"Aktive Integration verlangen"

"Aktive Integration verlangen"
Expertin Karin Schreiner spricht sich für Solidarität, aber auch für eine sachliche Diskussion aus.

Ob es um die Art der Begrüßung, den Umgang mit Hunden oder um Kleidung geht: In verschiedenen Kulturen gelten verschiedene Spielregeln. Dies kann mitunter zu Missverständnissen führen. Der KURIER sprach mit Expertin Karin Schreiner darüber, wie Integration in Österreich gelingen kann. Schreiner arbeitet als interkulturelle Trainerin und als Coach für internationale Unternehmen. Zudem unterrichtet sie an Universitäten und Fachhochschulen in ganz Österreich.

KURIER: Jüngst gab es viel Resonanz auf einen KURIER-Bericht, laut dem Hundebesitzer kritisieren, dass Flüchtlinge wegen des Hundes die Straßenseite wechseln. Was würden Sie in diesem Fall raten?

Karin Schreiner: Der Hund wird in verschiedenen Kulturen unterschiedlich eingestuft. Bei uns ist er ein Familienmitglied, oft hat er erzieherischen Wert. Ich hatte an der Universität einen Kollegen aus Ghana, der sich vor Hunden gefürchtet hat, da es in seiner Heimat viele bissige Straßenhunde gibt. Nachdem wir ihm die Situation hier erklärten, war das Problem bald gelöst. Eine Möglichkeit wäre, in den Integrationskursen über die Rolle des Hundes hier zu informieren. Information über Werte, die hier wichtig sind, ist ein wichtiger Ansatzpunkt.

Was sagen Sie zur derzeit oft diskutieren Frage des Handgebens zur Begrüßung? Sollen Männer Frauen so begrüßen?

Im Business heißt es, man muss sich dort anpassen, wo man gerade ist. Fahre ich in ein arabisches Land, erwarte ich nicht, so begrüßt zu werden. Hier aber ist es eine äußerst wichtige Form der Höflichkeit.

Wie kann man als Frau reagieren, wenn das verweigert wird? Etwa als Lehrerin, wenn der Schüler nicht die Hand gibt?

Hier herrscht Gleichberechtigung. Das Händeschütteln zu verweigern ist der Lehrerin gegenüber sehr unhöflich. Es ist auch ein Hierarchie-Thema: In Volksschulen etwa herrscht ein freundschaftlicher Umgangston, Kinder sind mit Lehrern oft per Du. In so einem Fall sollte die Lehrerin bestimmter auftreten und dem Buben oder auch dessen Vater signalisieren, dass sie eine Führungsperson ist und dieses Verhalten nicht akzeptiert.

Sich auf kulturelle Werte zu berufen und den Handschlag zu verweigern ist also keine Lösung?

Man muss akzeptieren, was hier die gängigen Umgangsformen sind und sich auf dieser Ebene anpassen. Für diese kleine Geste ernten die Menschen unter Umständen viel Freundlichkeit und Wohlwollen – dann kann das Kommunizieren miteinander anfangen.

In anderen Kulturen hat die Frau eine andere Stellung in der Gesellschaft. Wie kann man vermitteln, dass hier Gleichberechtigung herrscht – oder zumindest herrschen sollte?

Im arabischen Raum hat die Frau zu Hause eine sehr hohe Stellung, Mütter haben unglaublichen Einfluss auf ihre Söhne. Möglicherweise kann man es Burschen aus Syrien oder Afghanistan auf dieser Ebene erklären, dass Frauen bei uns auch im öffentlichen Raum so stark respektiert werden. Auch was Kleidung betrifft: Die Frauen hier kleiden sich wie sie wollen. Das muss man akzeptieren. In all diesen Punkten gilt: Es braucht Information und Aufklärung.

Wie kann Integration im Alltag funktionieren? Was wäre da ein erster möglicher Schritt?

Man kann einander beispielsweise zum Essen einladen, oder Neuankömmlinge ins Vereinsleben einbinden. Integration funktioniert nur, wenn sich beide Seiten einbringen – aber man kann auch verlangen, dass sich Menschen aktiv integrieren, etwa indem sie unsere Sprache lernen.

"Aktive Integration verlangen"
Haben Flüchtlinge teilweise falsche Vorstellungen von Europa und vom Leben hier?

Viele haben ein idealisiertes Bild. Hier ist nicht das Paradies, wir hatten eine Wirtschaftskrise. Im arabischen Raum gibt es starke Familienverbände, Einzelne können mitgetragen werden, auch Entscheidungen werden oft abgenommen. Hier ist es individueller, jeder ist verantwortlich und sollte arbeiten und Steuern zahlen. Man muss erklären, wie unser System und unsere Institutionen funktionieren und finanziert werden.

Sie haben in Tschechien, Indien, Belgien, Finnland und China gelebt. Welche Erfahrungen haben Sie als "Fremde" gemacht?

Anfangs ist es hart. Man befindet sich auf Glatteis und macht ununterbrochen etwas falsch (lacht). In Finnland musste ich lernen, dass man überall, sogar im Schmuckgeschäft, eine Nummer ziehen muss. Das sind Kleinigkeiten – aber je mehr dieser kleinen Regeln man kennt, desto sicherer fühlt man sich. Das Wissen gibt einem das Gefühl: Ich schaffe es, hier zu leben.

Derzeit ist ein sachlicher Diskurs kaum noch möglich: Einerseits werden Flüchtlinge bösartig angefeindet, andererseits kann man tatsächliche Probleme kaum noch ansprechen.

Eine sachliche Diskussion fehlt derzeit. Die Politik hätte da sicher die Verantwortung, die Situation besser zu erklären. Es fehlt etwa am Bewusstsein, wie Anpassung verläuft: Flüchtlinge machen eine schrittweise Annäherung, sie verändern sich automatisch. Die Annäherung auf psychologischer und wirtschaftlicher Ebene muss für sie aber auch erfolgreich verlaufen können. Es wird aber definitiv nicht zu einer Zerbröselung der Mehrheitsgesellschaft kommen. Eine kritische Diskussion ist wichtig – man darf aber auch die Solidarität nicht vergessen.

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