Kritik an ÖBB-Pensionisten perfid

Kritik an ÖBB-Pensionisten perfid
Reinhold Entholzer: Für den Gewerkschafter ist die Aussage, der Sozialstaat sei an den Grenzen der Finanzierbarkeit, eine glatte Lüge

Wenn in der Landes-SPÖ über Kandidaten für die Landesregierung diskutiert wird, fällt immer wieder der Name von Reinhold Entholzer. Der 51-jährige Peuerbacher ist Landesvorsitzender der 24.000 Mitglieder zählenden Gewerkschaft vida und Vizepräsident der Arbeiterkammer. Ursprünglich kommt Entholzer aus der Eisenbahnergewerkschaft.

KURIER: Warum sind die ÖBB so verschuldet?
Reinhold Entacher:
Das hat mehrere Ursachen. Wir haben mit unserem Streik 2003 darauf hingewiesen, dass das neue Strukturgesetz ganz schlecht ist. Denn die Manager haben sich dadurch mehr mit sich selbst beschäftigt als mit den Kunden. Jeder hat nur mehr auf seine eigene Firma geschaut, es gab keine Abstimmung. Es wurde die Führungsspitze ausgetauscht. Dazu kam, dass mit Finanzspekulationen 300 Millionen verloren gingen. Das Rail-Cargo-Geschäft in Ungarn ging daneben, ebenso das Gütergeschäft in Italien. Dazu kamen noch die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Es ist für uns alles andere als angenehm, so am Pranger zu stehen. Die Manager und Experten haben die Verluste herbeigeführt.

Die ÖBB haben 20 Milliarden Schulden.
Diese Zahl stimmt so nicht. Darin sind zum Beispiel die Gelder des Staates für die Schülerfreifahrt oder Kredite für den Bau des Brennerbasistunnels enthalten, die dann der Staat zurückzahlt.

Die ÖVP behauptet, die Eisenbahnergewerkschaft sei ganz wesentlich ein Mitverursacher für dieses negative Ergebnis.
Die ÖVP sieht uns als klares Feindbild, weil sie bei den Wahlen überhaupt nichts gewinnt. Hier werden sachliche Hintergründe vermischt. Wir erwarten lediglich das Einhalten der abgeschlossenen Verträge. Wir Eisenbahner haben beim Eintritt Verträge mit einer Dienstzeit von 35 Jahren unterschrieben.
Ich bin 1979 zur Bahn gekommen und könnte daher schon Ende 2013 in Pension gehen, was ich aber sicher nicht mache. Bei den Managern müssen Verträge eingehalten werden, dasselbe erwarten wir bei den Bediensteten. Viele sind in Erwartung eines sicheren Jobs zur Bahn gegangen.

Sie verdienen anfangs weniger, dafür können sie früher in Pension gehen. Jeder Eisenbahner, der seit 1995 in das Unternehmen eintritt, ist nun normal ASVG-pensionsversichert.
Die Eisenbahner gehen heute durchschnittlich mit 53 Jahren in Pension.
Diese Behauptung ist die größte Sauerei, die es überhaupt gibt. Wir sind früher im Schnitt mit 54,5 Jahren in Pension gegangen. Ich gebe schon zu, dass die Mitarbeiter im Fahrdienst eine Zeit lang nach 30 Jahren Dienstzeit in Pension gehen konnten. Aber bei der ÖBB-Reform in den Jahren 2003 und 2004 wurden die Leute gegen ihren Willen in Pension geschickt. Ihnen das heute vorzuwerfen, ist unanständig. Es wurden Mitarbeiter gefragt, in Pension zu gehen, die nicht einmal 50 Jahre alt waren. Die Mitarbeiter mussten auch entsprechende Abschläge bei ihren Pensionen hinnehmen. Es ist in meinen Augen perfid, dass dieselben Leute, die die Mit- arbeiter zur Pension gezwungen haben, ihnen nun das zum Vorwurf machen. Bei unseren Mitarbeitern hat es nie den Golden Handshake gegeben. Unsere Mitarbeiter sind aus Unsicherheit über ihre Zukunft gegangen.

Warum funktioniert die Bahn in der Schweiz so gut? Müsste das nicht auch in Österreich möglich sein?
Wir sind leider nur die zweitstärkste Bahn in Europa. Man muss die Rollende Landstraße beleben. Vor der Krise 2008 war ein Drittel des Güterverkehrs auf der Schiene. Wenn wir dieselbe Tonnagebeschränkung hätten wie in der Schweiz, dass die Lkw maximal 15 Tonnen auf der Straße transportieren dürfen, dann wären wir auch sehr gut. Das macht viel aus. Die deutsche Bahn nimmt sich in Sachen Pünktlichkeit Österreich als Beispiel. Wir machen uns selbst schlecht.

