Doppelmord in Stiwoll: "Er fühlt sich als Opfer, nicht als Täter"

Die Polizei vermutet den Verdächtigen noch im Raum Stiwoll
Tag 13 auf der Suche nach Friedrich Felzmann. Ein Kriminalpsychologe vermutet Verdächtigen lebend im Raum Stiwoll. Das Heer ist nun mit Spezialgeräten vor Ort.

Wo ist Friedrich Felzmann? "Ich vermute ihn noch Umkreis von Stiwoll", meint Werner Schlojer, Kriminalpsychologe im Bundeskriminalamt. "Er fühlt sich im Wald wohl, er kennt sich dort aus und fühlt sich sicher." Dass der 66-Jährige seinen Wagen neun Kilometer von seinem Haus zurückgelassen hat, enge dessen Bewegungsradius zudem ein.

Seit fast zwei Wochen ist der Steirer untergetaucht. Er soll, wie berichtet, am 29. Oktober zwei Nachbarn erschossen und eine Frau verletzt haben. Vom Obergeschoß seines Hauses aus soll er mit einem nicht registrierten Kleinkalibergewehr geschossen haben: Auf Nachbarn, mit denen er seit Jahren wegen einer Zufahrt stritt und die seine Töchter zu einem klärenden Gespräch eingeladen hatten.

Dennoch glaubt Schlojer nicht, dass der mutmaßliche Mord geplant war. "Das ist situativ an dem Tag selbst entstanden", formuliert der Profiler und meint das Datum. Dieses Gespräch hätte eigentlich am Tag davor stattfinden sollen, wurde aber ohne Wissen des Verdächtigen verschoben. "Er musste also davon ausgehen, dass es schon vorbei ist."

Der Bösewicht

Doch dann standen die Nachbarn auf seinem Grundstück. "Das war sein Zuhause, sein Lebensmittelpunkt. Da ist er persönlich angegriffen worden. Er fühlt sich als Opfer, nicht als Täter." Bisher habe sich der Verdächtige verbal ausgedrückt, schriftlich, aktionistisch", umschreibt der Experte höflich, was andere querulatorisch nennen: (Droh)briefe an Richter oder Staatsanwälte, Zivilprozesse mit Nachbarn, YouTube-Videos über die angeblich ungerechte Justiz, Flugblätter mit Sätzen wie "Ich bin der Bösewicht".

Doppelmord in Stiwoll: "Er fühlt sich als Opfer, nicht als Täter"
ABD0027_20171103 - THAL BEI GRAZ - ÖSTERREICH: Die Suche der Polizei nach einem 66-jährigen Steirer, der am Sonntag, 31. Oktober 2017, in Stiwoll auf seine Nachbarn geschossen und zwei von ihnen getötet haben soll, ist am Freitag, 03. November 2017, weitergegangen. Im Bild Polizeibeamte im Raum Thal bei Graz. - FOTO: APA/ELMAR GUBISCH

Doch an diesem einen Sonntag reichte die "Emotionsregulierung durch verbale Aktionen" nicht mehr, Felzmann griff zum Gewehr, schoss mehrmals auf die Opfer und flüchtete mit seinem Kastenwagen. Sein Handy ließ er zurück. Eine Flucht, die nicht geplant scheint, betont der Profiler. "Er hat keine Kleidung vorbereitet, er hat kein Kommunikationsmittel." Einen Tablet-PC könnte er dabei haben, doch dessen Akku dürfte längst leer sein. Unterschlupf bei Freunden oder Helfer, die für Essen sorgen, gäbe es wohl auch keine. "Er ist ein Einzelgänger. Einer , der sich alleine am wohlsten fühlt und keine tiefen Freundschaften pflegt.

Schlojer glaubt nicht, dass der 66-Jährige bereits Suizid verübt habe. Seine Persönlichkeitsstruktur spreche nicht dafür. "Er will sich ja mitteilen. Er sucht jemanden, um seine Tat zu rechtfertigen."

