Die Freiheit ist nicht ganz grenzenlos

Die Freiheit ist nicht ganz grenzenlos
Strafvollzug: Haftausgang für Piloten, damit er Flugstunden absolvieren kann, war vom Gesetz gedeckt.

Jeder der rund 800 Häftlinge im berühmt-berüchtigten Gefängnis Stein, NÖ, bekommt pro Jahr im Schnitt 6,6 Tage Freigang oder Ausgang. Das ist im internationalen Vergleich ein geringer Wert und bedeutet hochgerechnet eine "Einschlussquote" von 98 Prozent. In der Schweiz ist der offene Strafvollzug Standard, in Deutschland dürfen Strafgefangene sogar auf Urlaub gehen. Und selbst innerhalb von Österreich hinkt Stein gegenüber vergleichbaren Haftanstalten wie etwa Graz-Karlau (23 Tage Freigang pro Kopf und Jahr) nach.

Trotzdem wurden gegen den Leiter der Justizanstalt Stein und seine Stellvertreter nach Anzeigen wegen nicht gerechtfertigter Bewilligungen von Vollzugslockerungen Straf- und Disziplinarverfahren geführt. Man hatte einem wegen Betruges verurteilten Oberösterreicher frei nach Reinhard Mey quasi grenzenlose Freiheit über den Wolken gewährt.

Der 50-Jährige durfte Flugstunden mit einem Kleinflugzeug absolvieren, um seine Pilotenlizenz nicht zu verlieren. Eine Zeitung bastelte daraus die Schlagzeile: Stein-Häftling fliegt als Linienpilot. Aber war die Freiheit wirklich grenzenlos? Tatsächlich wurden dem Strafgefangenen über 100 Ausgänge gestattet, damit er die vorgeschriebenen Flugstunden als Privatpilot ableisten kann. Der Verlust der mit hohen Kosten erworbenen Lizenz wäre eine finanzielle Einbuße gewesen, außerdem sollte der Mann nach seiner Entlassung die Fliegerei weiter als Broterwerb betreiben.

Passagiere beförderte der Gefangene während seiner Strafhaft nicht, schon gar nicht mit einer Linienmaschine. Die Vollzugslockerungen wurden dennoch zum Anlass für eine größere Untersuchung genommen. Der Pilot missbrauchte die Ausgänge nämlich zu einem weiteren Betrug, woraufhin er eine Zusatzstrafe aufgebrummt bekam und alle Lockerungen gestrichen wurden. Nach einiger Zeit durfte der Mann dann aber doch wieder abheben. Der Leiter der Justizanstalt Stein argumentierte, das Justizministerium habe generell darauf gedrängt, die Vollzugslockerungen zu forcieren. Als Ziel wurde die Kennzahl von 3900 Vollzugslockerungen genannt und später auf 5000 angehoben.

Christian Timm vom Justizministerium (einer der Vorgänger des Leiters der Justizanstalt Stein) erklärt, was hinter der Kennzahl steckt: Jeder einzelne Tag, an dem ein Häftling die Anstalt verlassen darf, wird innerhalb eines Jahres gezählt. In Stein kam man damals auf eine Kennzahl von rund 4800 Haftunterbrechungen pro Jahr, inzwischen ist man bei 5200 angelangt. Wobei die Häftlinge, die extern arbeiten gehen, den überwiegenden Teil dieses Kontingents aufbrauchen. Das sind zum Beispiel in Stein aktuell 13 Freigänger, die an fünf Tagen in der Woche morgens die Anstalt verlassen und nach der Arbeit wieder einrücken. Da bleibt für die übrigen 787 Gefangenen am "Felsen", wie Stein im Jargon heißt, von der Gesamtzahl an Ausgängen nicht mehr viel übrig.

Das Strafverfahren gegen den Stein-Chef und seine Stellvertreter wurde kürzlich eingestellt, ebenso das Disziplinarverfahren. Begründung: Die Vollzugslockerungen entsprachen dem gesetzlichen Auftrag. "Sie sind ein Recht des Gefangenen", sagt Timm: "Und dienen der Aufrechterhaltung der Integration. Kriminologisch gesehen wäre es Unfug, jemanden unvorbereitet in die Freiheit zu entlassen."

Führerschein in Haft

Neben Flugstunden können auch Fahrstunden der Grund für Haftausgänge sein. Wenn der Führerschein beruflich bessere Chancen eröffnet, spricht laut Timm nichts dagegen, ihn während der Haft zu erlangen: "Außer das Delikt wie etwa Alkohol am Steuer spricht dagegen."

Justizexperten sehen bei den in Österreich genehmigten Haftunterbrechungen jedenfalls noch Luft nach oben. Der Missbrauch der Vollzugslockerungen hält sich übrigens in Grenzen: Die Fluchtquote lag 2016 auf 1000 Hafttage gerechnet bei 0,06 Prozent.

Vollzugslockerungen

Ausgänge: Zur Regelung persönlicher Angelegenheiten (z. B. Begräbnis eines Angehörigen, Auflösung des Haushaltes, Abschluss eines Mietvertrages), zur Aufrechterhaltung der sozialen Bindungen oder für Amtswege kann zwischen zwölf Stunden und drei Tagen (Wochenende) Ausgang gewährt werden.


Freigänge: Freigänger verlassen tagsüber regelmäßig die Anstalt, um außerhalb einer Arbeit nachzugehen oder eine Ausbildung zu absolvieren. Sämtliche Vollzugslockerungen genehmigt der Anstaltsleiter, beim Vollzugsgericht kann bei Ablehnung Beschwerde eingebracht werden.

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