"Wir fallen auf hohem Niveau zurück"

Siemens-Chef Josef Kinast, Wirtschaftswissenschafter Gabriel Felbermayr und Wirtschaftslandesrat Michael Strugl
Der aus Bad Hall stammende Wirtschaftswissenschafter warnt vor einer Renationaliserung.

Wie wird Österreich in fünf oder zehn Jahren im internationalen Vergleich dastehen? "Die beste Prognose ist, dass wir den Standort halten können. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren unterdurchschnittliche Wachstumsraten gesehen. Wenn sich nicht ein bisschen mehr Reformfreudigkeit einstellt, wird es ein relatives Zurückfallen auf hohem Niveau geben." Gabriel Felbermayr ist Wirtschaftswissenschafter am Ifo-Institut in München. Der 39-Jährige stammt aus Bad Hall und hat an der Linzer Johannes Kepler Universität studiert. Er referierte kürzlich im Rahmen der Denkfabrik Academia Superior, die im Linzer Siemens-Forum zu Gast war.

Massive Änderungen

Felbermayr plädiert für ein strategisches Denken in der Wirtschaftspolitik. Denn die globalen Veränderungen, der globale shift sei gravierend. So sei der Anteil der USA und der EU am weltweiten Bruttoinlandsprodukt 2010 erstmals unter 50 Prozent gefallen. Diese Prozesse seien den Menschen nicht so bewusst, wie das notwendig sei. Dass zum Beispiel Siemens 90 Prozent seines Umsatzes im Export erzielt. "Ich musste bei einer Podiumsdiskussion die Erfahrung machen, dass BMW-Mitarbeiter sagten, TTIP sei ganz furchtbar. Gleichzeitig kann BMW seine Arbeitsplätze hier nur halten, weil es im Export stark ist. Es muss sich ein neues Denken in den Köpfen verankern."

Die Vertreter der Wirtschaft hätten die patriotische Verantwortung, die Menschen über die Veränderungen aufzuklären. "Dass klar ist, dass Strategien des Re-Nationalisierens, des Grenzen-zu-Machens, dass die Verwüstung des Schengen-Raums mit großen Kosten verbunden sind. Das hat auch mit der Frage zu tun, wie man mit neuen Technologien umgeht. Auch da muss ein neues Denken stattfinden."

Wie ändert sich das Umfeld? "In Nordafrika wird sich die Bevölkerung von 210 Millionen bis 2065 verdoppeln. Eine ähnliche Verdoppelung sehen wir im Nahen Osten, in Afghanistan und Pakistan. Genau aus diesen Weltregionen haben wir in Europa 1,5 Millionen Flüchtlinge bekommen. Genau diese Länder sind durch den Klimawandel und politische Instabilitäten besonders negativ betroffen. Europa hingegen altert."

Durch den technologischen Wandel würden Routinetätigkeiten beschleunigt automatisiert. Dazu komme das Internet. Die Marktmacht werde umverteilt. Spieler wie Facebook oder Google bekämen mehr Marktmacht. Andere globale Konzerne ebenso. "Das bedeutet einen dramatischen Wandel der Arbeitswelt. Die Bedeutung des Faktors Arbeit sinkt für die Standortentscheidung von Unternehmen. Der Anteil des Arbeitseinkommens an der Gesamtwertschöpfung sinkt. Der gewohnte Zwei-Drittel-Anteil wird auf 60 Prozent und darunter fallen. Diese Entwicklung wird die soziale Frage neu aufwerfen. Das ist auch ein global shift, denn diese Entwicklung ereignet sich nicht nur in Europa , sondern auch in China und den anderen Teilen der Welt."

TTIP für Europa wichtig

Globale Regierungsfähigkeit ("global governance") werde getragen von globalen Spielern. "Die Frage ist, wie bekommen wir die großen Konzerne in eine globale Regulierung eingebunden. Und wie können wir das mit einem demokratischen Ansatz verbinden? Das ist der Kern des Problems, das die Menschen bei TTIP (Transatlantisches Freihandelsabkommen USA-EU) umtreibt."

Felbermayr hält TTIP für die Zukunft Europas für wichtig. Es stimme einfach nicht, dass es nur etwas für die Reichen und nichts für die Armen sei. Er plädiert hier für eine Verstärkung des sozialen Netzes, um den Menschen die Angst vor der Zukunft zu nehmen.

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