„Kinderbildung ganz entscheidend“

„Kinderbildung ganz entscheidend“
Die Lebenschancen werden bereits oft im Kindergarten entschieden. So die Erfahrung von SP-Politiker Klaus Luger.

Klaus Luger ist seit 2009 Linzer Vizebürgermeister, zuständig für Soziales, Integration und Verkehr. Zuvor war der 51-jährige Stadtrat und Bezirksgeschäftsführer der SPÖ.

KURIER: Medial treten fast nur mehr Sie in Erscheinung.  Werden Sie schon als  neuer Bürgermeister aufgebaut?

Klaus Luger: Ich mache eine relativ offensive Öffentlichkeitsarbeit. Es gibt Kollegen in der Stadtregierung, denen das nicht so liegt. Man muss in der Politik kommunizieren. Das mache ich.

Wann werden Sie Bürgermeister?

Der Bürgermeister ist soeben 61 Jahre alt geworden, das Pensionsalter beträgt 65. Es gibt überhaupt keine Spekulationen, an einen Wechsel zu denken.

Dobusch wird 2015 noch einmal antreten?

Er wird  für sich entscheiden, was er  2015 tun wird. Ich gehe davon aus, dass er wieder kandidiert.

Abgesehen von der Spekulationsgeschichte Swap, was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Themen?

Die wichtigste Aufgabe ist, die Dynamik der Stadt zu sichern. Dazu sind einige Projekte notwendig: der Ausbau des Straßenbahnnetzes,  die Westumfahrung als wichtigster Straßenbau, die weitere Entwicklung der Tabakfabrik, die Lösung des Themas Eisenbahnbrücke und natürlich die Bewältigung der Integration.

Die Finanzen sind angespannt. Kann sich die Stadt ein so großes Kulturprojekt wie die Tabakfabrik noch leisten?

Wäre die Tabakfabrik ein Kulturprojekt, wäre diese Frage völlig berechtigt. Sie ist aber keines.  Wir haben aufgrund der Kulturhauptstadt 2009   eine Infrastruktur, die für eine 180.000-Einwohner-Stadt sensationell ist.  Die Tabakfabrik darf kein Zuschussbetrieb sein.  Sie muss sich als Gesamtprojekt rechnen.  Deshalb muss die Nutzung vielfältig sein. Ausgeschlossen sind Wohnen und ein Einkaufszentrum.  Alle anderen Mischformen sind möglich. Ein Teil wird  zum Beispiel  Gastronomie sein.  Ich sehe die Tabakfabrik ähnlich wie das Design-Center. Wir haben das Investment getätigt, aber dann muss es sich selbst tragen.

Findet in Linz tatsächlich Integration statt?

Bei uns funktioniert die Integration der Einwanderer im Vergleich zu anderen europäischen Ländern relativ gut. In der Stadt selbst sind die meisten Integrationsprobleme Generationsprobleme. Die Schwierigkeiten, die auf unterschiedliche Religionen und Kulturen zurückgehen, sind viel geringer als wir das diskutieren. Wir bemühen uns Gettobildungen hintanzuhalten.  Die höchsten Zuwanderer-Anteile  reichen bis zu 35, 38 Prozent.
Es gibt einen Bereich, wo wir  Gemeinden wirklich etwas tun können. Das ist die Sprachförderung. Linz ist die einzige Stadt Österreichs, die ab dem ersten Tag im Kindergarten Sprachförderung betreibt. Wir geben dafür 800.000 Euro im Jahr aus. Kinder, die mit drei Jahren in den Kindergarten kommen, können oft schlechter Deutsch als ihre Eltern, obwohl sie  hier geboren sind. Das hängt mit dem Medienkonsum zusammen.

Weil die Kinder über Satelliten die Kanäle ihrer Heimatländer sehen?

So ist es. Die Vorgängergeneration hatte nur die Wahl  gehabt zwischen ORF 1 und ORF 2. Heute können die Kinder  zwischen 300 türkischsprachigen Kanälen wählen. Damit gehen die Mediensprache und die passive Sprache verloren. Die Rückmeldungen der Kindergärtnerinnen sind eindeutig. Wir haben mit einem Sprachförderprogramm begonnen. 20 Prozent der Kinder, die wir hier betreuen, sind aber deutscher Muttersprache. Bei diesen Kindern ist kein Migrationshintergrund da. Sie verfügen über einen Wortschatz und Grammatikkenntnisse, die unter dem Niveau sind, das  Dreijährige  haben müssten.

Was läuft hier schief?

Es wird weniger vorgelesen,  es wird  mehr passiv Fernsehen konsumiert. Das heißt, die Kinder sitzen allein vor dem Bildschirm. Es ist primär ein Phänomen bildungsfernerer Schichten.  Die Sprache ist das Konstituierende, damit Integration funktioniert.
Wir versuchen, bei den Jüngeren anzusetzen, weil wir eine Problemgruppe haben. Das sind die 16- bis 25-Jährigen.   Da ist der Anteil  der Jugendlichen  mit Migrationshintergrund, die keine Berufsausbildung haben,  drei Mal so hoch wie bei den Einheimischen.
Warum? Sie besuchen doch genauso die Schulen und machen eine Lehre.
Eine Lehre wird oft begonnen, aber überdurchschnittlich oft abgebrochen.

Wieso?

Die meisten, die abbrechen, brechen nicht wegen der Praxis im Betrieb ab, sondern weil sie die Berufsschule nicht schaffen. Sie schleppen Bildungsdefizite aus der Pflichtschule mit und sind ohne zusätzliche Fördermaßnahmen nicht in der Lage, einen Berufsschulabschluss zu erwerben.  Das werden die klassischen Hilfsarbeiter. Das sind jene, die in der Krise sofort ihre Jobs verlieren. Sie führen das dann auf ihre migrantische Herkunft zurück und melden sich dann oft aus der Gesellschaft ab.
Es geht darum, bereits einen Schritt früher im Bildungssystem anzusetzen. Wir müssen bereits vor der Schule etwas machen.  In Linz besuchen 94 Prozent der Dreijährigen einen Kindergarten. Das ist eine Riesenchance. Eigentlich muss man von der vorschulischen Kinderbildung sprechen und nicht vom Kindergarten. Hier hat man noch die Chance, Defiziten gegenzusteuern. Zum Schuleintritt sollen die Kinder so gut Deutsch können, dass sie dem Unterricht folgen können.

Wie hoch ist der Migrantenanteil in den Kindergärten?

Wir haben bei den Drei- bis Sechsjährigen einen Migrantenanteil von 38 Prozent.

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