Hilfe zur Selbsthilfe ist extrem gefragt
Obwohl aktuelle Kriminalstatistiken anderes sagen, ist sie doch bei vielen Frauen da: diese diffuse Angst vor Bedrohung – in der Öffentlichkeit, im Dunkeln, an entlegenen Plätzen. Diese Unsicherheit, ob man sich denn, im Fall der Fälle, überhaupt wehren könnte.
Nach den Vorfällen der Silvesternacht in Köln haben viele Frauen das Bedürfnis, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Konkret heißt das: Selbstverteidigungskurse boomen. Die Ansätze und Inhalte sind verschieden, die Nachfrage ist bei allen Anbietern in den vergangenen Monaten stark gestiegen.
Von Frauen für Frauen
"Eigentlich sind wir bis 2017 ausgebucht, wir planen gerade zusätzliche Termine, damit wir die Nachfragen einigermaßen decken können", sagt Margit Schönbauer vom Autonomen Frauenzentrum in Linz (AFZ). Das AFZ (www.frauenzentrum.at) hat den Verein Drehungen mit der Durchführung der Kurse beauftragt. Anita Steinmaurer leitet seit 27 Jahren diese Selbstverteidigungskurse, das Konzept dahinter erklärt sie so: "Wir haben einen Kurs von Frauen für Frauen entwickelt. Bei uns geht darum, dass die Teilnehmerinnen lernen, Sicherheit auszustrahlen. Manche Situationen können schon im Vorfeld entschärft werden, wenn Frauen zeigen, wo ihre Grenzen sind. Das kann zum Beispiel mit Körperhaltung, lauter Stimme oder auch mit den Augen passieren."
Den Umgang mit Pfefferspray lehrt Anita Steinmaurer ihren Teilnehmerinnen nicht: "Davon halte ich nichts. Jede Waffe kann mir abgenommen und gegen mich selbst verwendet werden. Besser sind Alarmgeräte, Pfeiferln oder einfach die Schlüssel zwischen die Finger wie ein Igel."
Auch die Frauenbeauftragte der Stadt Linz, Jutta Reisinger, kann die vermehrte Nachfrage nach Selbstverteidigungskursen bestätigen: "Das ist nicht überraschend. Übergriffe auf Frauen sind ja auch medial derzeit ein großes Thema. Wir sind also gerade dabei, zusätzliche Angebote auf die Beine zu stellen." Infos über die Termine gibt es auf der Homepage des Frauenbüros (www.linz.at/frauen).
Dass die Nachfrage aufgrund medialer Aufgeregtheit steigt, beunruhigt Anita Steinmaurer: "Dass Frauen von Männern belästigt, bedroht oder angegriffen wurden, hat es schon immer gegeben. Wir haben auch ein Mal pro Jahr bemerkt, wann die Maturareisen angestanden sind. Da haben dann besorgte Eltern ihre Töchter zum Kurs angemeldet." Man könne Angst nicht einfach wegdenken, sondern man müsse lernen, damit umzugehen.
Wissen vertiefen
Zum Beispiel dadurch, sich zu pushen und selbst aggressiv zu werden. Peter Hutter leitet die Krav Maga Schule in Marchtrenk (www.kravmaga-wels.at). Krav Maga ist eine israelische Nahkampf- und Selbstverteidigungsart, mit der auch körperlich schwächere Personen eine realistische Chance haben, einen Übergriff unbeschadet zu überstehen. "Dabei ist die Technik gar nicht so wichtig, sondern eher das Selbstbewusstsein", sagt Hutter. Bei ihm lernen Frauen auch den richtigen Umgang mit dem Pfefferspray. Die Nachfrage sei derzeit so hoch, dass ständig Kurstermine eingeschoben werden. Am 12. März gibt’s das nächste vierstündige Schnuppertraining, "viele, die daran teilnehmen, wollen ihr Wissen dann immer wieder anwenden, vertiefen oder auffrischen. Und das ist auch sinnvoll."
Nicht jeder ist bei Krav Maga willkommen, versichert der Profi: "Wir behalten uns vor, Personen, die wir charakterlich für ungeeignet halten, abzulehnen. Wir unterrichten nicht jene, vor denen wir uns eigentlich schützen wollen."
Das ist auch einer der Gründe, warum Trainerin Anita Steinmaurer nicht gerne aus dem Nähkästchen plaudert: "Manche Dinge sind so einfach umzusetzen, deshalb verraten wir sie nicht. Wir wollen , dass die Täter Überraschungsmomente erleben und sich nicht auf die Strategien der Frauen einstellen können."
Ob die Bedrohungsszenarien tatsächlich häufiger geworden sind oder nicht, lässt sich in Zahlen schwierig feststellen. Größer ist auf jeden Fall der Wunsch nach Hilfe zur Selbsthilfe geworden. Deshalb heißt es für Frauen schnell sein, wenn sie einen der heiß begehrten Kursplätze ergattern wollen.
Details aus den Selbstverteidigungskursen werden nicht verraten, aber einige Basics sind überall und jederzeit anwendbar. Anita Steinmaurer, Trainerin beim Verein Drehungen, schwört auf folgende Punkte – auch als Prävention.
Sinne schärfen. Immer aufmerksam in unangenehme Situationen hineingehen und alle Sinne einsetzen.
Stimme erheben. Ansprechen, was gerade passiert, dass das ungenehm ist und Grenzen überschritten werden. Laut sein, schreien, sich Gehör verschaffen.
Körperwaffen einsetzen. Sich unbedingt mit allem wehren, was man zur Verfügung hat. Das können Arme, Beine, Ellenbogen oder der Kopf sein.
Einen Vier-Stunden-Kurs hält Erich Eibl für wenig sinnvoll. Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit Kampfsport in seinen vielen Facetten, er leitet unter dem Motto "Fit & Fight" (www.fit-fight.at) Kampfkunst-Studios mit Standorten in Linz, Enns und Steyr. Im Zuge seiner Trainertätigkeit hat Eibl ein ganz besonderes Programm entwickelt: RDC (Real Defence Concept) nennt sich das Angebot. "Wir unterrichten keine statischen, standardisierten Tricks, die gerne als effektiv bezeichnet werden, sondern wir lehren effektive, realistische, kompromisslose und schnelle Taktiken zur Abwehr eines Angriffs. Ich möchte nur ein Programm anbieten, hinter dem ich voll und ganz stehen kann und bei ich mir sicher bin, dass es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Ernstfall helfen kann", sagt Erich Eibl.
Kurse dauern drei bis sechs Monate, aktuell bildet Eibl weitere Trainer aus, um die Nachfrage decken zu können. "Bei uns trainieren Männer und Frauen gemeinsam, das ist eine realistische Situation". Das Bewegungskonzept müsse komplett verinnerlicht werden wie Radfahren, meint Eibl: "Es muss jederzeit sofort abrufbar sein, eben auch in einer Extremsituation. Sonst ist es nutzlos." Interessierte lernen zum Beispiel, wie überlegene Gegner soweit ferngehalten werden, dass sie gar nicht erst an den Hals kommen. Oder wie Alltagsgegenstände wirksam zur Abwehr eingesetzt werden können.
Einstieg in die Kurse ist jederzeit möglich.
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