"OÖ zahlt viel mehr als es zurück bekommt"

Friedrich Schneider
Auf die neue Regierung kommen große Brocken zu: die Sanierung der Finanzen, ein Einwanderungsgesetz, eine Reform der Bildung, der Infrastruktur, der Pensionen und eine Staatsreform.

Friedrich Schneider leitete bis Ende September das Institut für Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität. Der 68-Jährige gilt als einer der renommiertesten Wirtschaftswissenschafter im deutschen Sprachraum. Im österreichischen Wissenschaftsranking ist er Zweiter, im angelsächischen Ranking für Gesamteuropa liegt er auf Rang 34 von 36.000 Befragten.

KURIER: Der Wirtschaftsmotor in Europa und Österreich brummt. Warum?Friedrich Schneider: Die wirtschaftliche Entwicklung und die Exporte von Deutschland und Österreich steigen stark. Die Binnennachfrage hat durch die Steuerreform etwas angezogen. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind viel stabiler geworden. US-Präsident Trum hat durch seine erratische Politik die Europäer ein Stück zusammen rücken lassen. Die Tiefzinspolitik der Europäischen Zentralbank greift auch, weil diese Investitionen erleichtert. Unser Aufschwung ist robust und scheint nachhaltiger zu sein.

Die deutschen Wirtschaftsweisen prognostizieren einen Aufschwung von mehreren Jahren.

Ich glaube auch, dass wir ein Wachstum von 1,5 bis zwei Prozent, wenn nicht höher haben werden. Bei uns hängt es nun von der neuen Regierung ab, ob es zu einer Konsolidierung der Staatsfinanzen kommen wird, was in Deutschland bereits gelungen ist. Es ist hoch an der Zeit. Es ist auch dringend nötig, wieder einen fiskalischen Spielraum zu gewinnen, um Infrastrukturmaßnahmen zu gewinnen. Damit wir im laufenden Budget nicht mehr ausgeben als wir einnehmen. Die neue Regierung wird ihr Amt in einem sehr günstigen Wirtschaftsklima beginnen.

Welche Reformen sind neben der Sanierung der Staatsfinanzen notwendig?

Wir müssen im gesamten Infrastruktur- und IT-Bereich größere Anstrengungen unternehmen. Sodass nicht nur die Standorte in den größeren Städten, sondern auch auf dem Land wieder attraktiv werden.

Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz. Wir brauchen dringend hochqualifzierte Leute, wir haben hier einen starken Arbeitskräftemangel. Es muss möglich gemacht werden, dass ein Doktorand in Hagenberg, der hier bleiben will, sofort eine Arbeitsbewilligung bekommt. Die Rot-Weiss-Rot-Karte muss vereinfacht, neu aktiviert und belebt werden.

Derzeit versuchen alle Wirtschaftsmigranten, über die Asylschiene ins Land zu kommen.

Das ist der völlig falsche Weg.

Der dritte Schwerpunkt sind Reformen in Bildung und Ausbildung. Der vierte Punkt ist eine Staatsreform, die aber mehr als eine Legislaturperiode erfordert. Der letzte Punkt sind die Pensionen. Es soll eine unabhängige Kommission eingesetzt werden, die Vorschläge zur langfristigen Sicherung der Pensionen erarbeitet.

Damit man zu einer überparteilichen Lösung kommt?

Ja. Sie soll das alles durchrechnen und feststellen, ob das Pensionsalter von 65 Jahren reicht. Sehr wahrscheinlich wird das es nicht reichen, denn wir leben alle länger. Ich persönlich bin nun 68 und fühle mich überhaupt nicht als Pensionist. Dabei arbeite ich schon drei Jahre länger als ich müsste. Aber ich habe einen privilegierten Beruf und stehe nicht am Hochofen.

Neben der Erhöhung des Antrittsalters muss man das gesamte Pensionssystem effizienter gestalten.

Was heisst das?

