Zwischen uns gab es ein Urvertrauen

1. Oktober 1981: Der rote Neukirchner Ruhaltinger, auch Obmann der Gebietskrankenkasse, begrüßt den schwarzen Neukirchner und Landeshauptmann Ratzenböck bei der Eröffnung des Zahnambulatoriums.
Josef Ratzenböck über Franz Ruhaltinger, Hermann Polz und seine Diamantene Hochzeit.

Die 1600-Einwohner-Gemeinde Neukirchen am Wald im nördlichen Teil des Bezirks Grieskirchen hat fünf überregional bekannte Persönlichkeiten hervorgebracht. Unter ihnen Anneliese Ratzenböck (80), die diese Woche mit dem Heinrich-Gleißner-Preis ausgezeichnet worden ist, und Landeshauptmannstellvertreter Franz Hiesl.

Zwei Neukirchner sind nun verstorben und werden kommende Woche verabschiedet. Der frühere Zentralbetriebsratsobmann der voestalpine, Franz Ruhaltinger (87), wird am Mittwoch um 13 Uhr am Urnenhain Linz-Urfahr begraben. Am Donnerstag um 15 Uhr findet in der Feuerhalle Wien-Simmering die Verabschiedung von Hermann Polz (87) statt, der als Chefredakteur der Oberösterreichischen Nachrichten das Land mitgeprägt hat. Der Neukirchner Josef Ratzenböck (85), Landeshauptmann von 1977 bis 1995, hat die beiden von Kindheit auf gekannt. Polz ist der Bruder von Ratzenböcks Frau Anneliese.

KURIER: Franz Ruhaltinger und Hermann Polz wurden in ihrer Jugend vom Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit geprägt.

Josef Ratzenböck:
Beide sind 1927 geboren, beide sind einberufen worden und haben Militärdienst geleistet.

Polz hat das sehr geprägt, indem er immer ganz klar gegen den Nationalsozialismus Position bezogen hat.

Und für den Frieden zwischen den Völkern. Der Hermann ist nur durch einen Zufall dem Tod entgangen. Er war der Armeegruppe Schörner zugeteilt (der "blutige Ferdinand" galt als der "brutalste von Hitlers Feldmarschällen", Anm. d. Red.) und kam in amerikanische Gefangenschaft. Sie wurde an die Russen ausgeliefert, die sie Richtung Sibirien in Marsch gesetzt haben. Dabei gelang ihm und einem anderen Neukirchner, dem Erwin Lehner, in der Tschechoslowakei die Flucht. In Nachtmärschen sind sie nach Österreich zurück.

Seine antinazistische Haltung kam auch zum Ausdruck in seiner Kritik an Bundespräsident Kurt Waldheim, dessen Umgang mit der Kriegsvergangenheit er kritisiert hat.

Ja.

Wie war Ihr Verhältnis zu Ruhaltinger?

Ich hatte mein ganzes Leben lang eine Verbindung mit ihm. Er hat seinen Weg gesucht bei den Sozialisten, ich bei der ÖVP. Dennoch war das Verhältnis nie getrübt. Wenn aus unserem Heimatbereich jemand einen Posten bei der Voest angestrebt hat, habe ich ihn angerufen und er hat gesagt, schick’ ihn mir. Zwischen mir und ihm gab es ein Urvertrauen. Jeder hat vom anderen gewusst, was der sagt, das gilt. Wer waren nie gegeneinander, sondern miteinander für eine Sache. Für die Voest, für Oberösterreich.

Er war so mächtig, dass auch Bundeskanzler Bruno Kreisky auf ihn hören musste. Als 1986 die Großdemonstration der 40.000 Voestler am Linzer Hauptplatz war, wurde ich als Redner eingeladen. Ruhaltinger hat mich angerufen und gesagt, Pepi, kommst eh? Ich habe ihm geantwortet, ich weiß nicht, ob das der Sache dient, ihr werdet mich wahrscheinlich auspfeiffen. Er hat gesagt, wir sind froh, wenn du uns unterstützt und niemand wird dich auspfeiffen, das garantiere ich dir. So war es. Ich habe fast mehr Beifall bekommen als andere Redner.

Was hat den Ruhaltinger ausgezeichnet, dass er so stark war?

Seine absolute Verlässlichkeit. Er hat ein Ziel konsequent verfolgt. Er war sehr zielstrebig. Was mit ihm vereinbart wurde, hat gehalten.

Er kam aus sehr armen Verhältnissen.

