Wöginger: "Wien fährt gegen die Wand"

August Wöginger
Sozialsprecher August Wöginger ist Kandidat für den ÖVP-Klubchef. Er fordert eine bundesweite Regelung der Mindestsicherung.

August Wöginger aus Sigharting (OÖ) soll nach der Wahl am 15. Oktober neuer ÖVP-Klubobmann werden. Der 42-jährige ehemalige Mitarbeiter des Roten Kreuzes gehört dem Nationalrat seit 2002 an. Er ist Sozialsprecher, Orts-, Bezirks-, Landes- und Bundesobmann der Arbeitnehmerorganisation ÖAAB, weiters ist er Bezirksparteiobmann von Schärding.

KURIER: Im Oktober haben Sie hier im Interview noch den Mindestlohn gefordert, jetzt ist er bereits Realität. Der ÖGB will nun 1700 Euro.

August Wöginger: Arbeitgeber und Arbeitnehmer erkennen, dass es dort, wo gearbeitet und eine Leistung erbracht wird, ein Mindestmaß an Einkommen geben muss. Viele Kollektivvertragsabschlüsse im Frühjahr haben die 1500 Euro brutto bereits ermöglicht. Die Generalkollektivvertrag ist jetzt der letzte Schritt. Das ist ein Meilenstein in der Arbeitnehmerpolitik, aber man soll jetzt niemanden überfordern.

Die von den Arbeitgebern geforderte Arbeitszeitflexibilisierung ist aber gescheitert.

Christoph Leitl hat sich sehr bemüht. Den Arbeitnehmern werden größere Freizeitblöcke wichtiger. Die Arbeitgeber wollen Spitzen besser abdecken. Die Vier-Tage-Woche, die wir vor einigen Jahren beschlossen haben, erfreut sich größter Beliebtheit. Es hätte schon Möglichkeiten gegeben, die Flexibiliserung im Sinne von Arbeitnehmern und Arbeitgebern weiter zu entwickeln. Es wird Aufgabe der nächsten Regierung sein, diese Frage neuerlich anzugehen.

Sie sollen neuer ÖVP-Klubobmann werden. Ihre Aufgabe wird sein, die Vorstellungen von Parteiobmann Sebastian Kurz imParlament umzusetzen.

Reinhold Lopaka ist für die gesamte Legislaturperiode gewählt. Die Abgeordneten entscheiden darüber, was nach der Wahl ist, da werden die Karten neu gemischt. Zu Kurz habe ich seit vielen Jahren ein sehr gutes Verhältnis.

Wo liegen Ihre Stärken?

Ich bin ein gesellschaftlicher Mensch und bemühe mich, einen Konsens zustande zu bringen. Meine Funktion als Sozialsprecher ist nicht immer ganz einfach, gerade in der ÖVP. Man muss zwischen den Interessensvertretungen einen Ausgleich finden. Ich glaube, dass ich das ganz gut hingebracht habe.

Sie werden ab Herbst der oberste Vertreter Oberösterreichs in der Bundes-ÖVP sein. Sie sollen Spitzenkandidat der oberösterreichischen Kandidatenliste für den Nationalrat werden. Was wollen Sie für Oberösterreich in Wien um- und durchsetzen?

Wichtig ist, dass es gute Zugänge zu den Ministerien gibt. Beispiele sind die Medizinfakultät und der Westring. Hier muss der Bund kräftig mitfinanzieren. Aber auch die Entscheidungsfindung liegt auf der Wiener Ebene. Daher ist es wichtig, dass wir stark im Parlamentsklub und in der Bundesregierung verankert sind.Eine der Hauptaufgaben wird sein, wie künftig die Finanzierungsströme von Bund Richtung Länder gestaltet werden.

Die Änderung der Parteistatuten und die alleinige Nominierung der Bundesliste für den Nationalrat durch Kurz ist eine Schwächung Ihres ÖAAB. Stört Sie diese Entmachtung nicht?

Es war uns klar, dass wir Einiges erneuern müssen. Deswegen haben wir diesen Änderungen zugestimmt, damit Kurz von den Ländern und Teilorganisationen mehr Pouvoir bekommt. Ich sehe das nicht als Schwächung. Kurz ist ein ausgezeichneter Netzwerker. Wir sind sehr gut eingebunden, deshalb sehe ich kein Problem. Das gesamte Erscheinungsbild der Partei soll Erneuerung und Verjüngung signalisieren.

Da und dort tauchen Gerüchte auf, dass Sie in die Landesregierung wechseln könnten.

Diese Frage stellt sich überhaupt nicht, denn die Landesregierung ist jetzt gut aufgestellt. Es freut mich, das Thomas Stelzer als Landeshauptmann so hervorragend liegt. Er hat in der Frage der Direktwahl dieselbe Performance wie Josef Pühringer. Und er hat die ÖVP in den Umfragen wieder über 40 Prozent gebracht.

Mit welcher Partei soll die ÖVP nach der Wahl koalieren?