Man sollte sich anschauen, welche Pensionskassen fusioniert werden können. Vier bis fünf schlagkräftige Kassen könnte man beibehalen. Weiters muss man sich ansehen,wer wieviel Pensionen für wieviel Jahre bekommt. Das müsste man langfristig angleichen. Welche Pensionsmindesthöhe soll der Staat garantieren? Sollen das 65 oder 70 Prozent des Aktivbezugs sein? Soll das gestaffelt sein? Soll es die Möglichkeit geben, die staatliche Pension durch Eigenvorsorge zu erhöhen? Wir müssen uns fragen, ob unsere Pensionen nachhaltig sind. Sie sind es derzeit nicht, weil wir vor großen Pensionierungswellen stehen.

Wie soll die Staatsreform aussehen?

Es soll eine Föderalismusreform geben, damit die Länder Steuerhoheit erhalten. Es soll aber kein Steuerwettbewerb sein. Aber die Länder sollen mit ihren Steuern einen großen Teil ihres Budgets eigenverantwortlich bestreiten. Das ist bisher am Widerstand der Länder gescheitert.Es würde zu effektiveren Strukturen führen.

Man kann das am Beispiel Oberösterreich festmachen. Wir sind Nettozahler. Wir zahlen an Wien bzw. an Rest österreich viel mehr Steuern und Sozialversicherungsabgaben als wir je an Bundesmitteln zurück bekommen. Die Lösung der Verkehrsprobleme in Linz und Umgebung erfordert Investionen in Schiene und Straße in der Höhe von ein bis zwei Milliarden Euro. Dieses Geld haben wir in zwei Jahren nach Wien bezahlt. Das wäre anders zu lösen, wenn die Länder sämtliche direkte Steuern vereinnahmen würden. Dann wüsste der Landeshauptmann ganz genau, was er bekommt. Er könnte mit wesentlich mehr Infrastrukturprojekte finanzieren. Weil es dem Bund auch nützt, könnte dieser noch ein Drittel der Kosten zuschießen.

Wir wissen bis heute nicht, wer welche Förderung erhält. Die Transparenzdatenbank gibt es bis heute nicht. Jeder Bürger soll aber nachschauen können, wer wieviel Förderung von wem und für was bekommt. Er soll lästige Fragen stellen können. Vom Bürger wird in Steuerfragen völlige Offenheit verlangt, der Staat ist aber selbst nicht in der Lage, dem Bürger zu erklären, wer wie viel für was bekommt.Das ist ein unhaltbarer Zustand, den es so nur bei uns gibt. Das könnte schnell gelöst werden und könnte ein Stück Vertrauen schaffen.

Wenn die nächste Regierung diese Aufgaben annimmt,werden wir im Spitzenfeld Europas bleiben.

Österreich ist in den internationalen Rankings in den vergangenen Jahren, langsam, aber systematisch zurückgefallen.

Wir sind im Mittelfeld, in manchen Bereichen sind wir noch im oberen Drittel. Wir zehren immer noch von den guten Jahren. Wir müssen aber nun auch Oberösterreich wieder fit machen und andere Prioritäten im Budget setzen. Aber das bringt alles nichts, wenn nicht eine entsprechende Bundesstaatsreform kommt, sodass auch das Land mehr Spielraum erhält.

Sie sind bekannt für Ihre Analysen zur Schwarzarbeit. Ist sie heute stärker verbreitet als vor 30 Jahren?

Nein. Sie ist weniger geworden. Wir werden immer etwas pfuschen. Wir sind jedoch kein Land der Pfuscher, wir sind im untersten Viertel, was die Höhe angeht. Wir könnten es uns etwas einfacher machen, wenn wir den Handwerkerbonus unbegrenzt einführen würden, denn es nimmt einen Teil des Pfusches weg. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Rumänien, Bulgarien oder Kroatien sind wir ganz hinten. Wenn man beim Häuslbauen hilft, wird das als Kavaliersdelikt angesehen. Das zeigt sich in den Befragungen, die ich seit 20 Jahren durchführe, immer wieder.

