„Zuhören ist das Wichtigste“

„Zuhören ist das Wichtigste“
Der Komponist, Dirigent, Pädagoge, Musikkritiker, Organist und Zisterziensermönch Balduin Sulzer wird am 15. März 80 Jahre jung.

Balduin Sulzer wird am 15. März 80 Jahre jung. Am Mittwoch wurde im Wiener Musikverein ein Klavierquartett uraufgeführt.

KURIER: Was bedeutet Musik für Sie?

Balduin Sulzer: Musik ist das Wichtigste für meine Existenz, für mein Dasein. Das war nicht so geplant. Ich komme aus Großraming, ich habe nicht gewusst, dass es so etwas wie klassische Musik gibt. Mein Vater war Holzknecht, die Mutter Schneiderin. 1942 kam ich nach Linz, ans Gymnasium auf der Spittelwiese. Die beiden Domkapläne Josef und Hermann Kronsteiner haben sich meiner angenommen. Nicht weil ich so musikalisch war, sondern weil sie aus Losenstein und damit aus derselben Gegend wie ich stammten. Sie haben bemerkt, dass ich ein gutes Gehör habe und haben mich in die Domchor aufgenommen. Sie verschafften mir Klavierstunden und ich durfte auf dem alten Klavier im Pfarrhof spielen. Meine Lehrerin stammte aus einer Familie, in der Anton Bruckner gelegentlich verkehrt hatte. Sie hat mir stets von ihren Begegnungen mit Bruckner erzählt, was für mich sehr spannend war.

Musik ist für Sie ein Lebensgrund, ein Lebenssinn. Gleichzeitig haben Sie sich für den Eintritt in den Zisterzienserorden entschieden.

Im Laufe meiner Studentenzeit im Internat, ich war ab Herbst 1945 in Wilhering, habe ich gemerkt, dass ich eine ganz gute Gabe habe im Umgang mit jungen Menschen. In der sechsten, siebenten Klasse war ich manchmal Aushilfspräfekt. Ich hatte das Gefühl, dass mir die Kommunikation mit den Kleinen ganz gut gelungen ist. Es reifte in mir der Entschluss heran, mich mit Erziehung zu beschäftigen. Der Orden hat die Einladung an mich und andere ausgesprochen, im Haus zu bleiben und im Unterricht im Gymnasium tätig zu sein. Ich hatte hier wegen der Musik eine gewisse Sonderstellung. Das alles zusammen hat mich mit fünf anderen Kollegen bewogen, in den Orden einzutreten.

Sie haben Tausende Schüler unterrichtet. Ihr berühmtester war wohl Franz Welser-Möst.

Neben Wilhering habe ich auch am Musikgymnasium in der Linzer Stifterstraße unterrichtet. Es sind in Wilhering auch ein paar gute herausgekommen. Walter Gugerbauer ist beispielsweise Generalmusikdirektor in Erfurt. Ernst Würdinger war Dirigent in Frankfurt und unterrichtet heute Tonsatz an der Wiener Musikhochschule.

Ist Ihnen Welser-Möst am Musikgymnasium bereits aufgefallen?

Ja, nur nicht in dem Ausmaß wie er heute bekannt ist. Es kam relativ bald zum Vorschein, dass er ein Leithammel ist. Er hat es zustande gebracht, dass die Schüler in den Ferien eine Woche zusammenkamen, um zu proben. Er trieb auch Sponsoren auf, die das bezahlten.

Welche Bedeutung hat das Unterrichten für Sie gehabt?

Das war nicht von vornherein geplant. Ich bin kein Mensch, der 100 Jahre vorausplant und dann in Ohnmacht fällt, wenn das nicht eintritt. Ich gehöre zu den improvisatorischen Typen, die zuerst Gas geben und dann sehen, was sich ergibt. Und der dann bewusst in Vorgänge hineinstartet. Die Musikvermittlung ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Nicht die Musik als Aneinanderreihung von Tönen, sondern als Kommunikationsmittel. Musik verstehen alle Menschen, unabhängig davon, aus welchen Teilen der Welt sie kommen. Musik ist Ausdruck und Empfinden. Wenn ein Hund vor mir sitzt und ich sage zum ihm Flocki, merkt er aufgrund der Tongebung ganz genau, ob er etwas zu fressen oder Schläge bekommt. Das liegt im Tonfall. Der Tonfall ist etwas ganz Wichtiges. Das Erste, was man können muss und was normalerweise nicht so forciert wird, ist das Zuhören. Die Ohren aufzumachen und zu schauen, was das Gegenüber sagt. Nämlich nicht nur zu schauen, was der Betreffende im Wortlaut sagt, sondern, was er sagen will. Der Kollege im Orchester muss auf den anderen Kollegen reagieren. Es kommt auf die ausdrucksmäßigen und ästhetischen Details und Feinheiten an. Man muss für das Improvisatorische offen sein. Ich komme hin und schaue, was ist los. Das ist in der normalen Kommunikation und Sprache dasselbe.

Sie unterrichten, dirigieren, spielen an der Orgel, komponieren. Was machen Sie noch?

Es ist wichtig, dass man Dinge ermöglicht. Dass man dazu beiträgt, dass sich die Schüler künstlerisch selbst erkennen. Dass sie draufkommen, wo ihre Stärken liegen. Dazu gehört sehr viel Aufmerksamkeit, damit sie herausfinden, was sie selber sind. Ich habe zum Beispiel bei Wolfgang Holzmayr, der am Mozarteum unterrichtet und weltweit singt, einiges beigetragen, dass er an sich selbst glaubt.

Was ist Komponieren?

Ich gehe immer von der Improvisation aus. Ich nähere mich einem Thema von der Emotion her an und nicht vom Intellekt. Ich denke nicht nach, ob das passt oder nicht. Danach versuche ich das verstandesmäßig zu klären. Dann gehe ich schon ins Detail.

Das niederzuschreiben erfordert ja viel Disziplin.

Das kann man sagen. An einer Oper arbeite ich schon sieben, acht Monate. Ich arbeite auch sehr viel in der Nacht. Das hängt von meinen persönlichen psychischen Vorgängen ab. Manchmal bin ich nachts wacher als am Tag.

Sie besuchen ja fast täglich ein Konzert.

Ich versuche schon, möglichst viele zu erreichen, auch als Überlebensstrategie. Wenn ich das beobachte, ist mein Kopf tätig, und das ist eine Möglichkeit, meine Existenz zu erhalten und zu intensivieren. Man verfällt nicht so leicht, vor allem hirnmäßig. Den geistigen Verfall fürchte ich im Leben am meisten. Ich habe einen sehr intelligenten 90-jährigen Mitbruder gehabt, der vor der eigenen Tür gestanden ist und gesagt hat, ich finde nicht mehr heim.

Was war das Wichtigste in Ihrem Leben?

Da sage ich selbstbewusst, es hat nichts gegeben, was nicht wichtig war (lacht). Das hat damit zu tun, dass ich ein improvisatorischer Typ bin und nichts vorausplane. Ich schlittere wo hinein und schaue wie ich zurechtkomme. Hineinschlittern ist etwas anderes als planmäßig in den Gatsch zu steigen.

Was haben Sie noch vor?

Ich werde bis zum Grabesrand komponieren.

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