Trachten: Kaum Bindung an Volkskultur

Trachten: Kaum Bindung an Volkskultur
Trachten repräsentieren die Heimat und werden als Gegenbewegung zur voranschreitenden Globalisierung verstanden

Ob eine originale Lederhose aus dem Salzkammergut oder ein fantasievolles Oktoberfest-Dirndl aus dem Diskonter, Trachten aller Art erfreuen sich seit einigen Jahren vor allem bei den Jungen im Land wieder enormer Beliebtheit.
"Die Jugendlichen leben in einem globalisierten kulturellen Kontext, sie gehören weltweiten Jugendszenen an und bauen im Internet neue technologische Freundeskreise auf", schildert Philipp Ikrath vom Wiener Institut für Jugendkulturforschung. Daraus erwachse das Bedürfnis, sich wieder der eigenen Heimatregion zugehörig zu fühlen. "Trachten repäsentieren gewisse Regionen, die Menschen geben damit ein Statement ab."

Keine tiefe Bindung

Allerdings glaubt er nicht an eine tiefe Bindung der meisten Jugendlichen zur ursprünglichen Kultur, wenn sie sich mit den Trachten in Schale werfen. Der kulturelle Kontext sein ihnen nicht bekannt. Ein Großteil würde beispielsweise nicht wissen, was es bedeute, wenn eine Frau die Schleife bei ihrer Schürze rechts oder links trägt (rechts: Trägerin ist verlobt oder verheiratet, links: Trägerin ist ledig, Anm.). Die jungen Menschen würden Lederhose und Dirndl bei Zeltfesten oder auch bei einem Stadlfest tragen, wo sie meinen, die Veranstaltung habe einen volkstümlichen Charakter. "In eine Großraumdisco würden sie damit nicht gehen, da ist es nicht angemessen."

Bodenständig

Anders als Ikrath glaubt Harald Brillinger, der Leiter der Landjugend Oberösterreich, an ein wieder erstarktes Bewusstsein zur Volkskultur. "Das Erdige und das Bodenständige liegt wieder im Trend." Immer mehr junge Menschen würden sich Volkstanz- und Schuhplattergruppen anschließen.
Der Unterschied zwischen der originalen Kluft, die einer Region zugeordnet werden kann, und den sogenannten Fantasie-Trachten stört ihn nicht. "Mit dem Boom sind auch die richtigen Trachten wieder mehr geworden", sagt Brillinger.
Die Landjugend selbst bietet bei ihren Ortsgruppen Trachtennähkurse an. "Vor 15 Jahren hat sich niemand getraut, Lederhose und Dirndl anzuziehen. Uns freut es, dass die Tracht nicht mehr als verstaubt wahrgenommen wird. Deshalb sind wir dahinter, dass es auch so bleibt", erklärt der Landjugend-Leiter.
Besonders positiv sei, dass Menschen in Tracht auf Festen friedfertiger seien als im normalen Gewand. "Sie führen sich weniger auf, weil die sozialen Schichten nicht mehr sichtbar sind, wenn alle gleich angezogen sind. Das ist ein ganz anderes Feiern", ist Brillinger überzeugt.
Dagmar Beutelmeyer, Vorständin und Geschäftsführerin beim Marktforschungsinstitut market, ortet als Grund für die Beliebtheit der Trachtenmode vor allem das Angebot des Marktes. "Wenn die Kleidung der Bevölkerung gefällt, wird sie gekauft. Offensichtlich gibt es ein Repertoire , das gefällt und in ist." Ein weiterer Grund für die Popularität sei, dass man mit Tracht immer gut angezogen sei. Wobei sie betont, dass sie das nur vermuten kann. Studien, warum die Menschen sich trachtig gewanden, gebe es nicht.

Kritik an Modeerscheinung

Zu den vielen Jubelmeldungen über die Renaissance der Tracht mischen sich kritische Stimmen. Die Architektin und Lehrerin Edith Friedl, die KPÖ-Kandidatin für den Linzer Gemeinderat war, kann mit dem Trend zu Lederhose und Dirndl nichts anfangen. "Die Absicht, die regionalen Wurzeln herauszustreichen, kann schnell ins Reaktionäre kippen", sagt die Kulturhistorikerin. Außerdem werde damit ein "Mia san mia" transportiert, womit auch die Fremden ausgegrenzt würden. "Wenn ich Trachten sehe, muss ich auch daran denken, dass die Nationalsozialisten den Juden verboten haben, sie zu tragen." Die jungen Menschen würden beim Tragen nicht über den ideologischen Hintergrund nachdenken. Sie selbst sei von der 68er-Generation geprägt worden, über die sich die Erwachsenen immens aufgeregt haben. "Jetzt passiert genau das Gegenteil. Die jungen Menschen gehen völlig konform mit der vorvergangenen Generation." Den Großeltern der Jugendlichen würde es gefallen, wenn ihre Enkerln Lederhose und Dirndl tragen. "Hier ist kein Aufbegehren spürbar."
Michael Lindner, der Landesvorsitzende der Sozialistischen Jugend, ist ebenfalls nicht vollkommen von der Modeerscheinung überzeugt. "Mit der Tracht werden traditionelle Geschlechterrollen transportiert." Besonders beim klassischen Dirndl würden die weiblichen Reize betont, was er doch problematisch finde. Die Jugendlichen wüssten nicht, dass Trachten oft von jenen getragen wurden, die den gesellschaftlichen Wandel verhindert hätten.

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