Die Wirtschaftswissenschafter sind im Zuge der Finanzkrise unter Kritik geraten, weil sie die Krise nicht vorhergesehen haben. Sie müssen sich die Frage gefallen lassen, was die Wirtschafswissenschaften überhaupt leisten können.

Die Kritik ist sicherlich zum Teil berechtigt. Ein Teilmeiner Kollegen hat es sich zu leicht gemacht. Sie haben sich in den Jahren 2006 bis 2008 gedacht, die Boomperiode hält so an. Man hat die Entwicklungen nicht vorhergesehen.

Die Wirtschafswissenschafter müssen sich fragen, ob sie nach die Krise die richtigen Antworten parat haben. Ein Teil greift diese Fragen auf, vor allem im Finance-Bereich. Sie versuchen mit neuen Experimenten das Verhalten besser zu modellieren. Es ist ein schwieriges Thema, langsam werden die Modelle besser. 2008 waren plötzlich so viele faule Kredite da, die in keinen Modellen enthalten waren. Das hat eine Kettenreaktion ausgelöst. Ein Problem waren auch die fehlenden Regulierungen.

Die Notenbanken haben als Reaktion auf die Krise die Märkte mit Geld geflutet. Die amerikanische Nationalbank FED unternimmt nun erste Schritte, diese Geldflut zu reduzieren, indem sie zum Beispiel die Zinsen erhöht. Es gibt manche Beobachter, die skeptisch sind, ob diese Rücknahme der Geldflut gut ausgehen wird.

Das ist völlig richtig. Wir haben auch nicht gewusst, ob das Fluten der Geldmärkte hilft. Amerika hat es geholfen, in Europa hat es allen Regierungen geholfen, nicht wieder in Staatsbankrotte zu schlittern. Es hat Ländern wie Deutschland, Skandinavien und den Benelux-Ländern geholfen, die Haushalte zu sanieren. Die südeuropäischen Ländern haben mit Ausnahme von Spanien die Chance nicht so genutzt.

Man kann aber diese Politik nur eine bestimmte Zeit fahren. Denn wenn man das Sparen nicht mehr durch Zinsen belohnt, also den momentanen Verzicht zugunsten der Zukunft, dann geht ein wesentliches Prinzip unserer Wirtschaft und unserer Erziehung den Bach hin unter. Fed-Chefin Yellen hat erkannt, dass man das abstellen muss, damit sich Sparen und Investieren wieder lohnen. Die Europäische Zentralbank wird diesen Schritt mit einer Verzögerung von einem halben oder dreiviertel Jahr ebenfalls vollziehen und das Anleihe-Kaufprogramm auslaufen lassen.

Diese Rückkehr zur Normalität zwingt die Finanzminister, sparsamer mit ihren Mitteln umzugehen und Reformen umzusetzen.

Der französische Präsident Macron hat Reformen für die EU vorgeschlagen. Kritiker halten ihm vor, sie liefen auf eine Zentralisierung Europas hinaus.

Ich finde es positiv,dass er ein klares Bekenntnis zur EU ablegt. Er will mehr Zentralimus wie das in Frankreich so üblich ist. Ich lehne ihn strikt ab, denn er führt meistens dazu, dass es einige Nettozahler gibt und die anderen sich darüber freuen. Die Idee, die Migration und das Asylwesen europaweit einheitlich zu regeln, muss sehr sorgfältig geprüft werden. Es hätte aber etwas für sich. Ein europäisches Budget würde ich nicht befürworten, weil nicht klar ist, wer was zahlt und wer was ausgibt. Einen französischen Finanzminister brauchen wir nicht. Dafür ist Europa zu vielfältig. Aber ich finde es gut, dass er etwas vorschlägt und mit neuen Ideen kommt und damit die anderen unter Zugzwang setzt, etwas zu tun. Er ist ein wohltuend anderer französischer Präsident. Er setzt auch im Inland Reformschritte um, die nicht leicht für ihn sind, um das verkrustete Wirtschaftssystem zu modernisieren.

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