Allzeit-Rekord bei den Zivildienern

Die Rettungsorganisationen brauchen Zivildiener zur Aufrechterhaltung des Betriebes
Von 344 auf mehr als 14.000 – der Dienst an der Allgemeinheit liegt im Trend.

Den typischen Zivi, den gibt es nicht mehr", erklärt Ferdinand Mayer, Chef der Zivildienst-Service-Agentur im Innenministerium. Auch ein Mitgrund, warum sich Jahr für Jahr immer mehr junge Männer zum Zivildienst melden. 2013 waren es mit 14.256 Österreichern bereits etwa 40 Prozent der wehrpflichtigen Männer. Ein Allzeit-Rekord, Tendenz weiter steigend.

1975 wurde der Wehr-Ersatzdienst eingeführt. 344 "Pazifisten" meldeten sich damals zum Dienst. Der überwiegende Teil der Österreicher sah in den "Zivis der ersten Stunde" Schwächlinge und Tachinierer. Knapp 40 Jahre später hat sich das Blatt gewendet: Das Bundesheer kämpft mit einem massiven Imageproblem, der Zivildienst ist beliebter denn je. Und die Kritiker von früher klopfen den Zivildienern auf die Schulter.

In einer Blitzumfrage unter Österreichs Bürgermeistern fragte der Gemeindebund unter anderem nach dem "Wert der Zivildiener". 700 Ortschefs, knapp ein Drittel aller Bürgermeister, beteiligten sich daran. "89,5 Prozent halten die Leistungen der Zivildiener aus Sicht ihrer Gemeinde für absolut unverzichtbar", fasste Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer die Ergebnisse zusammen.

Engagement

Allzeit-Rekord bei den Zivildienern
"Da geht es nicht nur darum, dass etwa der Rettungsdienst oder der Sozialbereich ohne Zivildiener nicht mehr aufrechtzuerhalten wären. Da geht es auch darum, dass 70 Prozent der ehemaligen Zivis sich nach Ende ihres Dienstes freiwillig und ehrenamtlich engagieren", weiß Mödlhammer.

Rettungswesen, Behinderten- und Sozialhilfe gefolgt von Altenbetreuung stehen beim Dienst ohne Waffe im Vordergrund (siehe Grafik). Die meisten Zivildiener werden dem Roten Kreuz zugewiesen. RK-Generalsekretär Werner Kerschbaum kennt das Erfolgsgeheimnis: "Die Bevölkerung hat den Beitrag des Zivildienstes erkannt und akzeptiert. Ganz zu schweigen von dem finanziellen Benefit, den die Republik daraus lukriert." (siehe Interview)

Während der Grundwehrdienst sechs Monate dauert, dienen Zivis neun Monate. Die drei Monate längere Verpflichtung stört Österreichs junge Männer keineswegs. "Denn in der Regel können Dienst-Zuteilungen in der Heimatregion der Männer arrangiert werden. Und es gibt ein breites Betätigungsfeld", erklärt Zivi-Experte Mayer.

Zivildiener bevorzugt

War vor wenigen Jahren der abgeleistete Präsenzdienst noch unverzichtbar für einen Job, sehen mittlerweile viele Firmenchefs den Zivildienst als Vorteil. Der Trend zum Dienst ohne Waffe ging sogar so weit, dass Innenministerin Johanna Mikl-Leitner im Jänner 2013 den Zivildienst für Frauen – auf freiwilliger Basis – öffnen wollte.

Im österreichischen Roten Kreuz standen im Vorjahr 4300 Zivildiener im Einsatz. Das ist mehr als ein Drittel der österreichweit zugewiesenen Zivis. Rot-Kreuz-Generalsekretär Werner Kerschbaum erklärt die Hintergründe zum Imagewandel des anfangs belächelten Heeres-Ersatzdienstes.

KURIER: Bei der Einführung des Zivildienstes 1975 gab es 344 Zivildiener. 2013 waren es 14.256. Wie erklären Sie sich diese Erfolgsstory?

Werner Kerschbaum: Die jungen Männer wissen heutzutage besser Bescheid und sie haben über Internet-Plattformen mehr Informationen und somit bessere, transparentere Entscheidungshilfen. Auch das eigennützige Interesse, etwas zu lernen, das später gebraucht werden kann, spielt dabei eine gewisse Rolle.

Die Debatte um ein Berufsheer, vor einem Jahr, stellte den Zivildienst zur Diskussion ...