Sein Vater war Landesstraßenwärter. Eine Schwester von ihm, die Resi, ist mit mir in die Schule gegangen. Ein Bruder von ihm hat bei einem Nachbarn, dem Wagner Straßl, gearbeitet. Wir kannten uns.

Hannes Androsch hat gemeint, er war der Generaldirektor der Voest.

Das hat gestimmt. Die Krise der Verstaatlichten war sicher nicht seine Schuld, sondern das war die generelle Situation.

Er ist immer zu den Arbeitern und den kleinen Leuten gestanden.

Ja. Ich habe jetzt auch noch regelmäßig mit ihm telefoniert. Ich habe auch zuletzt mit ihm zu sprechen versucht, aber ich konnte ihn nicht erreichen. Ich habe mir gedacht, er ist auf Kur, da kam plötzlich die Todesnachricht. Wenn er einen Spitalsaufenthalt gehabt hat, habe ich das als Erster erfahren. Ich bin als Erster mit einem Blumenstrauß zu ihm ins Spital gekommen.

Ihr Schwager Hermann Polz war vom Naturell ein ganz anderer Typ als Sie. Sie sind verbindlich, Polz hingegen ein scharfer Schreiber.

Ja. Ich habe immer mit Vergnügen gelesen, was er geschrieben hat.

Was haben Sie sich dabei gedacht? Dass er Recht hat?

Manchmal habe ich mir gedacht, muss er so scharf formulieren (lacht).

Was hat Polz ausgezeichnet?

Seine Intellektualität, sein Scharfsinn, seine Formulierungskraft. Er hat Zustände und Geschehnisse messerscharf darstellen können.

Wirklich hart kritisiert hat er die Bundes-ÖVP.

Bei der ÖVP in Wien hat man öfter gedacht, ist es möglich, dass uns der Schwager des Ratzenböck so prügelt?

Hat die Bundes-ÖVP Sie nicht manchmal als Urheber verdächtigt?

Sie haben unter Umständen vermutet, Polz schreibt so, weil der Ratzenböck bestimmte Absichten verfolgt. Das war aber nie so. Der Hermann war immer völlig unabhängig.

Haben Sie beide des öfteren darüber geredet?

Relativ wenig. Da wäre es zu Meinungsverschiedenheiten gekommen und das haben wir vermieden. Wir waren Freunde. Er hat gewusst, wie ich denke und ich habe gewusst, wie er schreibt. Wir haben niemals Schwierigkeiten gehabt.Wir waren auch beim Studium in Wien zusammen. Er war Dramaturg in der Wiener Scala. Das war so gut wie das Burgtheater. Er hat mich als Statisten aufgenommen, weil ich Geld für das Studium gebraucht habe. Da habe ich vier Jahre statiert.

Für mich ist der Hermann immer noch nicht gestorben. Er ist noch immer real da, das ist etwas ganz Merkwürdiges.

Welches Vermächtnis hinterlassen Ruhaltinger und Polz?

Ich glaube nicht, dass sie ein Vermächtnis hinterlassen wollten. Das Leben, das sie geführt haben, ist ein Beispiel. Beide waren Demokraten, beide waren interessiert in einer Gesellschaft zu leben, in der sich die Leute wohlfühlen. Beide waren für den Frieden, weil sie noch im Krieg gewesen sind.

Im persönlichen Umgang war Polz anders als als kritischer Chefredakteur?

Natürlich. Wir waren nicht nur verschwägert, sondern befreundet. Ich hab e ihn länger gekannt als seine Schwester Anneliese. Die Familie Polz waren unsere Nachbarn. Ich habe die Anneliese das erste Mal gesehen, als sie 14 Jahre alt war. Sie hat mir sehr gefallen. Jetzt feiern wir am 29. Dezember die Diamantene Hochzeit.

Was ist das Geheimnis, so lange gemeinsam zu leben? Heute gibt es wesentlich mehr Scheidungen.

Damals gab es auch schlechte Ehen. Man hat sich aber nicht scheiden lassen. Man hat sich bemüht, das irgendwie nebeneinander zu bewältigen. Ich weiß nicht, was besser ist. Das kommt darauf an.

Wir haben uns einfach verstanden. Die Liebe ist die Voraussetzung. Meine Frau ist auch ein politischer Typ. Sie hat mich mein ganzes Leben unterstützt. Kulturell, sozial. Es hat gepasst.

Ist das Glück oder muss man sich das erarbeiten?

Da muss viel zusammenstimmten. Man muss auch Glück haben. Meine Frau hat immer gesagt, sie hat den Erstbesten genommen und er hat sich als der Allerbeste herausgestellt.

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