„Das Land ist den ÖBB nie auf die Zehen gestiegen“

„Das Land ist den ÖBB nie auf die Zehen gestiegen“
Ex-ÖBB-Manager Robert Struger über den desolaten Zustand und die Zukunft der Mühlkreisbahn.

Robert Struger, geboren 1951, war bis 2009 ÖBB-Regionalmanager für den Personenverkehr in Oberösterreich. Dem studierten Bauingenieur ist die Mühlkreisbahn ein besonderes Anliegen. Die aktuelle Situation auf der Regionalbahn, meint der Linzer, sei aber leider ein Paradebeispiel dafür, wie man Potenziale eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht ausschöpft.

„Das Land ist den ÖBB nie auf die Zehen gestiegen“
Interview
KURIER: In einem Leserbrief schreiben Sie, dass es bei der Mühlkreisbahn fünf nach zwölf ist. Warum?
Robert Struger: Die Politik hat schon vor der letzten Landtagswahl gesagt, dass es grundlegende Verbesserungen geben wird. Seither wurde aber nur geredet, passiert ist gar nichts. Auch die Leute glauben nicht mehr daran, dass sich etwas verbessern wird.

Das ist der Vorwurf, den man der Politik machen kann. Technisch ist die Mühlkreisbahn doch noch zu retten.
Natürlich ist das möglich. Dass die ÖBB die Linzer Eisenbahnbrücke samt Verbindungsgleis an die Linz AG abgegeben hat, erschwert allerdings die Situation. Eine Überstellung von Trieb- und Erhaltungsfahrzeugen auf direktem und kurzem Weg ist dadurch nicht mehr möglich. Alles, was sich auf der Mühlkreisbahn bewegt, muss aufwendig auf der Straße zu den Werkstätten hinter dem Hauptbahnhof transportiert werden. Denn dort wird sowohl die Wartung der Fahrzeuge als auch die Reinigung gemacht. Ohne die Verbindung Eisenbahnbrücke ist zu erwarten, dass sich die Qualität für die Reisenden auf der Mühlkreisbahn massiv verschlechtern wird.

Haben die ÖBB die Eisenbahnbrücke abgegeben, um ihren Abschied von der Mühlkreisbahn zu beschleunigen?
Das Dilemma begann schon in den 1980ern. Die Stadt Linz war nie wirklich bereit, über eine Sanierung der Brücke und eine Kostenteilung zu reden. Eine gemeinsame Lösung war nicht im Interesse der Stadt. Es wäre also falsch, der ÖBB allein die Schuld zu geben. Aber die Brücke einfach ohne Perspektiven abzugeben, war falsch. Auch weil es einen aufrechten Verkehrsdienstevertrag mit dem Land Oberösterreich gibt.

Dieser Vertrag läuft noch bis zum Jahr 2017. Sind die ÖBB dadurch in der Pflicht, die Qualität aufrechtzuerhalten oder ist der Vertrag zu zahnlos?
Der Vertrag ist überhaupt nicht zahnlos. Er enthält sehr genaue Formulierungen über die Qualität des Verkehrsangebots. Das Land muss diese Qualität aber auch einfordern. Bei den Langsamfahrstellen wurde der ÖBB-Infrastruktur nicht auf die Zehen gestiegen.

Warum?
Möglicherweise , weil im Hintergrund bereits ein Deal mit der Linz AG gelaufen ist, die Mühlkreisbahn durch eine Straßenbahn zu ersetzen.

Für die Regiotram wäre eine Umspurung der gesamten Strecke notwendig, dafür könnte die regionale Straßenbahn dann von Rohrbach bis zum Hauptbahnhof durchfahren. Um das Projekt ist es zuletzt allerdings sehr ruhig geworden. Vor eineinhalb Jahren hat SPÖ-Verkehrslandesrat Reinhold Entholzer den Mühlviertlern diese Variante noch als quasi fix verkauft.
Man hat den Leuten damals vorgegaukelt, dass das Projekt schon relativ weit gediehen ist. In Wahrheit war und ist es nichts anderes als ein Vorprojekt ohne Betriebskonzept mit einem extrem langen Weg bis zur Umsetzung. Außerdem muss man bedenken, dass die Regiotram nicht ohne die zweite Straßenbahnachse funktioniert. Das wäre die Vorbedingung. Die zweite Straßenbahnachse braucht aber die Eisenbahnbrücke. Die Regiotram ist also in der zeitlichen Hierarchie das Letzte, was kommt.