Die Landes-SP ist in einem Reformprozess. Wie geht es ihr?
Es geht uns in Oberösterreich und Österreich schlecht, was die politische Diskussion betrifft. Ich halte das für eine gefährliche Sache. Ich vermisse eine entsprechende politische Diskussion. Ich meine damit allerdings nicht die Parteipolitik, sondern Diskussionen wie zum Beispiel über die riesige Schuldenkrise in Griechenland. Die SPÖ in Oberösterreich bemüht sich mit dem morgen.rot-Prozess um eine politische Diskussion.
Ich vermisse generell die Visionen. Wenn man erreichen möchte, dass die Leute Schiffe bauen, muss man ihnen die Faszination der Ferne nahebringen.

Ein Hauptproblem ist, dass soziale Errungenschaften an die Grenze der Finanzierbarkeit stoßen.
Das ist eine klare Lüge. Ferdinand Hanusch hat als erster Sozialminister der Ersten Republik die Sozialversicherung eingeführt. Ein Drittel zahlten die Arbeitgeber, ein Drittel die Arbeitnehmer und ein Drittel die Republik. Damals war Österreich nicht eines der reichsten Länder der Welt, wie das heute der Fall ist. Derzeit schießt der Staat zu den ASVG-Pensionen 18 Prozent dazu, mit sinkender Tendenz. Die Privatversicherer drängen auf diesen Markt, weil sich da viel Geld verdienen lässt. Aus meiner Sicht sind die Sozialleistungen finanzierbar.
Bill Gates verteilt seine Milliarden an die Armen. Ich hielte es für besser, dass er höhere Steuern zahlt und der Staat das Geld verteilt.

Sie gelten als Zukunftshoffnung der SPÖ und werden unter anderem als Kandidat für eine Position in der Landesregierung gehandelt.

Davon weiß ich nichts. Ich will lediglich älter werden. Denn wenn ich nicht älter werde, muss ich sterben. Dazu ist das Leben in Österreich viel zu schön. Ich bin auch aus diesen Gründen gegen die Wiedergeburt, weil die Chance, in einem so schönen Land wieder auf die Welt zu kommen, nicht sehr hoch ist.
Ich will nicht einen Job annehmen, der nicht das Ansehen hat, das er verdienen würde. Die alten Griechen haben gemeint, die Leute seien selbst schuld, wenn sie sich von dummen Politikern regieren lassen. Dann seien sie selbst dumm. Ich kämpfe als Gewerkschafter für die 35-Stunden-Woche. Ich würde diese Forderung ad absurdum führen, wenn ich Landesrat werden würde.

Die Schwarzen schätzen Ihre Dialogfähigkeit.
Ich kenne auch viele Schwarze, von denen ich das sagen kann. Ich schätze da eine pragmatische Herangehensweise. Man darf die Visionen nicht aus dem Auge verlieren. Man kann Kompromisse machen, wenn man weiß, was man will.

Woran krankt unsere Gesellschaft?
Es fehlt vor allem an Solidarität. Vor zwei Wochen war ich mit meiner Frau in Linz einkaufen. Wir stellten beide eine gewisse Rücksichtslosigkeit in so manchem Verhalten fest. Es ist aber auch rücksichtslos, wenn Konzerne bei ihren Gewinnen die Mitarbeiter nicht beteiligen.

Die Entholzers: Ein Leben für die Bahn

Vita Reinhold Entholzer (51) wuchs in Peuerbach auf, ist hier mit einer Lehrerin verheiratet und hat zwei Kinder (19 und 21). Er besuchte die HTL für Hochbau in Salzburg und begann bei den ÖBB als Techniker. Von 1993 bis 2002 war er freigestellter Betriebsrat. Er wurde Landessekretär der Eisenbahnergewerkschaft, 2002 Vizepräsident der Arbeiterkammer, 2003 Fraktionsvorsitzender in der AK und im ÖGB. Entholzer ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft VIDA, der neben den Eisenbahnern auch Handel, Transport, Verkehr, Hotel und Gastgewerbe angehören.

Rot und schwarz In der Familie Entholzer gibt es traditionell eine rote und eine schwarze Linie. Walter Entholzer, der Bruder von Reinhold, von Beruf Zahnarzt in Hartkirchen, war jahrelang Landtagsabgeordneter und ÖVP-Bezirksparteiobmann von Eferding. Großvater Engelbert Entholzer war Bahnhofsvorstand in Peuerbach bei Stern&Hafferl, der andere Großvater Franz Muckenhumer (geb. 1901) Mitbegründer der Raiffeisenbank Peuerbach. Seine Mutter führte eine Schneiderei, sein Vater arbeitete in einem Unternehmen, das fast ausschließlich für die ÖBB tätig war.

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