"Leben in der besten aller Zeiten"

Theo Waigel
Der ehemalige deutsche Finanzminister über Europa, die EU und den Euro.

Theo Waigel war von 1989 bis 1998 deutscher Finanzminister. Der 78-Jährige war von 1988 bis 1999 auch Vorsitzender der bayerischen CSU. Bei der Neujahrsgala der Oberbank hielt er Mittwochabend vor den 2500 Gästen einen vielbeachteten Vortrag, dessen ersten Teil wir hier gekürzt wiedergeben.

"Vor 40 Jahren habe ich einen Vortrag von Professor Parkinson in Innsbruck gehört. Er erzählte, dass ein Ex-Finanzminister eine Rede halten sollte. Dieser ließ sich einen Ghostwriter kommen, einen Entwurf machen und er hielt die Rede. Der Ghostwriter fragte bei der Honorarlegung anstandshalber, ob die Rede ein Ordnung gewesen sei. Darauf sagte der Finanzminister, siewar schon okay, aber sie hatte einen Fehler. Sie haben mir versprochen, dass sie eine Stunde dauert, aber sie dauerte zwei Stunden. Darauf der Ghostwriter: It’s not my fault, excellency, but I gave you two copies.

Seite an Seite

Heute ist ein denkwürdiger Tag, ihr Bundeskanzler war bei der Bundeskanzlerin in Berlin. Ich hoffe, dass wir gut zusammenarbeiten. Das war immer ganz wichtig, auch zu meiner Zeit.Wir standen, was Stabilität anbelangt, immer Seite an Seite, unabhängig von der Farbe der Regierung. Das war wichtig.

Ein Bundeskanzler mit diesen jungen Jahren ist schon erstaunlich. In diesem Alter habe ich mich erst darauf vorbereitet, Landesvorsitzender der Jungen Union von Bayern zu werden. Was damals der Parteivorsitzende Franz Josef Strauß verhindern wollte, weil ich ein bayerischer Schwabe war und er lieber einen Alt-Bayern haben wollte. Aber es ist ihm nicht gelungen und wir haben uns schlussendlich ordentlich vertragen.

Verrückte führen Blinde

Mit meiner Frau war ich vor zwei Jahren im Burgtheater, King Lear, eine wunderbare Aufführung mit Klaus Maria Brandauer. Da sagt der Glsoter im vierten Akt, erste Szene, der geblendet durch die Wildnis irrt, das ist die Seuche dieser Zeit, Verrückte führen Blinde. Für einen Moment war Stille und dann fünf Minuten Szenenapplaus. Jeder hat sich etwas anderes gedacht. Der eine hat an Amerika gedacht, der andere an Russland – wie auch immer, es war jedenfalls interessant und es zeigt mit einer Klarheit, dass man um Projekte, um die Demokratie, um Europa kämpfen muss. Nichts geht von selbst und nichts bleibt immer da , ohne dass man darum kämpft.

Im vergangenen Jahr war ich wieder einmal bei den Salzburger Festspielen. Kurz bevor wir zum Jedermann gegangen sind, sagt eine Dame im Hotel zu mir, geht es Ihnen auch so Herr Waigel, denk’ ich an Deutschland bei der Nacht, bin ich um meinen Schlaf gebracht. Sie wollte offensichtlich Heinrich Heine zitieren. Ich hab’ sie dann gefragt, gnädige Frau, haben sie vor 40 Jahren besser geschlafen? War es besser, als damals 500.000 schwer bewaffnete Soldaten auf DDR-Gebiet lagen und Raketen und Atombomben auf uns zu Mass’gerichtet waren? War es besser, als ein eiserner Vorhang bestand, der nur wenig durchlöchert war? Darauf verstummte die Dame.

Britischer Dualismus

Ich werde auch nie vergessen, welch wichtigen Beitrag Österreich zur Weiterentwicklung der Europäischen Union geleistet hat. Ihr überzeugendes Referendum hat damals mit dazu beigetragen, dass die anderen Referenden in Nordeuropa so positiv gelaufen sind. Und wir hätten eigentlich auch vor dem Brexit wieder in Österreich ein Referendum gebraucht, dann wäre das möglicherweise auch in Großbritannien anders gelaufen. Es gibt in Großbritannien einen Dualismus. Einmal rein und einmal raus. Das begann schon unter Winston Churchill. Er war für die Vereinigten Staaten von Europa unter der Eingliederung von Großbritannien. Er attackierte als Oppositionsführer seinen Nachfolger Clement Attely, der die Gedanken von Schumann nicht aufgreifen wollte. Als er fünf Jahre später wieder Premierminister geworden ist, wollte er von diesen Gedankengängen nichts mehr wissen. Es ging immer hin und her, de Gaulle sagte, der Beitritt Großbritanniens geht nur über meine Leiche. 1990/91 hat Margret Thatcher entschieden, dem europäischen Währungssystem beizutreten. Ein paar Jahre später mussten sie aufgrund der Spekulation von George Soros raus, was für sie sehr unangenehm war.