Es entscheiden die Wähler,wie stark sie die ÖVP letzten Endes machen. Kurz liegt in den Umfragen konstant bei 32 bis 34 Prozent. Es zeichnet sich derzeit eher die Frage ab, wer Zweiter wird. Nach der Wahl wird der Stärkste mit dem Zweitstärksten zu reden beginnen.

Nach dem Auseinanderleben von SPÖ und ÖVP in der großen Koalition bleibt de facto nur eine Koalition mit der FPÖ über.

Es ist sehr viel in Bewegung. Es treten mit Pilz und Schnell neue Listen an.

Ist die Koalitionsfrage für Sie offen?

Sie ist völlig offen.

Das heisst, es kann auch eine Neuauflage der großen Koalition mit der SPÖ geben.

Aus meiner Sicht ist das offen. Zuerst müssen wir das Wahlergebnis abwarten und schauen, welche Konstellationen dann möglich sind.

Manche ÖVPler behaupten, es gebe eine Annäherung zwischen SPÖ und FPÖ.

Die ist eindeutig. Darabos zeigt sich begeistert von dieser Koalition, Vranitzky hat sie inzwischen auch abgesegnet. Niessl hat im Burgenland eine rot-blaue Regierung. Auch von den roten Ministern hört man kaum jemanden, der sagt, das geht gar nicht. Das sind für mich Indikatoren, dass das ganz stark in diese Richtung geht.

Die ÖVP erleidet möglicherweise das Schicksal der SPÖ im Jahr 1999/2000. Sie ist zwar stärkste Partei, aber der Zweite und Dritte koalieren miteinander.

Wenn Rot und Blau eine Mehrheit haben, werden sie diese umsetzen. Diese Gefahr steigt von Tag zu Tag.

Fritz Enzenhofer, Obmann des Christlichen Lehrervereins (CLV) und Landesschulratspräsident, kritisiert die kürzlich beschlossene Bildungsreform. Sie bringt aus seiner Sicht wenig bis gar nichts, es erfolgt lediglich eine Zentralisierung der Schulverwaltung. Er versteht die Zustimmung der ÖVP zu dieser Reform nicht, weil sie im Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip steht, wonach jede Einheit ihre Aufgaben selbst bewältigen soll.

Die Reform ist ein Minimalkompromiss zwischen drei Parteien. Es ist ein Organisations- und Strukturpaket, über das man geteilter Meinung sein kann. Es war sicher kein großer Wurf. Uns war wichtig, dass das Gymnasium erhalten bleibt. Es hat aber nichts mit der Bildung der Kinder zu tun.

Wir brauchen unbedingt eine Bildungsreform für die Kinder, weil sie Defizite beim Lesen, Schreiben und Rechnen haben. Wir haben in manchen Ballungszentren Schulklassen mit einem Migrationsanteil von 70, 80 %.

Was soll die Bildungsreform für die Kinder beinhalten?

Es geht um die Frühkindpädagogik. Wir haben viele Kindern, die beim Eintritt in die Volksschule nicht ausreichend Deutsch können. Deshalb können sie dem Unterricht nicht folgen.

Ohne dass die Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen können, kann man sie nicht entsprechend bilden und ausbilden. Dieses Manko zieht sich durch das ganze Leben: durch die Lehre und den Beruf.

Es gibt ein erstes verpflichtendes Kindergartenjahr. Soll es ein zweites derartiges Jahr geben?

Wir reden hier von vier, fünf Prozent, die vierJahre alt sind und noch nicht im Kindergarten sind. Im Unterricht kommt es oft auf diese vier, fünf Prozent an. Ich stehe daher dieser Forderung sehr offen gegenüber.

Das erste Kindergartenjahr ist gratis. Sollte es behalten werden?

Ja. Denn der Kindergarten wird immer mehr zur Bildungseinrichtung.Die Finazierungsfrage muss man einmal näher anschauen, denn für die Gemeinden sind das gewaltige Brocken.

Sie fordern eine bundeseinheitliche Regelung der Mindestsicherung. Warum?

Wir brauchen so rasch als möglich eine bundeseinheitlich geregelte Mindestsicherung, nach dem Muster von Oberösterreich, Niederösterreich und Burgenland. Diese Länder haben eine Deckelung von 1500 Euro für Familien. Da gab es früher Beispiele von 3000 bis 4000 Euro netto, was viele berufstätige Familien gar nicht verdienen. Für die Kinder gibt es die Kinderbeihilfe.

In den drei Ländern gibt es eine niedrigere Mindestsicherung, die in den letzten fünf Jahren nicht in Österreich gelebt haben. In Oberösterreich sind es 560 Euro, in Niederöserreich 572 und im Burgenland 584 Euro. Diese niedrige Mindestsicherung ist unbedingt notwendig. Der Rechnungshof prognostiziert für Wien hier im Jahr 2021 Ausgaben von 1,5 Milliarden Euro. Hier fährt das System an die Wand. Ich weiss nicht, wie die Wiener SPÖ das den Pensionisten erklärt. Die Mindestpensionisten müssen mit 840 Euro auskommen. Der Flüchtling nebenan bekommt dasselbe Geld. Das kann man den Menschen nicht erklären. Viele Flüchtlinge ziehen deshalb nach Wien, weil sie dort das meiste Geld bekommen.

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