ein Großteil der Ausgereisten habe Wurzeln in Tschetschenien oder Ex-Jugoslawien, schleppe einen Rucksack aus Kriegserfahrungen mit sich und sei sich selbst überlassen worden. Und allen gemein: Ein Gefühl der Entfremdung von der Gesamtgesellschaft. Diaw und Schmidinger gründeten den Verein "Netzwerk sozialer Zusammenhalt", um mit Betroffenen zu arbeiten und Angehörigen zu helfen.

Beratungsstelle

Anfang Dezember ging die staatliche Beratungsstelle Radikalisierung an den Start: Seither kontaktieren 70 Personen die Einrichtung via Hotline oder per eMail, holten sich Tipps oder Hilfe in Form einer Krisenintervention. Der Verfassungsschutz wird um 20 Personen aufgestockt. Mehr als 20 mutmaßliche Dschihadisten wurden im Laufe des Jahres festgenommen (siehe Zusatzbericht unten), darunter der Salafisten-Prediger Ebu Tejma, der stets abstritt, mit dem Verschwinden von Samra K. und Sabina S. etwas zu tun zu haben. Ein Gerücht machte in der Vorwoche die Runde: Eines der Mädchen sei laut einem UN-Experten tot. Ein Indiz dafür scheint es nicht zu geben.

2014 wurden in Österreich insgesamt 24 mutmaßliche Dschihadisten festgenommen. Bei zehn ist nach einer gerichtlichen Überprüfung der Tatverdacht weggefallen, 14 sitzen noch in U-Haft, einer davon bekommt im Jänner 2015 seinen Prozess.

Es handelt sich um den Tschetschenen Magomed Z., in dem die Kremser Staatsanwältin ein Mitglied der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) sieht. Der 30-Jährige soll in Syrien eine Ausbildung im Umgang mit Bomben und Sprengstoff erhalten und unter dem Kampfnamen "Mohmad" im "Heiligen Krieg" am bewaffneten Kampf teilgenommen haben. Seinen Prozess in Krems wird eine Richterin leiten, die sich bisher hauptsächlich mit Sittlichkeitsdelikten befasst hat. Magomed Z. ist nämlich auch angeklagt, pornografische Fotos Minderjähriger aus dem Internet heruntergeladen zu haben.

Noch keine Anklage ist im Fall der an zwei Grenzübergängen gestoppten neun mutmaßlichen Dschihadisten in Sicht. Ein Wiener Bäckersohn mit türkischen Wurzeln hatte Chauffeur gespielt und nach der Festnahme behauptet, die Mitfahrenden hätten nach Syrien in den Krieg gewollt. Für die Aufrechterhaltung der U-Haft über alle neun Personen reichte das bisher. Im Mai war der 22-jährige Osman K. schuldig gesprochen worden, in einem Terrorcamp in Syrien gewesen zu sein, und zu 21 Monaten Haft verurteilt worden. Das Gericht hatte das aus einem sichergestellten Koran mit einer syrischen Geldnote und einem Chat geschlossen, in dem sich der Angeklagte als Gotteskrieger geoutet hatte.

Beim Prediger Mirsad O. alias Ebu Tejma und drei im November gemeinsam mit ihm Verhafteten stehen die Ermittlungen noch ziemlich am Anfang. Ebu Tejma wird von den Ermittlern als Hauptideologe des Dschihad eingeschätzt.

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