Drinnen und draußen

Als wir dann die Wirtschafts- und Währungsunion beschlossen hatten, wollte Tony Blair dabei sein, auch wenn Großbritannien nicht Mitglied des Euro werden wollte. Wir haben ihm dann zu erklären versucht, dass man nicht drinnen und draußen gleichzeitig sein könne. Die beste Erklärung hat der damalige französische Finanzminister Dominique Strauß-Kahn gefunden, der sagte, Tony, wenn ein Ehepaar im Schlafzimmer ist, will es keinen Dritten bei sich haben (Gelächter des Publikums).

Vor 60 Jahren sind die Römischen Verträge unterzeichnet worden. Ich war damals 18 Jahre alt und Gymnasiast. Ich habe mir damals gedacht, was kannst Du Dir vom Leben erhoffen und erwarten. Ich habe an das Schicksal meiner Eltern gedacht. Mein Vater, 1895 geboren, war drei Jahre im Ersten Weltkrieg an allen Fronten. Im Zweiten Weltkrieg war er nochmals eingezogen. Mein älterer Bruder war mit 18 Jahren in Lothingen gefallen. Jede Familie in Österreich oder Deutschland hatte ein ähnliches Schicksal.

Gute, alte Zeit?

Heute, 60 Jahre später, sage ich, 90 Prozent von dem, was ich mir als Kind gewünscht habe, ist in Erfüllung gegangen. Wir leben trotz aller Probleme in der besten aller Zeiten. Es komme mir niemand mit der Forderung nach der guten alten Zeit. Das gilt gerade für unsere beiden Länder, Österreich und Deutschland. Dass die Österreicher derzeit ein etwas höheres Wachstum haben, haben sie sich verdient. Sie müssen aber ein bisschen berücksichtigen, dass Deutschland in den vergangenen 25 Jahren 2300 Milliarden Euro für die Wiedervereinigung aufwenden musste. Wenn ich 1990 die Deutschen in einem Referendum gefragt hätte , seid ihr bereit in den nächsten 25 Jahren für die Deutsche Einheit 4600 Milliarden DM zu bezahlen, dann bin ich nicht sicher, ob wir über die Zwei-Drittel-Mehrheit gekommen wären.

Ich hatte vor zwei Jahren die Möglichkeit, in Südkorea über die Wiedervereinigung zu reden. Ich habe gezögert, über die Kosten zu sprechen, denn ich habe mir gedacht, wenn die erst wissen, was das kostet, dann machen sie ihre Mauer noch dichter. Ich habe es dann trotzdem getan.

Währungskrisen

Der Warschauer Pakt war für uns der Inbegriff der Gefahr für Europa.Und vor zwei Jahren hat die NATO in Warschau getagt. Wer hätte so etwas vor 30 Jahren für möglich gehalten?

Wenn ich an die Krisen der 1950er, 1960er Jahre denke, dann komme mir niemand und sage, diese habe es früher nicht gegeben. Wer weiß eigentlich noch, dass wir 1992 und 1993 300 Milliarden Dollar aufwenden mussten, um die europäischen Währungen zu stützen, um ein Ausein anderbrechen unserer Währungen zu verhindern? Wer weiß noch, dass damals die deutsche Bundesbank in ihrer totalen Unabhängigkeit im Jahr 1993 von Juni bis Juli, also in vier Wochen, mit 90 Milliarden DM interveniert hat, um den Französischen Franc zu stützen? Wenn wir das damals der Öffentlichkeit gesagt hätten und wenn wir dann noch gesagt hätten, dass ein Teil der Deutschen Geldvorräte nicht in Frankfurt, sondern, in Amerika liegt, dann weiß ich nicht, was passiert wäre. Damals hatten wir mehr als 20 Auf- und Abwertungen unserer Währungen.

Liebling Grillparzer

Übrigens, wenn ich auf die Dichter komme, gefällt mir Franz Grillparzer am besten. Er hat als Kabinettsmitglied in Wien folgenden Satz gesagt: "Der Minister des Äußeren will sich äußern. Der Minister des Inneren kann sich nicht erinnern. Der Minister der Kriege kennt keine Siege. Nur nach der Pfeife des Ministers der Finanzen müssen sie alle tanzen." Als ich diesen Satz im Rahmen einer Kabinettssitzung zitiert habe, gab es überhaupt keinen Beifall.

Was ist das für ein Glück, dass es uns gelungen ist, die Länder Mittel-, Süd- und Osteuropas nach Europa zurückzuführen. Es ist nicht nur die Deutsche Einheit für uns ein unsagbares Glück.

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