Amokfahrer-Prozess: "Für die Opfer sind Sie schuldig"

Alen R. kann sich vor Gericht nicht mehr an die Fahrt erinnern
Definitive Diagnose über Alen R.s Geisteszustand gibt es nicht, bloß den Verdacht auf Schizophrenie.

15 Monate sind seit der Amokfahrt von Graz vergangen. "Und man hat es innerhalb eines Jahres nicht geschafft, eine definitive Diagnose zu stellen, was Herr R. hat oder nicht?", wundert sich Richter Andreas Rom.

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Er trifft damit scheinbar einen wunden Punkt der Psychiater, denn der deutsche Gutachter Jürgen Müller zieht sich auf Fachtermini zurück. "Wir gehen nach klassifizierten Operationsmanualen vor." Schließlich sei eine psychiatrische Diagnose nicht so simpel festzulegen "wie ein Beinbruch".

Am zweiten Tag des Amokfahrer-Prozesses erfahren die Zuhörer Erstaunliches. Zunächst bekundet der Kfz-Sachverständige, dass er R. für einen routinierten Fahrer halte. Immerhin sei er Hindernissen wie einem Hydranten, Wartehäuschen oder Mauern ausgewichen, die seine Fahrt gestoppt hätten. "Das Fahrverhalten lässt erkennen, dass da ein Lenker am Werk ist, der sein Fahrzeug beherrscht."

Alen R., der am 20. Juni 2015 drei Menschen tötete und Dutzende verletzte, behauptete am Vortag, er habe "die Kontrolle" über den grünen SUV verloren. Davon geht er nun ab und wiederholt monoton: "Ich kann mich an die Fahrt nicht erinnern."

Schließlich hört man auch noch, dass bei R. der "Verdacht auf Schizophrenie" besteht: Verdacht, wohlgemerkt, nicht Feststellung.

Arbeitsdiagnosen

"Es heißt Verdacht auf Schizophrenie", führt Psychiater Müller die Arbeitsweise seiner Zunft aus. "Man erstellt Arbeits- und Verdachtsdiagnosen. Die können sich dann im Lauf der Jahre bestätigen. Bis dahin arbeitet man mit Arbeitsdiagnosen."

So eine "Arbeitsdiagnose" führte aber bereits zu einer bedeutenden Entscheidung: Alen R. gilt als unzurechnungsfähig, nachdem ihn die Psychiater Müller und Peter Hofmann als paranoid und schizophren einstuften. Aus diesem Grund klagt Staatsanwalt Rudolf Fauler nicht dreifachen Mord und 108-fachen Mordversuch an, sondern beantragt die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher.

In so einer Einrichtung - der Justizanstalt Göllersdorf - war R. bereits vor Prozessbeginn untergebracht. Dort allerdings vermerkte man, dass "keine Fremd- oder Eigengefährdung" des Betroffenen vorliege.

Alen R. kommt auch am zweiten Tag wieder in weiß gekleidet. Wortkarger als beim Auftakt, auch wenn seine Verteidigerin Liane Hirschbrich versucht, ihrem Mandanten so etwas wie eine Entschuldigung zu entlocken: "Es sind drei Menschen gestorben, darunter ein kleines Kind." R. wiederholt bloß seine Antwort vom Prozessauftakt: "Es tut mir leid, was passiert ist. Aber ich bin selbst Opfer."

Emotionale Zeugen

Dann sind wieder Opfer der Amokfahrt als Zeugen an der Reihe. Ein paar sehen R. an, andere vermeiden jeden Blick. Ein Unternehmensberater spricht R. aber direkt an. "Ganz gleich, was die Gutachter sagen. Für die Opfer sind Sie schuldig!"

Der Grazer war mit dem Fahrrad unterwegs, als er vom Auto erfasst wurde. Zwei Monate lag er im Spital. Er sei nicht verantwortlich, wiederholt R. Der Zeuge bleibt beim Hinausgehen vor ihm stehen: "Ich glaube Ihnen nicht."

Fast im Minutentakt kommen die Opfer in den Gerichtssaal. Eine Grazerin erzählt, dass R. direkt auf ihren Wagen zugefahren sei. "Er schaut mich an, lacht mich an, hat die Hand lässig am Fenster. Ich denk’ mir, was für ein Trottel."

Eine Geschworene fragt sich, ob R. denn nach der Fahrt jemals Emotionen gezeigt habe? Psychiater Walzl verneint. "Er hat nie eine besondere Regung gezeigt, war nie weinerlich."

Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

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