Könnte sich stellen

Der Verdächtige hat das Gewehr vermutlich noch bei sich und ist allein dadurch schon potenziell gefährlich. Aber: "Ich glaube nicht, dass für die Allgemeinheit eine Gefährdung besteht. Seine Opferwahl war gezielt", überlegt der Kriminalpsychologe. Einen letzten großen Auftritt mit Schießerei erwartet Schlojer demnach nicht, auch keine weitere Gewalttat. "Menschliches Verhalten ist zwar nicht vorhersehbar, aber das hätte er schon längst tun können. Ich würde es auch nicht ausschließen, dass er sicht stellt und dabei eine Erklärung abgibt."

Heer hilft mit

Seit Freitagnachmittag ist auch das Bundesheer in Stiwoll: Zwei "Husar"-Spezialfahrzeuge wurden aus der Grazer Gablenz-Kaserne verlegt. Sie sind vor Beschuss geschützt und haben besonders gute technische Ausrüstung an Bord: Eine Taglichtkamera, die Bewegungen in bis zu zwölf Kilometer Entfernung ausmachen kann sowie eine Wärmebildkamera für die Nacht, die Personen im Umkreis von fünf Kilometern erkennt. Die Polizei hat das Militär um Assistenz gebeten.

Zwei ähnlich gelagerte Frauenmorde, keine zwanzig Kilometer von einander entfernt – und in beiden Fällen fehlt vom Täter jede Spur.

Fast auf den Tag genau vor sieben Jahren wurde auf einem entlegenen Bauernhof in Kirchberg am Wechsel (Bezirk Neunkirchen) die 71-jährige Maria Piribauer mit vier Messerstichen getötet. Eine am Tatort sichergestellte DNA-Spur führte die Ermittler zu einem fahrenden Händler, der von Haus zu Haus tingelte und Tischdecken und ähnliches verkaufte. Die Fahnder fanden bei einer Hausdurchsuchung bei dem damals 41-jährigen Gerhard R. unter anderem gestohlene Geldbörsen von betagten Frauen aus Wien. Diese stammten vermutlich von Einschleichdiebstählen. Da es sich bei dem DNA-Treffer allerdings um eine Mischspur handelte, war die Suppe für eine Anklage zu dünn.

Vor vier Wochen kam es nur unweit vom ersten Tatort erneut zu einem Frauenmord. Am 11. Oktober wurde die blutüberströmte Leiche der 70-jährigen Frieda L. in ihrer Wohnung in einer schmucken Genossenschaftssiedlung entdeckt. Freundinnen hatten Alarm geschlagen, weil sie schon Tage nichts mehr von der Frau gehört hatten. Wie der KURIER in Erfahrung brachte, wurde die pensionierte Mitarbeiterin des Neunkirchner Krankenhauses mit mehr als 30 Messerstichen ermordet.

Overkill

Laut Kriminalpsychologen deutet so eine massive Gewalteinwirkung – ein sogenannter Overkill – auf eine enge emotionale Beziehung zwischen Opfer und Täter hin. Noch hat die Polizei aber kein verdächtiges Naheverhältnis der 70-Jährigen zu einem möglichen Verdächtigen gefunden. Im Gegenteil: Die Pensionistin lebte alleine und extrem zurück gezogen, auch nähere Verwandte gibt es nicht. In regelmäßigen Abständen traf sich Frieda L. mit Freundinnen zum Kartenspielen.

Als Todeszeitpunkt wird der 8. Oktober angenommen. Einbruchsspuren an der Eingangstür der Wohnung gab es keine. Derzeit läuft noch die Auswertung der sichergestellten DNA-Spuren. Natürlich wurde auch ein Zusammenhang mit dem ungeklärten Mord von vor sieben Jahren überprüft. Der damals Hauptverdächtige, Gerhard R., ist jedoch schon tot.

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