Wann könnte es denn so weit sein?
Selbst wenn die Politik wirklich dahinter ist, dauert das mindestens zwei Legislaturperioden. Dann ist jeder Politiker von heute Geschichte und keiner wird sich mehr an irgendetwas erinnern.

Aktuell kommen mehr als 80 Prozent der Pendler mit dem Auto nach Linz. Ist die Mühlkreisbahn wirklich noch ein entscheidendes Verkehrsmittel?
Ohne Mühlkreisbahn würden zusätzlich 5000 Pendler ohne ordentliche öffentliche Verkehrsverbindung mit dem Auto vor den Toren der Stadt stehen. Das müsste eigentlich auch in Linz jemanden aufwecken. Da ist Handlungsbedarf.

Von einem Pendler aus dem oberen Mühlviertel, der nicht direkt an der Mühlkreisbahn wohnt, kann man derzeit aber nur schwer verlangen, dass er mit dem Zug zur Arbeit fährt.
Die Politik glaubt immer, dass die Fahrzeit das allein Entscheidende ist. Eine Beschleunigung der Mühlkreisbahn ist ohne Zweifel notwendig. Aber ebenso notwendig ist, dass der Reisende die Zugfahrt sinnvoll nutzen kann, zum Beispiel zum Arbeiten oder Lesen. Damit gewinnt er quasi Lebenszeit. Wenn es dann noch ein ordentliches Angebot mit guten Taktverkehr gibt, dann gewinnt man sehr schnell sehr viele Leute auf die Schiene zurück. Das beweisen auch internationale Beispiele.

Was würde eine Modernisierung der bestehenden Normalspur kosten?
Ich glaube, dass man mit 40 bis 60 Millionen Euro die Infrastruktur der Bahnstrecke maßgeblich verbessern kann.

Das wäre nicht einmal ein Zehntel von dem, was der Linzer Westring kosten soll.
So würde ich nicht argumentieren. Es gibt einen Vergleich, der für sich spricht. Eine Schmalspur-Regiotram bis Kleinzell würde uns die halbe Strecke um den vierfachen Preis bringen. Sie soll ja 160 Millionen Euro kosten. Die Attraktivierung der gesamten bestehenden Normalspurstrecke bis hinauf nach Aigen wäre um ein Viertel des Geldes möglich.

Die Regiotram soll bis Rohrbach führen, nicht nur bis nach Kleinzell.
Das ist doch eine Illusion. Es wird gesagt, man baut einmal bis Kleinzell und schaut dann, ob man weiterbaut, wenn sich der Betrieb bewährt. Da weiß doch jeder gelernte Österreicher sofort, dass in Kleinzell Schluss ist.

Man hört, die ÖBB planen bereits jetzt einen Schienenersatzverkehr mit Bussen ab Rottenegg.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass es solche Pläne gibt. Dahintersteckt offenbar das Bestreben der ÖBB, sich auf der Mühlkreisbahn von der Schiene zurückzuziehen.

Das Land soll die Mühlkreisbahn von den ÖBB übernehmen. Warum dauert es so lange, bis alles unter Dach und Fach ist?
Da geht es um viel Geld und das Land will sich die Strecke in keinem schlechten Zustand unterschieben lassen.

Glauben Sie, dass die ÖBB noch in die Mühlkreisbahn investieren werden?
Wenn die ÖBB als Schienenverkehrsunternehmen ernst genommen werden wollen, dann werden sie wohl die Langsamfahrstellen beseitigen müssen. Auch, um ihre vertraglichen Verpflichtungen einzuhalten.

Das wird aber nur dann passieren, wenn der Verkehrslandesrat dahinter ist.
Zumindest so lange die Eisenbahnbrücke befahrbar ist, wäre es wünschenswert, dass das Land das einfordert. Der Desiro dürfte ja jetzt doch weiter auf der Mühlkreisbahn fahren. Eine Gefahr ist allerdings, dass Triebfahrzeuge durch Unfälle oder Defekte ausfallen. Die Wartung wird ohne Eisenbahnbrücke sehr aufwendig.

Ein Blick in die Zukunft: Wer soll die Strecke nach der Übernahme durch das Land weiterbetreiben?
Das wird es sicher Interessenten geben. Die Mühlkreisbahn mag nicht ins Infrastruktur-Konzept der ÖBB passen, für andere Unternehmen ist die Strecke aber auf jeden Fall interessant. Es geht ja immerhin um eine vom Land bestellte Verkehrsleistung. Selbst die ÖBB-Personenverkehr AG könnte sich bewerben. Es wäre also möglich, dass die ÖBB weiter auf der Strecke fährt, obwohl diese dann nicht mehr der ÖBB-Infrastruktur AG gehört.

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