Die Justiz untersucht Polizeiübergriffe

Polizeieinsatz in der Silvesternacht am Schwedenplatz
Kriminalsoziologe erklärt, warum Ermittlungen um eskalierte Amtshandlungen im Sand verlaufen

Der Fall einer 47-jährigen Wienerin, die in der Silvesternacht bei einer Tankstelle am Schwedenplatz von zwölf Polizisten „beamtshandelt“ worden war und einen Steißbeinbruch davongetragen hatte, war einer zu viel. Christian Pilnacek, mächtigster Sektionschef im Justizministerium, kritisierte das in solchen Fällen übliche Prozedere: Zuerst wird das mutmaßliche Opfer der Amtshandlung wegen Widerstand angeklagt, irgendwann später vielleicht gegen die Polizisten ermittelt, wobei diese Verfahren dann in aller Regel eingestellt werden.

Im Fall Silvesternacht (der auf Video aufgezeichnet ist) ruderte die Staatsanwaltschaft Wien zurück, bat die zuständige Richterin darum, mit dem Termin der Verhandlung gegen die 47-jährige Unternehmerin zuzuwarten und trat die Ermittlungen gegen die zwölf Beamten an die Kollegen in Eisenstadt ab. Das war im März, seither herrscht Schweigen.

Brisanter Fall

„Etwa 30 Personen, darunter Opfer und Zeugen, wurden und werden einvernommen“, sagt Staatsanwalt Koch. Bei etwa der Hälfte aller Einzuvernehmenden handle es sich um Polizisten, „die in unterschiedlichen Rollen“ zu dem Vorfall befragt werden. Nachdem es im März hieß, der Fall sei bis Mai abgeschlossen, haben sich die Ermittlungen nun verzögert. Koch: „Es waren mehrere medizinische Gutachten erforderlich.“ Es sei ein „sehr brisanter Fall, den die Staatsanwaltschaft Eisenstadt nicht alleine erledigen kann.“ Es werde in der Weisungshierarchie „nach oben“ berichtet.

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Reinhard Kreissl
Und dort, im Justizministerium, will man nun genau wissen, was in derartigen Fällen bei der Aufarbeitung schief läuft. Der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl soll mit einer Studie beauftragt werden. Dem KURIER erklärt Kreissl vorweg seine Ansätze: „Zunächst wird schlecht dokumentiert. Wenn jemand behauptet, misshandelt worden zu sein, müssen Fotos gemacht, Vernehmungen durchgeführt, ärztliche Befunde erstellt werden. Das scheint nicht zu funktionieren.“

Zweiter Punkt: In anderen Staaten untersuchen unabhängige und nicht bei der Polizei angesiedelte Kontrollinstanzen solche Übergriffe. In Österreich ermittelt das im Innenministerium eingerichtete Büro für interne Angelegenheiten, was Kreissl so übersetzt: „Das mach’ ma uns schon selber, sind eh alles Querulanten.“

Zwar sei der Staatsanwalt auch in diesen Fällen Herr des Ermittlungsverfahrens, „aber wenn er Polizisten hart ran nimmt, dann macht das keinen schlanken Fuß und er wird beim nächsten Auftrag nach hinten gereiht.“ Deshalb würden Polizisten „mit Samthandschuhen angegriffen.“

Beweisnot

Laut Kreissl laufen 98 Prozent aller Polizeieinsätze professionell ab. Aber wenn es eskaliert, „dann ist meist der eine überfordert und der andere besoffen.“

Die Justiz untersucht Polizeiübergriffe
epa03720208 'Bodycam' is the name of the tiny camera attached to the shoulder of the uniform of two police officers during the presentation of the new device in Frankfurt Main, Germany, 27 May 2013. The project is the first of its kind in Germany and is supposed to counter increasing violence against police officers. The cameras are supposed to record video images, but no sound, during ID checks of persons and during brawls. The uniforms of the police officers using the new camera are marked with the lettering 'Video surveillance' in accordance with German data protection guidelines. EPA/BORIS ROESSLER
Um einem Beweisnotstand zu entgehen, wurde im Innenministerium schon vor zwei Jahren überlegt, die Beamten mit Körperkameras (auf der Schulter oder an anderer Stelle der Uniform) auszustatten. Sie zeichnen die Konfrontation zwischen Polizei und Bürgern auf. In Deutschland wirken sie deeskalierend. Kreissl sagt, dazu müsste man aber auch das Datenmanagement regeln: Wer hat Zugang, wie lang wird gespeichert? „So etwas verändert auch die Organisation. Und dass das passiert, ist bei uns so selten wie eine Mondfinsternis.“

Damit könnte er richtig liegen. Aus dem Innenministerium heißt es, dass Anfang kommenden Jahres mit einem Bodycam-Pilotprojekt bei bestimmten Einsatzsituationen zu rechnen sei.

Opfer verschwunden

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Polizeiprügel Wien-Leopoldstadt
Auch in einem zweiten Fall mutmaßlicher Misshandlung durch Wiener Polizisten geht nicht viel weiter. Am 28. Juli wurde im Bereich des Pratersterns ein 27-jähriger Taschendieb festgenommen. Er hatte bereits die Hände auf dem Rücken gefesselt, als ihn ein Beamter am Hals packte und mit dem Gesicht voran zu Boden schleuderte.
Ein Post-Mitarbeiter bekam den Einsatz zufällig mit und filmte mit seinem Handy mit. Das Video (siehe Foto) wurde dem Falter zugespielt.

Der Einsatz von Körpergewalt gegen den Festgenommenen wurde als Reaktion auf einen zuvor angesetzten Fußtritt in Richtung des zweiten Polizisten gerechtfertigt. Polizeivizepräsidentin Michaela Kardeis verurteilte die „unverhältnismäßige Körpergewalt“ dennoch als Fehlverhalten des Beamten. Seit August ermittelt die Staatsanwaltschaft. Der Post-Mitarbeiter, von dem das Handy-Video stammt, wurde ausgeforscht und einvernommen. Er konnte nicht mehr berichten, als auf dem Film ohnehin zu sehen ist.
Das mutmaßliche Opfer ist laut dem Verteidiger des beschuldigten Polizisten, Dietmar Heck, bis zum heutigen Tag nicht einvernommen worden. Der Ausländer, der nur arabisch spricht, wurde nach der Festnahme wegen des Taschendiebstahls auf freien Fuß gesetzt. Heck sagt, damals wurde er nicht befragt, weil man keinen Arabisch-Dolmetscher auftreiben konnte.

Inzwischen ist der Mann verschwunden, er soll sich im Ausland befinden. Heck sagt, man habe den 27-Jährigen zwei weitere Male bei Diebstählen betreten, ihn aber jedes Mal wieder freigelassen.

Der Österreich-Chef von Amnesty International, Heinz Patzelt, hatte gleich nach Ansicht des Videos auf einen Strafprozess gedrängt. Das könnte noch dauern.

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