„Franziskus macht das sehr klug“

Mathilde Schwabeneder-Hain in St. Florian, dem Wohnort ihres Mannes. Sie schreibt bereits an einem weiteren Buch, dessen Inhalt sie noch geheim hält.
Die ORF-Korrespondentin über den Papst, der seit einem Jahr im Amt ist

Mathilde Schwabeneder-Hain ist seit 2007 ORF-Korrespondentin in Rom. Die gebürtige Welserin hat im November ihr Buch Franziskus – Vom Einwandererkind zum Papst (Verlag Styria) veröffentlicht. Der 78-jährige Jorge Mario Bergoglio, ein Jesuit, wurde vor einem Jahr, genau am 13. März 20013, zum Papst gewählt.

KURIER: Papst Franziskus erfährt einen unglaublichen Zuspruch, obwohl er strukturell bisher kaum etwas verändert hat. Er spricht schöne Worte, von den Reformanliegen hat er bis jetzt nichts verwirklicht. Wird Franziskus nicht überbewertet?
Mathilde Schwabeneder-Hain:
Es kommt darauf an, welche Erwartungen von wem gestellt werden. Er ist von der Person schon revolutinierend für dieses Amt. So wie er es angeht, so wie er sich den Dingen stellt und wie er mit den Menschen umgeht. Das war sehr wichtig zu dem Zeitpunkt, als die Aktien des Vatikans im Keller waren. Das Klima war bei den Kardinälen im Konklave ganz schlecht. Der Reformwille nach den vielen Skandalen war groß. Es hat nicht die sogenannten heißen Eisen wie das Zölibat oder das Frauenpriestertum betroffen, obwohl viele gesagt haben, dass sich auch innerkirchlich etwas ändern muss.
Der Zuspruch ist enorm. Er erregt dort Aufmerksamkeit, wo man es früher nicht erwartet hätte, bei den sogenannten Linken, Agnostikern, Atheisten, bei Nichtkatholiken. Angesichts der weltweiten Krisen ist es wichtig, dass jemand den Menschen Mut zuspricht, ihnen sagt, man sollte nach vorne schauen, dass man jene Menschen in den Mittelpunkt stellen muss, die am Rand der Gesellschaft sind. Es wird sich einiges ändern, aber wer erwartet, das sich die Kirche völlig verändern wird, wird wahrscheinlich enttäuscht werden.
Ich kann mir vorstellen, dass er bei den wiederverheirateten Geschiedenen etwas ändern wird. Das bereiten sie gerade vor.

Franziskus ist Jesuit. Ist das in seiner Amtsführung erkennbar?
Es ist in seiner Persönlichkeit erkennbar. Wie er seine Predigten und Botschaften abfasst. Es geht immer um einen Dreischritt erstens, zweitens, drittens. Er vermittelt die Dinge sehr klug. Sein Zeitmanagement ist sehr strikt.


Die konservativen Hardliner wie der Präfekt der Glaubenskongregation Gerhard Ludwig Müller sind nach wie vor im Amt. Franziskus hat hier noch keine personellen Änderungen vorgenommen.
Er geht das ganz geschickt an. Er macht nicht Tabula rasa. Ich glaube, er ist auch deswegen vorsichtig, weil er kein Vatikan-Kenner war. Wenn er aufräumen würde, steht er das Risiko ins Messer zu laufen. Er hat einen Kardinalstaatssekretär bestellt, der ganz klar eine Neuerung ist. Franziskus holt sich schon neue Leute herein. Bei den Kardinalsernennungen hat er als Hauptreferenten Kardinal Walter Kasper geholt, der ein Gegenspieler zu Müller ist. Er hat Kasper auch zu Beginn seiner Amtszeit bei einem Angelusgebet zitiert, dass die Barmherzigkeit die oberste Norm sein muss.
Ich glaube, dass Franziskus die Dinge intern ganz gut austariert.

Dass er intern keine Gruppe gegen sich aufbringt?
Der Rabbiner von Argentinien, der mit Franziskus befreundet ist, sagt über ihn, dass er absolut ein Mann des Dialogs sei. Er redet mit allen, er hört auf alle hin, um einen gemeinsamen Nenner herauszuarbeiten.
Früher hat es immer sofort geheißen nein, das geht nicht. Nein im Sinne der Dialogverweigerung.

