Das Geschäft mit dem Risiko

Telemark-Freerider Hannes Lipf of Germany (L) and Swiss freerider Sascha Schmid stand on the top of the 3,970 m (2.46 miles) high Eiger mountain in the Bernese Oberland in Switzerland, May 27, 2005 before skiing down the west flank. The spectacular descent was part of the shooting of the documentary movie "Natural High". REUTERS/Pascal Lauener
Skifahren abseits der Pisten boomt. Hersteller profitieren vom gefährlichen Trend

Heute vor genau einem Jahr wurde der niederländische Prinz Friso, 44, von einer Lawine verschüttet. Er liegt seither im Koma. Sein Begleiter hatte im Gegensatz zum Prinzen einen Lawinen-Rucksack mit – und blieb heil. Freilich, auf diese Werbung hätte die Sportartikel-Branche gerne verzichtet.

Das Geschäft mit dem Risiko
epa03128473 (FILE) A file picture dated 19 February 2011 shows Dutch Prince Johan Friso in Lech, Austria. Dutch Prince Friso was flown out of Austria 01 March 2012 to be admitted to a rehabilitation clinic following an avalanche accident that left him in a coma. Austrian state broadcaster ORF reported that the second son of Queen Beatrix was likely flown to a clinic in London. The prince had been working near the British capital as an executive of the nuclear firm Urenco. On February 17, Friso was skiing off-piste at the Austrian resort of Lech when an avalanche buried him. Because his heart stopped for 50 minutes, he suffered serious brain damage and might never regain consciousness, his doctors at Innsbruck university hospital said last week. EPA/FRANK VAN BEEK
Eine breite Diskussion über die Gefahren des Skifahrens abseits der Piste hätte die Konsequenz sein können. Davon war nichts zu hören. Freeriden boomt weiterhin. Immer mehr Skifahrer, Snowboarder und Tourengeher suchen unpräparierte Tiefschneehänge. Stattdessen waren die Airbag-Rucksäcke nach dem Unglück ausverkauft. Längst werden mit Lawinen-Ausrüstungen Millionen verdient. Zig Produkte sind auf dem Markt, die die Chancen steigern, dem „weißen Tod“ zu entrinnen. Ein schaler Beigeschmack bleibt, denn viele fühlen sich durch die Technik sicher genug, um ein noch höheres Risiko einzugehen.

Patrick Nairz vom Tiroler Lawinenwarndienst will die Kirche im Dorf lassen: „Das ist wie in allen Lebensbereichen“, sagt er. Je sicherer etwa ein Auto sei, desto schneller werde damit gefahren. Psychologen nennen das Risikokompensation. Nairz regt an, das Thema differenzierter zu sehen: Obwohl fast zehn Mal so viele Personen als vor 20 Jahren im freien Gelände unterwegs seien, blieben die Unfallzahlen „relativ konstant“.

Das Geschäft mit dem Risiko
Ein Blick in die Statistik des Kuratoriums für alpine Sicherheit zeigt: Im Schnitt gibt es in Österreich 26 Tote pro Saison. In der Vorjahressaison kamen bei 150 Lawinenunfällen „nur“ 18 Menschen ums Leben, 53 wurden verletzt. Ein Muster, heißt es, sei nicht zu erkennen. Kuratoriums-Geschäftsführer Andreas Würtele sagt: „Natürlich animiert die Ausrüstung ein bisschen.“ Hänge zu sperren, hält er für keine Alternative: „Die Leute fahren trotzdem.“ Wie erklärt man aber den Widerspruch zwischen immer mehr Freeridern und „relativ konstanten“ Unfallzahlen? Die Ausrüstung ist ein Faktor. Neben Suchgerät, Sonde und Schaufel gehört immer öfter ein Lawinen-Rucksack zum Standard-Repertoire. Seine Hersteller werben mit Überlebenschancen von weit über 90 Prozent.

Müsli-Effekt

Die Idee hinter den mehrere Hundert Euro teuren Airbags: Die aufgeblasenen Pölster erhöhen das Volumen des Skifahrers. Dann setzt eine inverse Segregation, auch Müsli-Effekt genannt, ein. Wie in einer Müsli-Packung rutschen kleine Bestandteile nach unten, die großen bleiben oben (siehe Grafik). Im Ernstfall kann das Leben retten. Im Jahr 1985 hat die deutsche Firma ABS das erste Modell vorgestellt: „Wir sind heuer so gut wie ausverkauft“, sagt Katja Töbelmann von ABS. In Zahlen: 20.000 Stück sind weg. Der Schweizer Konkurrent Mammut mischt derzeit den Markt auf. Die Rucksack-Produktion wurde verdoppelt. Die Airbags sind aber keine Lebensversicherung. Wer in einer Mulde von einer Lawine erwischt oder vom Schnee gegen einen Felsen geschleudert wird, hat vom Airbag nichts. Und für alle Geräte gilt: Der richtige Umgang ist der Schlüssel.

Das Geschäft mit dem Risiko
Die Anbieter werden indes immer innovativer: Die US-Firma Black Diamond brachte ein Atmungssystem auf den Markt. Über ein Mundstück kann der Verschüttete im Schnee enthaltenen Sauerstoff einatmen.

Für Würtele und Nairz ist die Ausrüstung eine Seite der Medaille: Das richtige Verhalten, um erst gar keine Lawine auszulösen, hat für sie Vorrang. Der Zauberbegriff dazu lautet „Risikomanagement“. Nairz sagt: „Es gibt eine große Bereitschaft, sich zu informieren.“ Die Zugriffe auf die Website des Lawinenwarndienstes seien gestiegen. Schulungen und Apps finden Anklang.

Nicht zuletzt denken auch Touristiker um. In den Stubaier Gletschern wurde das „Powder Department“ (siehe rechts) eröffnet. Infos erleichtern es Freeridern, das Risiko einzuschätzen. Würtele lobt die Initiative. Jeder entscheide selbst, ob er fahren könne. „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nie.“

Die Stubaier Gletscher-Bahnen haben ihr Skigebiet ganz auf die wachsende Zielgruppe „Freerider“ ausgerichtet. Nicht nur Lifestyle ist damit verbunden, sondern auch „das Sicherheitsthema“, sagt Alexandra Reinisch von den Bergbahnen. Treffpunkt der „Powder-Fans“ ist der Freeride-Checkpoint am Eisgrat. Vor dem Anschnallen der Skier gibt es geballte Information: Auf einer Tafel wird über die Routen, die Wetter-, Schnee und Lawinen-Situation informiert. LVS-Geräte (Lawinenverschüttetensuchgeräte), können gecheckt werden. Zu den elf Routen kann man sich Tipps, Bilder, Skizzen herunterladen und über Gefahrenquellen informieren. Überdies gibt es GPS-Tracks fürs Handy: Sie funktionieren wie ein elektronischer Kompass. Damit lässt sich kontrollieren, ob man noch auf der Route ist. Außerdem werden LVS-Trainings und Lawinencamps angeboten.

www.stubaier-gletscher.com/

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