Religion: Störfaktor & Kitt einer Gesellschaft

Josef Weidenholzer
Debatte. Experten sprachen sich beim Linzer Religionsgespräch für differenzierten Dialog aus.

Das Verhältnis von säkularer Gesellschaft und öffentlicher Religion ist einmal mehr in Bewegung. Debatten und Konflikte um religiöse Symbole in der Öffentlichkeit lassen die Vermutung zu, die Gesellschaft lebe ohne religiöse Symbole leichter.

Privatsache Religion?

Die Definition von "Religion ist Privatsache" sei die Ansicht, Religion solle nur innerhalb des privaten Raumes ausgeübt werden. Dieses Verständnis gebe es derzeit vermehrt, sagt Maria Katharina Moser, Pfarrerin der Evangelischen Gemeinde A.B. Wien-Simmering und designierte Direktorin der Diakonie Österreich, beim 12. Linzer Religionsgespräch zum Thema Störfaktor oder Kitt? Religionen in säkularer Gesellschaft an der Katholischen Privatuniversität Linz, genau 79 Jahre nach den Novemberpogromen mit gewalttätigen Übergriffen auf jüdische Einrichtungen statt.

"Es ist wichtig, sich das auf mehreren Ebenen anzusehen. An sich entscheidet jeder selbst über seinen Glauben. Der Staat muss die freie Ausübung der Religion schützen. Er darf keine Option privilegieren. Er darf nicht religiös oder säkular sein", sagte Moser. Seine Aufgabe sei, sich auf die Vielfalt einzustellen und dafür zu sorgen, dass alle Religionen am öffentlichen Diskurs teilnehmen können. "Religionen können durch Missbrauch auch Gewalt hervorrufen, aber sie haben eine Botschaft als Lösung: Religion gibt Hoffnung und wurzelt in gutem Leben. Sie gilt für jeden. Wir sind zuerst Menschen und vor Gott sind alle gleich. Wir sind dazu eingeladen, gemeinsam ethnische und politische Grenzen zu überschreiten."

Zusammenhalt

Auch der gebürtige Tunesier und derzeit in Tübingen lebende Islamwissenschafter und Informatiker Mouez Khalfaoui spricht sich für die Religionen aus: "Die Gesellschaft braucht die Religionen." Und der Islam könne einen großen Beitrag zum Zusammenhalt leisten. "Zusammenhalt ist der Begriff der Stunde. Bei den Themen Hilfe, Unterstützung und Verständigung können alle einen gemeinsamen Nenner finden." Aktuell werde ein Neutralisierungsprozess gebraucht. Jeder Mensch habe eine Besonderheit, aber Muslim zu sein, sei keine Besonderheit an sich. "Wer die Gemeinsamkeiten von Menschen unterschiedlicher Religionen sieht, wird merken, dass wir alle die gleichen Probleme haben."

Religionsfreiheit kann laut Khalfaoui auch zur Spaltung führen, wenn man sich dauerhaft im gleichen Raum aufhält und sich Ghettos bilden. "Man braucht Demokratie und Zusammenhalt."

Der Linzer EU-Parlamentarier Josef Weidenholzer (SPÖ) hält es für "wichtig, die Differenziertheit kennen zu lernen" und, dass es auch im Islam mehrere Formen gibt. "Religionen haben das Potenzial, Menschen zusammen zu bringen und ein Leben nach dem Konflikt zu ermöglichen." Er hoffe, dass dieser Prozess im Mittleren Osten beginnen werde, wo missbrauchte Religion zur Zerstörung geführt hat.

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