Badeunfälle: "Die Leute gehen lautlos unter"

Symbolbild
Jung, männlich, ohne Aufsicht, ohne österreichischen Volksschulabschluss: Warum manche Flüchtlinge beim Baden besonders gefährdet sind.

Vergangenen Sonntag ist es wieder passiert. Ein 18-jähriger Afghane wollte am Nachmittag den Pibersteinsee in der Weststeiermark überqueren. Er kam nur einige Meter weit, dann verschwand er im Wasser. Ein aufmerksamer Badegast holte den Burschen aus zwei Metern Tiefe hoch — zu spät. Die Reanimation scheiterte, er starb noch an Ort und Stelle.

Der junge Mann war nicht der erste Asylsuchende, der dieses Jahr in einem österreichischen Badesee ertrunken ist. Am Sonntag des Donauinselfests starben zwei Männer in der Neuen Donau, einer von ihnen ein 19-jähriger anerkannter Flüchtling aus Gambia, der aus ungeklärter Ursache ins Wasser gestürzt war. Ende Juni starb ein 34-jähriger Afghane im Silbersee in Villach beim Baden in der Nacht. Wenige Tage später ging ein 13-jähriger Afghane bei einem Schulausflug im Neufelder See unter. Er schwebt nach wie vor in Lebensgefahr. Vergangenen Donnerstag ertrank ein 16-Jähriger somalischer Asylsuchender, wieder in der Neuen Donau.

Im gesamten Jahr 2015 kamen laut Statistik Austria insgesamt 39 Personen in Österreich durch Ertrinken ums Leben. Nach einer halben Badesaison gab es heuer bereits fünf Badeunfälle unter Flüchtlingen oder Asylsuchenden alleine, was auch an der höheren Zahl von Asylsuchenden insgesamt liegen dürfte. Die Serie tödlicher Badeunfälle zeigt jedenfalls: es gibt ein Problem mit Nichtschwimmern. Doch zu den Todesfällen haben Umstände beigetragen, die auch gute Schwimmer treffen können.

Nichtschwimmer am Wasser

Die Todesfälle der vergangenen Wochen haben laut Medienberichten eines gemeinsam: die Opfer waren Nichtschwimmer oder zumindest kaum im Schwimmen unterrichtet. Das mag daran liegen, dass in vielen der Herkunftsländern von Asylsuchenden das Schwimmen nicht flächendeckend unterrichtet wird. Aus kulturellen Gründen oder, weil es beispielsweise in Afghanistan vergleichsweise wenige Badegewässer oder Hallen- oder Freibäder gibt.

„Die haben in Afghanistan in den vergangenen Jahren wahrscheinlich auch andere Sorgen gehabt“, sagt Martina Vitek, Pressesprecherin des Samariterbunds, der nicht nur Flüchtlingsheime, sondern in Wien auch eine Wasserrettung betreibt. Auf die Gefahr, die Nichtschwimmern im Sommer droht, sind NGOs bereits aufmerksam geworden. Der Samariterbund bietet seit vergangenem Jahr Schwimmkurse für Asylsuchende an. Auch das Rote Kreuz und die Landesverbände der Österreichischen Wasserrettung führen ein entsprechendes Angebot.

Schwimmkurse in der Volksschule

Die Kurse sollen dem Badespass im Hochsommer einen Teil seiner Gefährlichkeit nehmen. Viele der jungen Menschen, die nach Österreich kommen, profitieren nicht mehr von den Schwimmprogrammen, die im Pflichtschulalter, überwiegend in den Volksschulen, angeboten werden. „Mit 14 Jahren gibt es keine Kurse mehr", sagt Vitek. „Die Jugendlichen, die hier aufgewachsen sind, haben halt das Glück, Schwimmen schon als Kind gelernt zu haben.“

Weil die Kurse nur einen kleinen Bruchteil der Nichtschwimmer erreichen, bleibt den NGO-Mitarbeitern in den Flüchtlingsheimen oft nur übrig, vor allem den Jugendlich gut zuzureden. „Wir sagen ihnen: 'Geht’s einfach nicht ins Wasser. Oder schaut‘s zumindest, dass es wirklich seicht ist'“, sagt Vitek. „Aber gerade die Donauinsel ist ein bisschen trügerisch. Am Ufer sind die Steine, da merkt man zuerst noch nicht, dass es gleich tief hinunter geht.“ An heißen Sommertagen ist der gute Rat schnell vergessen.

Wenn Panik überhand nimmt

Bei Nichtschwimmern kommen mehrere gefährliche Faktoren zusammen. Selbst wer das Wassertreten nicht beherrscht, wäre grundsätzlich in der Lage, zumindest kurzfristig an der Wasseroberfläche zu bleiben. „Was hinzukommt, ist die psychische Komponente“, sagt Michael Lubenik, Rettungsschwimmlehrer und Leiter der Rettungstaucher der Wiener Wasserrettung. „Es kann Panik entstehen und man handelt nicht mehr rational. Das ist ein Problem.“

Ertrinkende schlagen dann mitunter wild um sich, inhalieren Wasser und husten. Durch das Husten verliert das Opfer Luft und damit auch den Auftrieb. Es kann zum sogenannten Stimmritzenkrampf kommen, mit dem der Körper reflexartig die Luftröhre verschließt, damit kein Wasser mehr hineingelangt. Das bedeutet aber, dass das Atmen entscheidend erschwert oder unmöglich gemacht wird. „Der Krampf löst sich auch wieder. Aber jemand, der in Panik ist, schafft es oft nicht zu warten oder wird vorher schon bewusstlos.“ Nichtschwimmer in Panik haben sich nicht mehr unter Kontrolle. Das sei einer der Gründe, warum viele nur wenige Meter vom rettenden Ufer oder der Ausstiegsleiter entfernt ertrinken.

