Amokfahrt durch Graz: Keine Anklage wegen Mordverdachts

Der Wagen war mit 100 km/h unterwegs
Alen R. gilt als schizophren und paranoid. Der Verdächtige könnte sogar aus der U-Haft entlassen werden.

20. Juni 2015. Alen R. rast im Wagen seines Vaters durch die Grazer Innenstadt. Rund 100 km/h hat er drauf. Drei Menschen sterben: Ein 28-jähriger Mann, der gerade erst geheiratet hatte. Der vierjährige Valentin, der mit Vater und Schwester spazieren war. Eine alleinstehende Frau, deren Identität erst nach zwei Wochen herausgefunden wurde.

1. Juni 2016. Kurz vor dem Jahrestag dessen, was als "Amokfahrt von Graz" bekannt wurde, gibt die Staatsanwaltschaft bekannt: Der mittlerweile 27-jährige R. gilt als schizophren und paranoid und somit als unzurechnungsfähig.

Noch hat die Justiz ihren Bericht an die Oberbehörde nicht fertig, aber die Richtung ist deutlich erkennbar: Es wird zwar ein Geschworenenverfahren geben, aber voraussichtlich keine Anklage wegen Verdachts auf Mord und mehrfachen Mordversuches, sondern bloß einen Antrag auf Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Alen R. wird nicht dann "Angeklagter" sein, sondern "Betroffener".

"Tat dahinter bleibt"

Die Geschworenen werden nicht über Schuld und Strafausmaß befinden, sondern nur über die Frage, ob R. in den sogenannten Maßnahmenvollzug überstellt wird oder nicht. "Doch die Tat dahinter bleibt der Verdacht auf Mord und Mordversuch", macht Staatsanwalt Christian Kroschl deutlich. "Aber ein nicht zurechnungsfähiger Täter kann nicht bestraft werden."

Der deutsche Gutachter Jürgen Müller gab mit seiner jüngst eingelangten Expertise den Weg frei in diese Richtung: Er stuft den Verdächtigen wie sein Grazer Kollege Peter Hofmann als nicht fähig ein, seine Taten zu begreifen. Anders Psychiater Manfred Walzl, der vom Gericht bestellt worden ist: Er sieht in R. zwar eine "gestörte Persönlichkeit" unter Cannabiseinfluss, aber er sei dennoch zurechnungsfähig gewesen. Weil sich Walzl und Hofmann widersprachen, musste mit Müller ein dritter Psychiater quasi als Obergutachter bestellt werden.

Alle drei Sachverständigen sind sich aber laut Staatsanwalt Kroschl aber in einem Punkt einig: "Bei ihm besteht die Gefahr weiterer solcher Taten." Das trifft sich mit der Expertise der Psychologin Anita Raiger: Sie attestierte dem Verdächtigen bereits im Dezember eine "deutlich erhöhte Rückfallsgefährdung".

Kein Schadenersatzanspruch

Rechtsanwalt Gunther Ledolter vertritt rund 50 Opfer der Amokfahrt, bei der es neben den drei Todesopfern auch noch Dutzende zum Teil schwer verletzte Menschen gab. "Wir müssen uns mit der Entscheidung abfinden", betont der Jurist. Die hat aber auch Folgen für seine Mandanten: Gegen einen unzurechnungsfähigen Verdächtigen besteht keinerlei Schadenersatzanspruch. "Das kann in solchen Fällen nicht geltend gemacht werden, das ist in der Strafprozessordnung ausdrücklich ausgeschlossen." Jenes Versicherungsinstitut, bei dem der Wagen haftpflichtversichert war, zahlte aber bereits. Rund sechs Millionen Euro standen für Personenschäden zur Verfügung.

Die Einstufung des 27-Jährigen als unzurechnungsfähig hat aber auch noch gravierende Folgen über mögliche finanzielle Ansprüche hinaus. Seit Ende 22. Juni 2015 sitzt er in der Justizanstalt Graz-Jakomini in Untersuchungshaft. Doch für einen nicht zurechnungsfähigen Täter ist U-Haft nicht vorgesehen: Wahrscheinlich ist eine Verlegung aus dem Gefängnis in ein Spital, in dem der psychisch Kranke bis zum Prozessbeginn betreut wird, in einer Art geschlossenen Abteilung. Außerhalb davon kann sich R. zwar nicht frei bewegen, doch trotz Überwachung gilt das dann formell nicht mehr als U-Haft, sondern als "vorläufige Anhaltung".

Verfahren noch heuer möglich

Der Termin für den Prozess rund um die Einweisung steht derzeit noch nicht fest. Kommende Woche wird die Staatsanwaltschaft Graz ihren Bericht an die Oberbehörde schicken, der Akt muss dann auch noch vom Justizministerium abgesegnet werden.

Da es aber keine Anklageschrift mehr geben wird, könnte es schneller gehen, als erwartet: Heuer jedenfalls soll der Prozess noch stattfinden. Den Opfern der Fahrt bleibt der Gang zum Gericht nicht erspart: Obwohl es keine Anklage gibt, dürften einige von ihnen befragt werden.

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