Dieses Erfolgsmodell abzuschaffen wäre unverantwortlich gewesen.

Der freiwillige Sozialdienst wurde als Ersatz gehandelt. Parallel zu einem Berufsheer eine machbare Lösung?Nein. Denn für einen Sozialdienst fehlte die Finanzierung.

Stichwort Geld. Welche Summe erspart der Zivildienst der öffentlichen Hand?

Etwa 140 Millionen Euro pro Jahr. Neben dem Geld steht vor allem der enorme Nutzen für die Gesellschaft. Und der Großteil der Zivildiener bleibt, zumindest im Roten Kreuz, als Freiwillige bei der Institution. Die nach dem Zivildienst geleisteten freiwilligen Stunden machen pro Jahr 105 Millionen Euro aus.

Klingt, als wäre der Zivildienst, im Vergleich zum Präsenzdienst, eine entspannte Angelegenheit ...

Ganz im Gegenteil. Das ist harte Arbeit, die nur mit viel Engagement und Motivation funktioniert. Vor ungefähr 30 Jahren galten Zivis noch als Drückeberger. Heute sind sie als Stützen der Gesellschaft anerkannt.

Unsere Bevölkerung wächst und wird immer älter. Parallel dazu werden verstärkt Pflege und Betreuung gebraucht. Wird unser System diese Herausforderung meistern können?

Ich gehe davon aus, dass sich der Trend zum Zivildienst fortsetzt. Wir werden mit den gestellten Aufgaben mitwachsen.

Der Wiener Max Dietrich entschied sich noch vor der Matura für den Zivildienst: "Für mich stand die Entscheidung fest. Beim Heer hätte mir persönlich die Sinnhaftigkeit gefehlt."

Noch bis Oktober ist Dietrich in der Blutbank des Roten Kreuzes tätig. Der junge Mann, er wird danach Jus studieren, etikettiert, sortiert und schlichtet Blutkonserven im Hochsicherheitstrakt der RK-Zentrale auf der Wiedner Hauptstraße.

Pro Jahr werden dort für Ostösterreich 160.000 Blutkonserven angelegt und ausgeliefert. Eine verantwortungsvolle Aufgabe: "Nach ein paar Tagen Einschulung ist man aber auch bei der komplizierten Rhesus-Formel sattelfest." Nachsatz: "Ideal wäre gewesen, wenn ich in der Rechtsabteilung einen Job bekommen hätte. Aber ich lerne auch bei dieser Aufgabe fürs Leben."

Knapp 600 Euro

Apropos Leben. Um über die Runden zu kommen, braucht man auch als Zivi Geld. Wie sieht es also mit der Entlohnung aus? Zivis erhalten im Monat 307,50 Euro Grundversorgung. Inklusive Essensgeld, Fahr- und Mietkostenzuschuss erhält Dietrich etwa 600 Euro im Monat: "Es ist knapp, aber ich komme aus."

Zivi Georg Bayerl arbeitet im Tagesheim für Schlaganfall-Patienten des Wiener Hilfswerks. Der bereits ausgebildete Physiotherapeut will nach dem Zivildienst Soziologie studieren: "Diese Arbeit hier ist eine perfekte Basis für das Studium. Besser kann’s nicht sein."

Der eher stille Zivildiener versucht Schlaganfall-Patienten körperlich und geistig durch Übungen, Ausflüge oder Brettspiele wie Schach wieder zu mobilisieren. Frühstück machen und Küchendienst fallen ebenfalls in seinen Bereich. Bayerl ist jeden Tag mit den Folgen von Schlaganfällen konfrontiert: "Wenn man sieht, dass bereits 30-jährige Schlaganfallopfer schwere körperliche Defizite erlitten haben, dann merkt man sich das." Der junge Zivildiener wurde vom Hilfswerk sogar angefordert.

Seine Chefin Karin Marek-Szedenik gibt aber auch einen Einblick in die möglichen Schattenseiten des Zivildienstes: "Nicht jeder Zivi ist so motiviert wie Herr Bayerl. Sie glauben gar nicht, wie oft so mancher Zivildiener krank sein kann." Denn die Pflege und Betreuung verlangt jede Menge Selbstdisziplin. Marek-Szedenik dazu: "Und das ist nicht jedermanns Sache. Unser zweiter Zivildiener hat bereits aufgegeben."

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