Kinder, Alte, junge Männer gefährdet

Es gebe drei Risikogruppen von Badenden, auf die man besonders achtgeben müsse, sagt Wolfgang Zottl, der Leiter der Wasserrettung im Samariterbund und Rettungsschwimmer seit 42 Jahren. „Kleine Kinder, ältere Menschen und junge Männer.“ In letztere Kategorie fallen auch die jüngsten Todesfälle unter Flüchtlingen.

Bei älteren Menschen sind es oft Kreislaufschwäche oder latente Erkrankungen, die das Schwimmen gefährlich machen. Bei den Burschen kämen seiner Erfahrung nach Übermut und Leichtsinn ins Spiel, das gelte für Einheimische wie für Flüchtlinge, sagt Zottl. Aus einer einfachen Mutprobe könne schnell ernst werden. Nach zwei heiklen Rettungsaktionen warnte der Bademeister im Freibad von Waidhofen an der Ybbs im KURIER bereits vor der "enormen Selbstüberschätzung" unter jungen Asylsuchenden.

Aber gute Schwimmer seien oft ebenfalls nicht davor gefeit, unvernünftig viel zu riskieren, etwa alkoholisiert baden zu gehen, sagt Zottl. Der Klassiker, gleich nach dem Essen zu schwimmen, ist nach wie vor ein Thema. Und auch starke Temperaturunterschiede zwischen Luft und Wasser oder zwischen den Wasserschichten können Probleme bereiten. "Ein kleiner Kollaps am Land bedeutet vielleicht einen Sturz zu Boden. Ein kleiner Kollaps im Wasser und man ertrinkt. Die Leute gehen fast lautlos unter, weil sie das Bewusstsein verlieren."

Wenig Überwachung

Es ist wohl auch kein Zufall, dass die Neue Donau heuer schon mehrmals der Schauplatz tödlicher Badeunfälle war. Das Gewässer wird von Rettungsschwimmern kaum überwacht. „Es ist absolut unmöglich, die gesamte Insel zu kontrollieren", sagt Zottl. "Die Arbeit der Rettungsschwimmer reduziert sich dort meistens auf das Pflasterpicken, Rettungseinsätze gibt es wenige." Ähnlich verhält es sich an den anderen größeren Badegewässern in Österreich, wenn nicht ständig ein Bademeister anwesend ist. Und selbst dann kann es leicht passieren, dass untergehende Schwimmer nicht gesehen werden. „Darum ist die erste Grundregel: nie alleine ins Wasser gehen. Würde das jeder befolgen, dann hätten wir viele Tote im Wasser weniger“, sagt Zottl.

Am vergangenen Wochenende alleine mussten Helfer fünf Mal anrücken, um Tote aus österreichischen Gewässern zu bergen. Neben dem jungen Afghanen in der Weststeiermark waren es ein Mann und zwei Frauen in Oberösterreich und ein Mann in der Alten Donau in Wien, alle zwischen 69 und 81 Jahre alt.

Es war eine spontane Aktion am Donnerstag. Es war heiß, vier Burschen aus Somalia suchten Abkühlung und machten sich zur Neuen Donau in Wien auf. Gegen 16.30 Uhr stieg einer von ihnen ins Wasser. Kurze Zeit später ging der 16-Jährige unter und tauchte nicht mehr auf. Er war – so wie seine drei Freunde – Nichtschwimmer.

Der 16-jährige Somali war der zweite Flüchtling, der innerhalb von zwei Wochen in der Neuen Donau in Wien ertrunken ist. Zuletzt war ein 18-Jähriger aus Gambia beim Donauinselfest ertrunken. Auch er konnte nicht schwimmen.

Selbstüberschätzung

Arnold Wagner, Rettungsschwimmer und Bademeister im Freibad von Waidhofen an der Ybbs (NÖ) schlägt nun Alarm. "Die enorme Selbstüberschätzung ist eine tödliche Gefahr", sagt Wagner.

Zwei Rettungsaktionen, in denen der junge syrische Rettungsschwimmer Abdul Fakhouri in den vergangenen Tagen zwei Asylwerber aus dem Ratzersdorfer See bei St. Pölten rettete, seien keinesfalls Zufälle, behauptet Wagner. Tatsache sei, dass viele Asylwerber schlechte Schwimmer seien und die Gefahren des Wassers nicht einschätzen können. "In unserem Bad mussten junge Burschen im Sprungbecken aus extremer Not gerettet werden", erzählt der Bademeister. Manche würden im Becken ein paar Tempi schaffen und dann gleich zu den Sprungtürmen wechseln. "Diese Leute muss man offensiv auf die Gefahr aufmerksam machen. Bei Flüssen und Seen ist die Bedrohung noch viel größer", sagt Wagner.

Die niederösterreichische Wasserrettung will nun gegensteuern, mit Gesprächen und Warnschildern. Gleichzeitig werden die in der Asylbetreuung aktiven Organisation gebeten, bei der Kampagne mitzuhelfen. Am wichtigsten seien Schwimmkurse. "Wir haben Hochsaison und unsere Mitglieder sind im Dauereinsatz. Schwimmkurse können wir frühestens im September wieder auf die Beine stellen" sagt Wagner.

In Wien bieten der Samariterbund und das Rote Kreuz bereits Schwimmkurse für Flüchtlinge an – sie richten sich vor allem an Jugendliche und Kinder. "Viele Asylwerber sind Nicht-Schwimmer", sagt Alexander Tröbinger vom Wiener Roten Kreuz. "Bei uns ist Schwimmen im Bildungssystem integriert, in den Herkunftsländern der Flüchtlinge nicht."Julia Schrenk

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