Überlastung in der Pflege: Angehörige am Limit

Maria Dammayr (links) und Bernhard Emunds (rechts)
Die 24-Stunden-Pflege wird zur gesellschaftlichen Herausforderung. Bessere Konditionen und nachhaltige Finanzierung werden gefordert.

Pflegebedürftige Menschen, die ihren Alltag zu Hause erleben wollen, überforderte Angehörige und Personenbetreuer. Österreich und Deutschland kämpfen mit den Herausforderungen, die die 24-Stunden-Pflege mit sich bringt. Eine menschenwürdige Form kostet Geld und funktioniert nur durch gute Qualitätssicherung, basierend auf der Einführung einheitlicher Mindeststandards für die Pflege und für die Arbeitsbedingungen der Personenbetreuer, sagten Bernhard Emunds und Maria Dammayr anlässlich einer Ringvorlesung der Johannes Kepler Universität und der Katholischen Privatuniversität Linz zum Thema "Gut versorgt? Ökonomie und Ethik im Gesundheits- und Pflegebereich". Emunds leitet das Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Das Institut basiert auf der Tradition der Katholischen Soziallehre. Die zur Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegerin ausgebildete Theologin und Soziologin Maria Dammayr arbeitet derzeit als Lektorin am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz und als Referentin im Sozialreferat der Diözese Linz.

Die Experten fordern eine Änderung der Arbeitsbedingungen für Pflegende, hin zu humaneren Arbeitsbedingungen. Als Grundlage soll die Menschenrechtskonvention dienen. Als Ziele nennt Emunds menschenwürdige und -gerechte Pflege und die Einführung globaler Mindeststandards für "menschenwürdige Arbeit", wobei die Menschenrechte als Mindestanforderungen gelten sollen.

An einem konkreten Finanzierungssystem arbeitet das Land Oberösterreich im Projekt "Sozialressort 2021+", erklärt Sozial-Landesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ) im Gespräch mit dem KURIER. Sie könne sich im Moment nicht auf einen konkreten Umsetzungszeitpunkt festlegen. "Ich muss einen Konsens finden mit Vertretern von ÖVP und FPÖ." Das sei bei den bestehenden politischen Verhältnissen nicht einfach. Vorgesehen seien "Pflege-WGs" für Senioren, eine Art Upgrade zu den aktuell bestehenden Formen des betreubaren Wohnens. "Menschen mit Pflegestufen eins bis drei wohnen in Wohngemeinschaften und teilen sich eine Pflegekraft. Dafür muss man aber gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen. Konkret geht es um Förderungen zur Errichtung von geeigneten Wohngebäuden und zur Unterstützung jener Menschen, die sich diese Form sonst nicht leisten könnten."

"In Österreich können wir im Bereich der Finanzierung etwas aus Deutschland lernen. Denn dort gibt es eine in die Sozialversicherung integrierte Pflegeversicherung", sagt Dammayr.

Pflegeversicherung oder Pflegegeld?

Anders als in Österreich zahlen in Deutschland Versicherte seit 1995 mit einer an die Krankenversicherung gekoppelte Pflegeversicherung einen Beitrag in einen großen Topf ein. In Deutschland haben im Jahr 2015 knapp vier Prozent der Gesamtbevölkerung Leistungen aus dieser Pflegeversicherung erhalten. In Oberösterreich waren mit Juli 2017 rund viereinhalb Prozent der Bevölkerung Bezieher von Pflegegeld.

"Die öffentliche Hand hat geringe Pflegeausgaben. Die Finanzierung wird auf dem Rücken der Pflegenden ausgetragen", sagt Emunds. Als Lösung schlägt er den Ausbau der Pflegeversicherung vor, bei einer Gegenfinanzierung mittels Erhöhung der Erbschaftssteuer. Gerstorfer sieht in dieser Überlegung Vor- und Nachteile: "Es gibt eine verlässliche Pflege, wenn man sie braucht. Aber man müsste in Österreich die Lohnnebenkosten anheben, was zu Lasten der Arbeitnehmer gehen würde." Die Frage nach einem existenzsichernden Lohn ist in Deutschland und in Österreich präsent. In Oberösterreich spricht man immer wieder von einem Stundenlohn von rund 2,50 Euro. "Das ist tatsächlich problematisch," sagt Gerstorfer. Eine staatliche Finanzierung könne hilfreich sein, um die Anzahl der selbstständigen Personenbetreuer zu reduzieren und mehr Anstellungen in der Pflege zu ermöglichen. "Wir sind froh, dass wir es 2007 geschafft haben, dass diese Menschen legal arbeiten dürfen." Es sei ein schrittweises Herantasten an einen neuen Beruf.

Emunds sieht die Zukunft der Arbeit in der Arbeit am Menschen. "Es ist wichtig, dass wir Pflege in erster Linie als Kommunikationsgeschehen sehen. Angehörigenpflege kann erfüllend sein. Man kann der älteren Generation etwas zurück geben und die Beziehungen intensivieren." Überlastung sei ein großes Problem in der Angehörigenpflege. Studien zufolge bringe die Pflege 39 Stunden Arbeit pro Woche für die Hauptpflegeperson mit sich. "Soziale Isolation, totale Erschöpfung und chronische Krankheiten sind nicht selten die Folge", sagt Emunds. "24-Stunden-Pflege wird überwiegend von Frauen geleistet. Oft reisen sie aus Osteuropa zum Arbeiten an", erzählt Dammayr. Innerhalb Österreichs gebe es viele Unterschiede im Pflegesystem. Man versuche, zu harmonisieren. Information für pflegende Angehörige biete auch die Arbeiterkammer.

Kommentare