50 Jahre im Gefängnis: Rekordhäftling hofft auf Freiheit

Juan Carlos Chmelir
Raubmörder und Geiselnehmer übt jetzt Affektkontrolle. Einladung ins Parlament.

Mit seinen fast 50 Jahren hinter Gittern bezeichnet er sich selbst als "Gefängnis-Fossil". Die Anstaltsleitung stuft ihn als "Hochrisiko-Täter" ein, Psychiater attestieren ihm eine paranoide Persönlichkeitsstörung.

Und doch macht sich der 67-jährige Raubmörder, Geiselnehmer und Vergewaltiger Hoffnungen auf baldige Freiheit. Immerhin wurde Juan Carlos Chmelir in eine sogenannte Entlassungsgruppe der Justizanstalt Graz-Karlau aufgenommen, in der mit ihm seine Affektkontrolle trainiert wird. Aber heißt das schon etwas?

Im Alter von 15 Jahren wurde Chmelir (unter seinem damaligen Namen Bresofsky) wegen Beihilfe zur Notzucht zu vier Monaten strengem Arrest verdonnert. Weitere Sexualdelikte sowie Raubüberfälle mit 19 hatten zwölf Jahre Haft zur Folge.

50 Jahre im Gefängnis: Rekordhäftling hofft auf Freiheit
KURIER-Schlagzeile im August 1989: Chmelir mit Geisel flüchtig

Horror in Heimen

"Ich habe mich nie als Unschuldslamm hingestellt", sagt Chmelir: "Meine Pubertätszeit habe ich inmitten der Heim- und Gefängniskultur verbracht bzw. überlebt. Entweichungen vor dem Horror in staatlichen Heimen führen unweigerlich dazu, dass man im Straßenmilieu zu überleben lernen musste. Der Straßenstrich am Naschmarkt oder in der Opernpassage." Dass er sich wegen des erlittenen Missbrauchs in Heimen "heute mehr als Opfer als als Täter fühle", will er nicht geltend machen, das wäre "zynisch und unzulässig."

Trotz ungünstiger Prognose wurde Chmelir 1976 bedingt entlassen. Zwei Jahre später überfällt er Banken und Postfilialen und erschießt einen Postbeamten. Er bekommt lebenslang.

1983 unternimmt er einen Fluchtversuch aus der Justizanstalt Garsten, OÖ, erklimmt mit einem Wurfanker das Kirchendach und harrt dort 33 Stunden aus. Das bringt ihm ein zusätzliches Jahr ein. Er wird in die Justizanstalt Graz-Karlau verlegt und bricht 1989 mit zwei Mithäftlingen aus. Chmelir hält ein Auto an, nimmt die Lenkerin als Geisel und vergewaltigt die fünffache Mutter sechs Mal. Er wird verhaftet und zu weiteren 18 Jahren verurteilt.

Inzwischen sitzt Chmelir seit durchgehend 38 Jahren im Knast und ist damit der "längstdienende" Häftling Österreichs. Mit Anträgen auf bedingte Entlassung ist er bisher immer abgeblitzt. Jetzt schöpft er neue Hoffnung.

Eine forensische Psychologin und ein Gerichtspsychiater haben Chmelir untersucht und lassen erstmals Ansätze einer positiven Entwicklung erkennen. Er habe gelernt, sich an Regeln zu halten und Mitgefühl für seine Opfer zu entwickeln. Laut Gutachterin Sigrid Krisper ist die "dissoziale Persönlichkeitsstörung" bei Chmelir auch wegen seines "inzwischen erlangten Alters insgesamt als mild einzustufen." Gutachter Franz Schautzer nimmt mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" an, dass Chmelir "keine weiteren strafbaren Handlungen" mehr begehen werde.

Beide machen ihre Prognose allerdings von Auflagen abhängig: "Vorsichtig gelockerte Bedingungen" sollten bei ersten überwachten Ausgängen erprobt werden, mit der Möglichkeit einer "raschen Reaktion bei Übertretungen". Die Fußfessel wird als Vorsichtsmaßnahme vorgeschlagen.

Zunächst wird in der Entlassungsgruppe mit einer Sozialarbeiterin vom Verein Neustart und einem Justiz-Mitarbeiter die Affektkontrolle des Rekordhäftlings trainiert. "Das heißt noch nicht, dass Herr Chmelir auch entlassen wird", sagt der stellvertretende Anstaltsleiter Gerhard Derler zum KURIER: "Derzeit gibt es keine Lockerungsmaßnahmen." Ein weiterer Gutachter soll zuerst das Risiko einer Lockerung einschätzen.

Staatsakt

Für den 17. November wurde Chmelir als ehemaliges Heimkind von der Opferhilfsorganisation Weisser Ring zu einem Staatsakt im Parlament eingeladen, bei dem ein Zeichen gegen den Missbrauch in Heimen gesetzt werden soll. Chmelir wird der Einladung nicht folgen können. Er müsste sich seine Bewachung selbst zahlen. Außerdem überlegt die Anstaltsleitung, ob das nicht womöglich "ein Zur-Schau-Stellen" wäre.

Lebenslang

Nach frühestens 15 Jahren können zu lebenslanger Haft verurteilte Straftäter vorzeitig auf Bewährung entlassen werden, wenn sie nicht mehr als gefährlich gelten. Im Schnitt dauert lebenslang 21 Jahre. Jeder dritte zur Höchststrafe Verurteilte stirbt hinter Gittern.

Zur Person

Juan Carlos Chmelir (damals noch Bresofsky) kam in Uruguay zur Welt und wanderte mit seiner Familie 1962 im Alter von 13 Jahren nach Österreich aus. Die Eltern trennten sich und starben bald, der Sohn landete in Heimen und im Gefängnis, damals noch mit Dunkelhaft, hartem Lager und Fasttagen. "Innerlich erheblich erstickt, reagierte ich aufbrausend oder ich blockte ab", sagt er über sich selbst.

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