Beziehungstaten: Der Tod lauert im Wohnzimmer

(Symbolbild)
Bereits in 63 Prozent aller Gewaltdelikte gibt es eine enge Beziehung zwischen Täter und Opfer.

Raub- und Sexualmorde oder solche aus sogenannten "niederen Motiven" sind in Österreichs Kriminalstatistik fast nicht mehr zu finden. "Das Verbrechen spielt sich in den eigenen vier Wänden ab. Die meisten Opfer kennen ihre Mörder nur zu gut", sagt einer der renommiertesten Kriminalpsychologen des Landes, Reinhard Haller.

Weil Österreich kein Land brutaler Drogen- oder Bandenkriege wie in Südamerika ist und man hierzulande die Mafia nur aus dem Fernsehen kennt, spielen sich die meisten schweren Gewaltverbrechen in den Wohn- und Kinderzimmern des Landes ab. Zwei von drei Gewaltdelikten sind mittlerweile Beziehungstaten. 2016 gab es in 63,3 Prozent aller Gewaltdelikte (43.098 angezeigte Fälle) eine enge Beziehung zwischen Täter und Opfer. Vor zehn Jahren lag diese Quote noch unter 50 Prozent.

Etwa 90 Prozent aller Morde werden heute ebenfalls als Beziehungstat gewertet. Kriminalpsychologen und Gerichtspsychiater hatten in den vergangenen Monaten einige besonders drastische Fälle zu analysieren.

Ende November löschte die 35-jährige Baumarkt-Angestellte Martina R. in Böheimkirchen bei St. Pölten ihre gesamte Familie aus. Sie erschoss zu Hause ihre drei Kinder, den Bruder und ihre Mutter, bevor sie sich selbst tötete. Wie sich später herausstellte, dürfte die Krebsdiagnose der Mutter in Kombination mit der prekären finanziellen Situation der Auslöser für das Familiendrama gewesen sein.

Eine ähnliche Aussichtslosigkeit dürfte den 48-jährigen ÖBB-Bediensteten Gerald B. dazu getrieben haben, seine Eltern in Perchtoldsdorf mit einem Baseballschläger zu töten. Der Mann gab bei den Befragungen an, mit der Pflege des gehörlosen und zuletzt bettlägrigen Paares überfordert gewesen zu sein. Gerichtspsychiater Karl Dantendorfer attestiert dem Verdächtigen in seinem Gutachten eine "posttraumatische Belastungsstörung". Als gesundes Kind mit zwei gehörlosen Geschwistern fühlte er sich von klein auf für die gehandicapten Eltern verantwortlich. Selbst konnte er wegen der Pflege der Eltern keine Familie gründen.

Motivlage

Als sich nach einem Treppensturz der Zustand der Mutter drastisch verschlechterte, sah der 48-Jährige keinen anderen Ausweg mehr, als die Eltern zu töten. Das Motiv kennt Haller nur zu gut: "Der Anteil der Gewalttaten im zwischenmenschlichen und emotionalen Bereich wird bei uns immer größer. Wir lassen uns durch Kränkungen, Verletzungen oder Eifersucht sehr stark emotionalisieren."

Dazu komme das gesellschaftliche Problem der hohen Verbreitung von Alkohol und Drogen. "Diese Substanzen schalten die Kontrollmechanismen im Körper aus. Die Hemmschwellen fallen", so Haller. Bei Beziehungskonflikten komme es daher unter Alkohol- oder Drogeneinfluss häufiger zu Eskalationen mit Gewaltausbrüchen. Erst Mitte März wurde in Wiener Neustadt die 56-jährige Büroangestellte Heidemarie L. erwürgt in ihrem Reihenhaus aufgefunden. Unter dringendem Tatverdacht steht ihr Ehemann Reinhard. Unter Alkoholeinfluss war es zwischen den beiden häufig zu heftigen Streitigkeiten gekommen, berichteten Freunde und Nachbarn. Der Verdächtige hatte an besagtem Tag mehr als 1,5 Promille.

Rückgang.1970 gab es in Österreich 70 Morde und 74 Mordversuche, die Aufklärungsquote lag bei 96,8 Prozent. Nachdem bis zum Ende der 90er-Jahre die Zahl der Morde fast immer zwischen minimal 60 und maximal knapp unter 100 lag, ist die Rate seit Anfang 2000 deutlich zurückgegangen.

Zuletzt gab es 2014 36, das Jahr darauf 38 und im Vorjahr 44 Morde. 2016 lag die Aufklärungsquote erstmals bei 100 Prozent.

In fast 90 Prozent der Morde und Mordversuche besteht irgend eine Art der Beziehung zwischen Täter und Opfer. Bluttaten aus sexuellen Motiven sind in den vergangenen zehn Jahren fast keine mehr in den Statistiken zu finden.

Sexualität

"In den 50er- und 60er-Jahren gab es noch sehr viele solcher Sexualdelikte. Heutzutage wird die Sexualität aber anders ausgelebt", spricht Gerichtspsychiater Reinhard Haller die Prostitution oder sexuelle Kontakte über das Internet an. Auch Raubmorde sind äußerst selten geworden. Wenn Kriminelle dringend Geld benötigen, überfallen sie eine Bank oder eine Tankstelle. Umgebracht wird wegen ein paar Euro kaum mehr jemand.

Eine Zahl, die seit Jahren konstant bleibt, ist jene der Gewalttaten, die von psychisch beeinträchtigen Personen begangen werden. Etwa 22 Prozent geschehen im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit. Im Falle einer Klärung führt das dann zu einer Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.

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