Was kann man von Franziskus noch erwarten? Im Prinzip ist er kaum berechenbar.
Er ist schwer einschätzbar. Das sagen auch seine Mitarbeiter. Seine erste große Reise führte ihn zum Weltjugendtag nach Brasilien. Seine Mitarbeiter haben gestöhnt, weil er ständig neue Programmpunkte wollte. Er hat unglaublich viel Energie, was mich auch persönlich fasziniert. Er ist kräftig. Jetzt hat er auch die Aktion mit den Fragebögen zur Familienseelsorge initiiert. Er will wissen, was die Menschen wirklich denken. Die japanischen Bischöfe haben gesagt, dass die Menschen mit einer katholischen Morallehre überhaupt nichts anfangen können. Es gibt hier viele kulturelle Unterschiede. Es ist eine gute Sache, dass man nun Umfragen zulässt.

Lässt sich anhand der Bischofsernennungen bereits eine Linie erkennen?
Generell kann man sagen, dass er sehr viel Wert auf Kollegialität legt. Er sagt, dass die Bischöfe jenes Gewicht, das sie haben, auch ausüben können. Er bevorzugt Priester, die Seelsorger sind. Zum Kardinalskonsistorium hat er einen Brief geschrieben, indem er sagt, dass Kardinal-Sein keine Auszeichnung ist, sondern lediglich ein Dienst. Das heißt, Kardinäle sollten demütig sein, sie sollten einfach und schlicht sein. Er ist gegen Ehrgeiz und Karrieredenken.

In den persönlichen Anforderungen an Priester, Bischöfe und Kardinäle ist er radikal.
Er kritisiert sehr stark die eigenen Leute und erntet intern mehr Widerspruch, während er von außen durch seine offene und sehr geerdete Art viel Zuspruch erfährt.

Was hat Sie motiviert, das Buch zu schreiben?
Es war nicht meine Idee, sondern der Verlag ist an mich herangetreten. Ich habe im ersten Augenblick aus Zeitmangel nein gesagt, mich dann aber überreden lassen. Ich war dann aber froh, als ich mich mit ihm beschäftigt habe. Der Papst ist quasi unser Nachbar, denn das ORF-Büro ist gleich neben dem Vatikan. Wir sehen die Auswirkungen, es kommen sehr viele Menschen nach Rom.

Die Vorherrschaft der Europäer in der römisch-katholischen Kirche ist mit ihm vorbei. Das sieht man unter anderem an den vielen Besuchern aus Lateinamerika bei den Generalaudienzen.
Sie ist definitiv vorbei. Bei den Kardinalsernennungen kam der Großteil aus Lateinamerika und aus Asien. Ich empfinde es zum Beispiel als sehr positiv, dass er jemanden aus Haiti zum Kardinal bestellt hat. Das ist der erste Haitianer in der Kardinals-Geschichte. Dieser hat seine Bestellung so interpretiert, dass der Papst auch auf die armen Länder schaut. Der Papst kann die Aufmerksamkeit auf diese Ländern lenken, denn wirklich verändern kann auch er nicht viel. Er kann nur seine Person nutzen, um die mediale Aufmerksamkeit auf bestimmte Vorgänge zu richten, wie zum Beispiel auf die Flüchtlinge in Lampedusa.

Interessant sind auch die Generalaudienzen, bei denen er immer eine sehr klare Botschaft verkündet.
Oder auch beim Angelusgebet. Das mediale Echo auf seine Frühmessen ist auch erstaunlich. Ich beobachte stets, was die nichtkirchlichen Medien über ihn berichten. Er ist fast überall auf der Welt präsent und sorgt für Schlagzeilen. Er kann auch sehr gut in Bildern sprechen. Als die Oberösterreicher im Dezember das ORF-Friedenslicht an ihn übergeben haben, hat er gesagt, Christen sollten keine Pfaue sein. Solche Bilder bleiben hängen, das merken sich die Menschen.

Sie leben schon seit vielen Jahren in Rom. So manche beklagen das schlechte Funktionieren der öffentlichen Dienste. Wie gehen Sie damit um?
Ich war schon von 1983 bis 1995 in Rom. Ich bin also Rom-erprobt. Es ist richtig, dass viele Dinge nicht so funktionieren wie in Österreich.Viele Dinge können einen sehr aufregen, aber ich habe eine große Liebe zu dieser Stadt. Es gibt so viel Schönes, angefangen von so banalen Dingen wie Wetter, Sonne und Licht.
Das Licht ist sehr schön. Dazu kommen die vielen Kulturdenkmäler. Trotz der sechs Jahren Krise haben die Menschen eine positivere Einstellung zum Leben als hierzulande.

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